Ruhrgebiet. Eine Expertin warnt vor einer „drastischen Unterversorgung“ in der Pflege in den kommenden Jahren. Der Bund erschwert offenbar die Ausbildung.
Schon lange gibt es in NRW zu wenig Pflegekräfte. Und wer sich ausbilden lassen möchte, wird immer häufiger mit verschobenen oder ausfallenden Kursen konfrontiert. Denn Pflegeschulen in NRW kämpfen gegen einen massiven Mangel an Lehrkräften an. Manche Schule musste sogar schließen. Wie konnte es dazu kommen? Und wie soll das Problem gelöst werden? Ein Überblick.
Wie ist die Lage im Ruhrgebiet?
Mit fehlenden Lehrerinnen und Lehrern spitze sich der Mangel an ohnehin schon raren Pflegekräften deutlich zu, sagt der stellvertretende Leiter einer privaten Pflegeschule. Bald muss er einen der drei Standorte im Ruhrgebiet wegen fehlendem Personals schließen. Der Mann möchte anonym bleiben.
Die DRK-Pflegeschule in Bochum hat wegen fehlender Dozentinnen und Dozenten bereits im März 2022 dichtgemacht, das Schulungszentrum des Verbandes Deutscher Alten und Behindertenhilfe in Gelsenkirchen drei geplante Ausbildungsgänge kurzfristig abgesagt. 75 Menschen, die sich zu Pflegefachkräften ausbilden lassen wollten, konnten ihre Lehre somit erstmal nicht starten. Und in Marl bangt die Pflegeschule im Lucy-Romberg-Haus der AWO um einen von zwei Kursen im Herbst.
Claudia Bertels-Tillmann, Leiterin der AWO-Pflegeschulen im Bezirk Westliches Westfalen, sagt: „Durch den Fachkräftemangel stoßen wir mit unseren Kapazitäten an eine Grenze.“ Bislang starteten zwar alle geplanten Kurse, „aber sobald sich ein Bewerber für uns entscheidet, fällt woanders ein Kurs aus“, so Bertels-Tillmann. Ein großer Teil der Arbeit von Schulleitungen sei mittlerweile die Personal-Gewinnung geworden.
Warum fehlen die Lehrkräfte?
Laut Zahlen der letzten Landesberichterstattung Gesundheitsberufe (2019) werden 1510 Lehrkräfte in NRW benötigt. Angelika Unger, Geschäftsstellenleiterin des Bundesverbands Lehrende Gesundheits- und Pflegeberufe, sagt allerdings: „Wir gehen davon aus, dass der Bedarf bereits jetzt schon größer ist als in dieser Schätzung und wir einer drastischen Unterversorgung in wenigen Jahren entgegensehen. Viele Kolleginnen und Kollegen gehen dann in Rente.“
Dabei wolle und könne man junge Menschen ausbilden, betont der Vize-Vorsitz der privaten Pflegeschule. Doch die neuen Anforderungen des bundesweiten Pflegeberufegesetzes erschwerten die Situation. Denn um den Beruf der Pflege-Lehrkraft attraktiver zu machen, hat der Bund die Ausbildung akademisiert. Die Ausgestaltung liegt dabei bei den Ländern.
Demnach müssen Lehrer neben einer Ausbildung nun auch einen Master in Pflegepädagogik haben. Die Ausbildungszeit verlängert sich damit. Aktuell betreut eine studierte Lehrkraft in NRW übergangsweise 25 Pflege-Azubis, ab 2029 nur noch 20. Angelika Unger: „Nach Auslaufen der Übergangszeit wird der Mangel dann umso deutlicher sichtbar werden.“
Wie gehen Schulen damit um?
Durch den Fachkräftemangel steigt der Konkurrenzdruck unter den Pflegeschulen. „Sie nehmen sich die Lehrkräfte gegenseitig weg“, sagt Claudia Bertels-Tillmann von der AWO. In den vergangenen fünf Jahren sei die Bezahlung in dem Bereich massiv gestiegen. Viele ließen sich außerdem nur mit mobilem Arbeiten und Gleitzeit locken.
