Essen. Nach dem umstrittenen Polizeieinsatz in der Düsseldorfer Altstadt fordert die Gewerkschaft der Polizei in NRW eine Reform polizeilicher Technik.
Mit vollem Körpereinsatz fixieren die Polizeibeamten einen 15-Jährigen auf dem Boden. Ein Polizist kniet auf dem Rücken des Gefesselten, ein anderer auf seinem Kopf. „Hol’ mal dein Knie runter - Bruder, das ist nicht lustig“, hört man eine Stimme aus dem Hintergrund.
Über die Verhältnismäßigkeit dieses Einsatzes am Samstagabend in der Düsseldorfer Altstadt, der in einem 28 Sekunden langen Video im Netz zu sehen ist, entbrannte in der Folge eine heftige Debatte. „Diese Technik ist Teil der Ausbildung, der Kollege hat sie schulmäßig eingesetzt“, verteidigt Michael Mertens, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in NRW, das Vorgehen.
„Der Kollege hat ausgeführt, was man ihm beigebracht hat“, sagte Mertens dieser Redaktion. Ob diese Methode, einen Menschen am Boden zu fixieren, indes noch zeitgemäß sei, bezweifelt der Gewerkschafter. „Die Technik muss verändert und angepasst werden“, fordert er.
Kein Vergleich mit dem Fall George Floyd
Ein Vergleich mit den Methoden der US-Beamten, die zum Tod des US-Amerikaners Goerge Floyd führten, verbiete sich aber, betont Mertens. „Floyd wurde über acht Minuten misshandelt und getötet. In Düsseldorf vergingen von der Ansprache des 15-Jährigen bis zum Abtransport nur zweieinhalb Minuten.“ Zudem drückte nach seiner Auffassung das Knie des Beamten nicht auf den Hals, sondern auf den Kopf des Jugendlichen. Und: „Am Ende wurde niemand verletzt. Der Junge konnte seinen Eltern übergeben werden.“
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Experten kritisieren, dass der umstrittene Polizeieinsatz nun von der Polizei in Duisburg zusammen mit der Staatsanwaltschaft Düsseldorf aufgeklärt werden soll. Der Bochumer Kriminologe Tobias Singelnstein fordert gegenüber der Deutschen Presseagentur eine Ermittlung durch neutrale Stellen und nicht durch Polizei und Staatsanwaltschaft selbst. „Je mehr Unabhängigkeit desto besser in solchen Fällen.“
Verdacht der Parteilichkeit der Ermittler
Diese Position teilt Eric Töpfer vom Deutschen Institut für Menschenrechte: „Wenn Polizei gegen Polizei ermittelt, steht grundsätzlich der Verdacht der Parteilichkeit im Raum“, sagte Töpfer dieser Redaktion. „Auch wenn die Ermittlungen in den Händen einer anderen Polizeibehörde liegen, ist nicht auszuschließen, dass Ermittler und Beschuldigte sich aus der Ausbildungszeit oder von gemeinsamen Einsätzen kennen.“
Zwar sei die örtliche Staatsanwaltschaft „organisatorisch und berufskulturell unabhängig von der Polizei, hat aber durch ihre täglichen Arbeitsbeziehungen in der Regel eine deutliche Nähe zu ihr, so dass auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Strafverfolger befangen sind.“
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Die Polizei sei befugt, Gewalt einzusetzen, wenn polizeiliche Maßnahmen durchgesetzt werden müssen, die ohne Anwendung von Zwang nicht durchgesetzt werden können, erklärte Singelnstein. Doch einige Situationen könnten eskalieren. „Manche Einsatzgeschehen schaukeln sich leichter hoch. Dann wird zuweilen anders reagiert als bei einer Routinekontrolle.“ Mit Konsequenzen müssten die Beamten meist nicht rechnen.
Viele Opfer verzichten auf eine Anzeige
„Etwa 90 Prozent der Ermittlungsverfahren werden eingestellt“, sagte der Kriminologe, der seit Jahren zum Thema rechtswidrige Polizeigewalt forscht. „Wir gehen davon aus, dass viele Opfer rechtswidriger Polizeigewalt auf eine Anzeige verzichten, weil die Erwartung besteht, dass sowieso nichts passiert.“ Der Kriminologe vermutet eine hohe Dunkelziffer bei solchen Fällen. Er fordert daher eine Kennzeichnung von Beamten mit sichtbaren Dienstnummern.
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GdP-Chef Mertens betont hingegen, dass die Beamten in ihrer Ausbildung auf solche Situationen vorbereitet werden. „Die Anwendung unmittelbaren Zwangs lässt sich bei der Polizei nicht immer vermeiden. Wir müssen in Konfliktsituationen Gewalt anwenden – von einfacher körperlicher Gewalt bis zum Schusswaffengebrauch.“ Aber klar sei auch: „In jedem Einsatz stecken auch Emotionen und Stress.“
Strenge Vorgaben bei Fixierungen
Bei der Fixierung von Verdächtigen müssen die Beamten strenge Vorgaben befolgen, bestätigt das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei (Lafp). Die vorgeschriebenen Techniken zur Fixierung einer Person am Boden würden keine „direkte Belastung der Wirbelsäule, von Hals oder Nacken“ beinhalten, da „die massive Einwirkung auf wichtige Blut- und Nervenbahnen gerade in Bodenlage eine erhöhte Gefahr hervorrufen könnte“, erklärt Sprecherin Sevinc Sethmacher.
Hingegen müsse der Beamte, „mit dem „Knie oder dem Schienbein die gegenüberliegende Schulter belasten, um ein Aufstehen der Person zu verhindern“. Gebe der Verdächtige allerdings seinen Widerstand nicht auf, könne es erforderlich sein, „mit dem Schienbein oder dem Knie auf die knöcherne Struktur eines seitlich liegenden Kopfes einzuwirken“.
>>>>Weitere Fälle innerhalb weniger Tage
In Hamburg sorgt ein Polizeieinsatz gegen einen 15-Jährigen ebenfalls für Diskussionen. Dort brachten bei einer Kontrolle am Montag mehrere Beamte den Jungen mit Gewalt zu Boden und fixierten ihn.
In Frankfurt wurden dienstrechtliche Maßnahmen gegen einen Polizisten eingeleitet. Der Vorwurf lautet Polizeibrutalität bei einer Festnahme in der Nacht auf Sonntag. Ein Beamter soll auf einen am Boden liegenden Mann eingetreten haben.