Tunesien. Wie sich ein Land nach der Revolution wieder dem Tourismus zuwendet: Ein Besuch in Tunesien, das mehr zu bieten hat als 1300 Kilometer lange Sandstrände und mit einer Image-Kampagne die Zeit nach Ben Ali einläutet.
Selten hat das „Prestige“ so gelitten. Wer heute auf den mit Original-Bildern von Chagall und Monet bestückten Fluren des imposanten Fünf-Sterne-Hotels auf Djerba einen Urlauber treffen will, braucht so viel Glück wie für einen Sechser im Lotto. Nur 30 Gäste kommen in diesen Tagen auf 310 Angestellte. Meist Langzeiturlauber, ältere Franzosen, die im Dezember noch ins alte Tunesien gereist waren und sich jetzt im neuen, „freien“ Tunesien noch nicht wirklich zurechtfinden. „Mon Dieux, man ist hier so allein“, sagt die Dame aus Paris, bevor sie an ihrem Abendcocktail nippt.
Wenn es nach Mehdi Houas geht, soll sich das sehr bald ändern. Den freundlichen Informatik-Manager aus Marseille hat die „Jasmin-Revolution“ in die Heimat seiner Vorfahren gespült – als neuen Tourismusminister. Auf Houas Schultern lasten die Sorgen und Hoffnungen von mindestens einer Million Menschen. So viele leben in der 1956 unabhängig gewordenen ehemaligen französischen Kronkolonie vom Tourismus.
Tourismus hat gelitten
Seit der verhasste Diktator Ben Ali fliehen musste und Tunesien auf der Kippe zum Bürgerkrieg stand, sind 15 000 Stellen im Tourismusgewerbe vernichtet worden, berichtet Houas im Gespräch mit DerWesten. „Wir müssen aufpassen, dass es nicht noch mehr werden.“
Wie? Houas will Dinge anders machen als nach der Katastrophe von El Ghriba. Im April 2002 starben bei einem islamistischen Terroranschlag auf die Synagoge von Djerba 21 Menschen – darunter 14 Deutsche. Die Devise lautete hinterher: totschweigen statt aufarbeiten. Folge: Die Besucherzahlen haben sich bis heute halbiert auf nur noch 500 000 Gäste jährlich.
Houas und seine jungen Mitstreiter wollen die Tourismus-Industrie mit Herzenswärme und neuer Offenheit ankurbeln. „Unser Land verdient es, besucht zu werden“, ist sein Leitspruch. Und zwar nicht nur an den 1300 Kilometer langen Sandstränden zwischen Tabarka und Zarzis. Houas will die unzähligen Kulturgüter seines Landes, das von den Phöniziern, Vandalen, Römern bis zu den Türken in den vergangenen 3000 Jahren schon so ziemlich alle Eroberer und Besatzer hat kommen und gehen sehen, ins nationale Schaufenster stellen. „I love Tunisia“ heißt die neue Image-Kampagne im Internet. Kein ganz leichtes Unterfangen.
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Reden und zuhören
Während der Minister die erste deutsche Journalisten-Delegation nach der Revolution empfängt, schreien sich Karim (24) und seine 340 Kolleginnen und Kollegen draußen vor dem Ministerium die Kehle heiser. Ihr Boss, Besitzer des „Regency“-Hotels, hat sie von heute auf morgen auf die Straße gesetzt.
Zehn Millionen Dinar, rund fünf Millionen Euro, soll er vorher aus dem Bettentempel gezogen haben. „Wenn wir fünf Euro mehr im Monat verlangen, werden wir gekündigt“, echauffiert sich Karim. Minister Houas kann den Demonstranten nur zuhören und ihnen einen „sozialen Dialog“ versprechen. Wirklich helfen kann er nicht. Es gibt keine soziale Absicherung, die diesen Namen verdient.
Aber zuhören, miteinander reden, so der Eindruck, wenn man in diesen kühl-windigen Februar-Tagen durch Tunis‘ Straßen geht, sind hohe Güter für Menschen, die noch vor kurzem wie Schatten ängstlich durch ihre Stadt huschten.
In der Medina, dem weltkulturerbegeschützten, abenteuerlichen Gewirr aus Gassen, Plätzen und Souks, in dem sich noch immer die Märchen aus Tausendundeiner Nacht verbergen, wird in den Teestuben laut gelacht.
Die Zukunft Tunesiens wird leidenschaftlich debattiert
Schwerer Duft von Minze, Apfel und Banane liegt in der Luft, den Freunden der Wasserpfeife wird die ganze Aroma-Palette geboten. Die Avenue Bourguiba, die Prachtmeile der Hauptstadt, ist seit Tagen eine Mischung aus Londons „Speakers Corner“ und Open-Air-Stellenbörse. Es ist friedlich. Angst und Unsicherheitsgefühle? Fehlanzeige. An jeder Ecke verhandeln kleine Debattierclubs so leidenschaftlich die Zukunft ihres Landes, dass sich der Besucher aus Deutschland seiner Politikverdrossenheit beinahe schämt. Männergesichter dominieren, aber mehr und mehr kommen auch Frauen dazu.
Unruhen in Arabien
Immer wieder kommen junge Menschen, suchen das Gespräch, fragen nach Chancen in Deutschland und anderswo in Europa. 500 000 arbeitslose Jung-Akademiker hat Tunesien. Eine kritische Masse, die sich in Bewegung setzen könnte, wenn neben den für den Herbst geplanten Wahlen nicht bald Anzeichen für eine wirtschaftliche Gesundung zu erkennen sind.
„Ich habe Hotel-Kaufmann studiert. Ich will in meinem Land bleiben und es aufbauen“, sagt der groß gewachsene Ahmed, den wir vor dem „Tunisia Palace“ treffen. „Aber ich brauche für mich und meine Familie auch eine Chance.“ Ab Ende Februar nehmen die meisten europäischen Reiseveranstalter Tunesien wieder ins Programm auf. Es gibt viel aufzuholen. Nicht nur im menschenleeren „Hotel Prestige“ auf Djerba. Auf der Internationalen Reisebörse in Berlin (ITB) stellt sich das revolutionierte Land vor. Leicht abgewandelt könnte das Motto lauten: „Und im übrigen bin ich dafür, dass Karthago besucht wird!“ Es lohnt sich.