Die Pflegeschule der St. Elisabethgruppe in Herne setzt auf die Förderung eigener Pflegekräfte, gibt ihnen die Möglichkeit zu studieren. Das hat laut Leiterin Sabine Dressler dazu geführt, dass die geplanten Pflegekurse für neue Azubis bislang pünktlich starteten.
Auch die Diakonie Ruhr gewann durch Weiterbildungsangebote eigene Mitarbeiter als Lehrkräfte. Studierende werden über Praktika in die Pflegeschule geholt, Menschen, die noch keinen Bachelorabschluss haben, als Schulassistenz eingestellt und intern weiterqualifiziert. Für Azubis, die im Master eingeschrieben sind, finanziere die Schule die Studiengebühren, so Marion Hohmann, Leiterin der Pflegeschulen der Diakonie Ruhr.
„Wir setzen außerdem auf einen Qualifikationsmix“, sagt Hohmann. Neben Pflegepädagogen stelle die Schule auch ausgebildete Fachkräfte ein, die zuvor ein anderes Studium absolviert haben und über die Schule eine pädagogische Zusatzqualifikation bekommen.
Was kann die Politik tun?
Die Ausbildung mit anschließendem Bachelor- und Masterstudium dauert acht Jahre. Eine lange Zeit. Claudia Bertels-Tillmann betont: „Wenn es der Politik jetzt nicht gelingt, den Übergang zu gestalten, verliert man viele interessierte Azubis.“
Eine Lösung sei, das Master-Studierende auch über 2025 hinaus schon berufsbegleitend an Schulen unterrichten dürfen. Das NRW-Gesundheitsministerium hatte festgelegt, dass Lehrkräfte mit Bachelorabschluss bis Ende 2025 in den Schulen eingesetzt werden dürfen, wenn sie sich dann mit dem Master nachqualifizieren.
Zusätzlich zu den studierten Pädagogen sollten auch Menschen mit Qualifikationen zum Beispiel aus Sozialwissenschaften oder Psychologie ebenfalls zu einem bestimmten Schlüssel zugelassen werden dürfen. Zudem müssten die Studienplätze weiter ausgebaut werden.
Was macht die Landesregierung?
Ende 2019 hat die Landesregierung gemeinsam mit den NRW-Hochschulen eine Studienplatz-Offensive gestartet. Sie richtete im Bereich der Pflegepädagogik 110 neue Masterplätze und eine entsprechende Zahl von Bachelorplätzen ein. Damit seien die Kapazitäten mehr als verdoppelt worden, heißt es von einer Sprecherin des Gesundheitsministeriums.
Zudem könnten neben den bundesrechtlich geforderten Pflegepädagoginnen und -pädagogen auch Lehrkräfte an Pflegeschulen arbeiten, die ein anderes Studium in dem Bereich, beispielsweise in der Pflegewissenschaft, absolviert haben mit anschließender pädagogischen Zusatzqualifikation. Eine Taskforce des Ministeriums soll weitere Lösungen finden.
>>> Info: Studienabbruch
An den Pflegeschulen der Diakonie Ruhr fehlt es weniger an Personal als an Kursteilnehmern und -teilnehmerinnen. Etwa drei bis fünf Azubis pro Jahrgang brechen laut Leiterin Marion Hohmann in der Regel die Ausbildung ab. Der Standort in Castrop-Rauxel musste deshalb schon zeitweilig pausieren. „Wir stehen als Pflegeschule in Konkurrenz mit dem Handwerk“, so Hohmann.
Zahlen zeigen: Zwar ist das Interesse an Pflegeberufen 2021 laut NRW-Gesundheitsministerium um zehn Prozent gestiegen – dennoch fehlen laut Institut der Deutschen Wirtschaft deutschlandweit 200.000 Pflegekräfte.