Galle/Sri Lanka. .
Ceylon boomt: Immer mehr Urlauber und Surfer entdecken die schönen Seiten von Sri Lanka. Wer etwas Zeit in die Suche investiert, findet nicht nur einsame Strände, sondern auch Schildkröten als Surfbuddys.
Es ist nach Mitternacht. Der Schein einer Lampe huscht über den Strand. Es ist eine Art Wettrennen, das jede Nacht aufs Neue beginnt. An der Westküste Sri Lankas stapft Ratnasiri Uyanage mit seiner Taschenlampe entlang der donnernden Brandung des indischen Ozeans. Nach einigen Minuten entdeckt der Singhalese, was er gesucht und, so hofft er, noch kein anderer gefunden hat. Aufgewühlter Sand führt ihn zum Ziel.
Am Ende der Spur schaufelt eine Meeresschildkröte mit ihren Flossen im Sand. „Die Schildkröten kommen bei Vollmond zum Eierlegen hierher“, sagt Uyanage, den alle Ratna rufen. Seit sechs Jahren ist er regelmäßig nachts auf den Beinen. Er will schneller sein als andere. Die anderen, das sind Fischer und Dorfbewohner. Sie verkaufen die Eier als Delikatesse - häufig um ihr klägliches Einkommen ein wenig aufzubessern.
Fund im Sand verbuddelt
Ratna wartet. Die Schildkröte hat ihre Eier nach 20 Minuten gelegt, die Brut im Sand vergraben und kriecht jetzt wieder zurück in die Fluten. Sie taucht zu den felsigen Riffen, die keine 50 Meter weiter draußen den Meeresboden bedecken. Kaum ist sie verschwunden buddelt der Nachtgänger ihre Hinterlassenschaft vorsichtig aus, um sie an anderer Stelle erneut einen Meter tief im Sand zu verstecken. Keiner soll sie finden.
Beim Anblick des Eimers voller Eier, die aussehen wie verbeulte weiße Pingpong-Bälle, hätte sich ein hungriger Finder sicherlich vor Freude die Hände gerieben. 40 Tage dauert es ungefähr, bis der Nachwuchs schlüpft. „Nur zehn Prozent der Brut schaffe es, sich ins Meer zu schleppen“, sagt Ratna. Und davon überlebe auch nur ein Teil. Deswegen sorgt er dafür, dass die Eier wieder im Sand und nicht auf den Tellern seiner Nachbarn landen.
Die Reptilien liegen ihm aber vielleicht auch so sehr am Herzen, weil sein Engagement ein paar Touristen mehr in sein kleines Hotel lockt. Die einfache Unterkunft liegt paradiesisch. Keine zehn Meter vom Strand entfernt, wenige Kilometer südlich der Provinzhauptstadt Galle.
Das seltene Naturschauspiel können Ratnas Gäste hautnah miterleben - sofern sie bereit sind, sich nachts aus ihren Träumen reißen zu lassen. Dann hämmern aufgeregte Hände an die Zimmertüren und die Nachricht verbreitet sich unter den neugierigen Gästen wie ein Lauffeuer. Mit verschlafenen Gesichtern sammeln sie sich kurz darauf in gebührendem Abstand in der Dunkelheit rund um den Meeresbesucher, als wollten sie ein verbotenes Ritual abhalten.
An die Tragödie erinnern viele Ruinen
Es werden zunehmend mehr Gäste, die zuschauen und in Sri Lanka Urlaub machen wollen. Ceylon boomt. Nach dem Ende des Bürgerkriegs im Mai 2009 sind im vergangenen Jahr ein Drittel mehr Touristen nach Sri Lanka gekommen. Die Behörden haben 2010 nach eigenen Angaben mehr als 650.000 Tourismus-Visa ausgestellt.
