Ruhrgebiet. Ein neues Buch beleuchtet die Institution Polizei in all ihren Widersprüchen: ihr Auftreten als Helfer, als Gegner und als Staatsgewalt.
Zum Glück hatten die beschuldigten Männer in Essen diese Handy-Aufnahmen. Damit konnten sie beweisen, dass sie keineswegs bei einer Verkehrskontrolle „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ geleistet hatten, wie die Anklage hieß; sondern dass vielmehr die Polizisten sich „massive Übergriffe“ geleistet hatten, so die Amtsrichterin. Nun drohen denen Folgen: „Körperverletzung im Amt.“ Abgeschlossen ist der Fall nicht.
Anscheinend gibt es ja zwei Polizeien. Die gute, die Schulkindern über die Straße hilft, Demonstranten beschützt und Serientäter festnimmt; die Bürger rechnen diese Polizei in Umfragen immer wieder zu den vertrauenswürdigsten Institutionen überhaupt.
Und die böse, die in Chatgruppen Nazideutsch denkt, Gewalt anwendet, wo es nicht sein müsste oder die eigene Sicht über die Wahrheit stellt - weshalb dieselben Bürger mehrheitlich eine unabhängige Institution verlangen, die polizeiliches Fehlverhalten aufklären kann.
Eine gewisse Distanz zur Floskel von „Dein Freund und Helfer“
Guter Polizist, böser Polizist. Außerhalb von Verhören, nun in einem Buch. „Wie lassen sich diese Bilder miteinander vereinbaren? Wie kann es sein, dass beide Sichtweisen in der Gesellschaft existieren und lautstark vorgetragen werden?“ Das fragen sich der Rechtsanwalt Benjamin Derin und der Kriminologe Professor Tobias Singelnstein, die beide lange Zeit an der Ruhr-Universität Bochum geforscht haben.
Und schicken sich an, eine 438-seitige Antwort zu geben mit ihrem Buch „Die Polizei. Helfer, Gegner, Staatsgewalt“. Wer an dieser Stelle schon eine gewisse Distanz zu „Dein Freund und Helfer“ herausliest - liest richtig.
Gebraucht und überstrapaziert einerseits, gefürchtet bis gehasst andererseits
Dabei vertieft sich das Buch zunächst in die Frage, was Polizei überhaupt ist und wie sie arbeitet. Ein Grundkurs für den interessierten Laien, an den das Buch sich insgesamt richtet. Kapitel heißen hier „Die Entstehung der Polizei“, „Aufbau und Arbeitsweise“ oder „Polizei und Politik und die Rolle der Gewerkschaften“. Auf dieser Grundlage geht es dann zu Stichworten wie Gewalt, Rassismus oder mangelhafter Fehlerkultur.
„Dieses Buch . . . nimmt keine vermittelnde Position ein“, schreiben Derin und Singelnstein. Es gehe darum, „die Polizei in all ihren Widersprüchen zu betrachten“. Es ist nämlich doch nur eine einzige. Gebraucht und überstrapaziert einerseits, viele Menschen geben ihr in jeder Situation bedingungslos Recht - oder ihren gewerkschaftlichen Interessenvertretern, die zu gern als Experten für innere Sicherheit auftreten. Gefürchtet bis gehasst andererseits, wo man ihr die Gelder kürzen, ja sie abschaffen will, so eine US-amerikanische Diskussion.
Forscher: Problematische Charaktere schon im Einstellungsverfahren aussieben
Beispiel rechtsextreme Einstellung, Beispiel aufgelöste Einsatzgruppen: Manche Forscher vertreten die „Rekrutierungsthese“, dass streng hierarchische Organisationen (wie auch die Bundeswehr) solche Naturen anziehen. Andere die „Sozialisationsthese“, wonach ein solches Weltbild durch die eigene Polizeiarbeit entstehen kann, gefördert noch durch einen großen Korps-Geist.
„Dass heißt nicht, dass die Polizei insgesamt eine Affinität zur extremen Rechten haben muss“, sagt Singelnstein im Gespräch mit der Zeitung ,Frankfurter Rundschau’: „Aber es besteht die Gefahr. Dem muss die Organisation entgegenarbeiten.“ Sie müsse etwa bei Einstellungen genauer hinschauen und problematische Charaktere schon hier aussieben. „Eine Social-Media-Recherche zu den Bewerbern ist im Zweifel ertragreicher als eine Anfrage beim Verfassungsschutz.“
„Polizei ist heute rechtsstaatlicher, demokratischer und besser ausgebildet“
Bevor nun ein falscher Eindruck entsteht, auch solche Sätze stehen in dem Buch: „Heute ist die Polizei nicht nur rechtsstaatlicher und demokratischer, sondern auch besser ausgebildet und personell diverser aufgestellt als früher.“ Dass das so bleibt, ja weitergeht, das wollen die Autoren ja nur.
Freilich muss die Polizei es auch wollen und bewusst fördern: „Die Makel der Polizei sind von innen gut sichtbar. Die Frage ist nicht, ob Polizeibeamt:innen von diesen Dingen wissen, sondern ab wann sie etwas sagen und wo die Führung einschreitet.“
Benjamin Derin, Tobias Singelnstein: Die Polizei. Helfer, Gegner, Staatsgewalt. Inspektion einer mächtigen Institution. Ullstein Verlag, Berlin 2022, 438 Seiten, 24,99 Euro.