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Unterwegs im Tuk Tuk: Fahrtwind kühlt die Stirn, die Sonne brennt früh vom Himmel. Die motorisierten Rikschas sind günstig, die Fahrer risikofreudig - aus der Sicht eines Europäers. Am Rand der Küstenstraße ziehen viele Hotels vorüber. Es gibt aber auch immer wieder Abschnitte, in denen vereinzelte Häuser-Ruinen an die Tragödie von 2004 erinnern. Durch den Tsunami sollen in Sri Lanka nach Behördenangaben bis zu 38.000 Menschen gestorben sein. Die genaue Zahl der Opfer kann niemand beziffern.
Sitzender Buddha ist riesig
Nach einer Stunde geht es nur noch stockend voran. Statt frischem Wind liegen die Abgase des Stadtverkehrs in der Luft: willkommen in Galle. Die Provinzhauptstadt ist mit ihrer Altstadt aus der Kolonialzeit einen Trip wert. Die von den Niederländern im 17. Jahrhundert erbaute Festung ist Weltkulturerbe. Die hohen Mauern und die erhöhte Lage schützten die Bewohner der Altstadt vor dem Tsunami, während der tiefer gelegene Bereich überspült wurde.
Weiter südlich, kurz hinter der Stadt Matara, ragt eine riesige Buddha-Statue in den Himmel. Der knapp 40 Meter hohe sitzende Buddha gehört zu dem einzigen Tunneltempel in Sri Lanka. Mehr als 12.000 sehr bunte Gemälde zieren die Wände der Tunnel und erzählen die Geschichte des Religionsstifters Siddharta Gautama.
Zurück an der Küste: Dort kommen nicht nur Schildkrötenfans auf ihre Kosten. Tagsüber sind es vor allem Surfer, die sich mit ihren Brettern in die Brandung stürzen. Noch ist Sri Lanka ein kleiner Geheimtip. Die Surfspots sind bei Weitem nicht so voll wie die angesagten Orte auf Indonesien. Nur wenige Gehminuten von Ratnas Unterkunft entfernt warten eine Handvoll Surfer auf die nächsten Wellen, die über Sand und Riffen brechen: ein Eldorado für Wellenschlitzer mit Hang zu Badewannentemperaturen.
Während die Surfer die rollenden Wasserberge rauf und runter gleiten, kommt es vor, dass sie dabei scheinbar beobachtet werden. Neugierig heben die Meeresschildkröten ihren Kopf aus dem Wasser - wie das Teleskoprohr eines U-Bootes. Statt Neugierde ist es wohl die Notwendigkeit zum Atmen, die die Tiere an die Meeresoberfläche treibt. Sie können jedoch mehrere Stunden ohne Luft zu holen, tief unten am Riff bleiben.
Sri Lanka 2011
Explosion im Paradies
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Manchmal ist das lebensrettend. Ein lauter Knall lässt die Surfer und Strandgäste zusammenzucken. Vor der Küste kreuzt ein Fischerboot. Statt der Fangnetze haben die Fischer offenbar Dynamit ins Meer geworfen. „Fischen mit Sprengstoff ist verboten in Sri Lanka“, sagt Ratna. Er ruft die Polizei, aber sie kommt nicht. Ist das die Kehrseite des Paradieses?
Stattdessen dauert es nicht lange und viele Dorfbewohner strömen mit Tüten und Eimern zum Strand, den sonst die wenigen Besucher für sich allein haben. Die Singhalesen stehen knietief in den Wellen. Die Druckwelle hat die Schwimmblasen vieler Fische in der Nähe des Kutters zerplatzen lassen, sie treiben schwimmunfähig im Wasser und sind ein leichter Fang. Die meisten davon sind nicht größer als ein Finger. Am Abend wird es trotzdem bei vielen Familien Fischsuppe zu Essen geben.
Schildkröten werden keine an den Strand gespült. Sie kommen erst beim nächsten Vollmond wieder. Freiwillig. Das jedenfalls hofft Ratna für sich und seine Gäste.