Ruhrgebiet. In immer mehr Fußballkreisen im Ruhrgebiet ist es nicht mehr möglich, alle Pflichtspiele mit einem offiziellen Schiedsrichter zu besetzen. Der Fußballverband Niederrhein zählt noch 2600 Referees - es waren mal 4400. Vereine bekämpfen den Trend, stoppen können sie ihn bisher aber nicht.
Er erzählt von Fußballvätern, die in ihrer Wut 14-jährige Schiedsrichter, halbe Kinder anfassen. Von Fahrrädern, die gegen die Schiedsrichter-Kabine geschleudert werden; oder E-Jugend-Trainern, die, wenn’s Scheiße läuft, „sich aufführen wir Jürgen Klopp“.
1998 hat Gregor Werkle zu pfeifen begonnen, „etwas Theater ist immer, keine Frage“, sagt der Castrop-Rauxeler: „Aber seitdem ist es noch einmal nach oben gegangen.“ Und die Folge ist: Dem Fußball gehen gerade die Schiedsrichter aus. Alles Pfeifen?
Die Zahl der Schiedsrichter sank in 20 Jahren um fast 3000
Schiris wurden schon immer gesucht. Jetzt aber ist die Axt gelegt an Deutschlands wichtigste Hauptsache. In den Verbänden Niederrhein und Westfalen sank die Zahl der Schiedsrichter in 20 Jahren von 10.400 auf etwa 7500. „Ab der E-Jugend setzen wir ausgebildete Schiedsrichter ein, das klappt nicht mehr komplett, und in der D- funktioniert’s noch gerade, aber wehe, einer wird krank,“ sagt Werkle, Schiedsrichter und Ehrenamtlicher im Fußballkreis Herne/Castrop-Rauxel. Und im Fußballkreis Hagen/Ennepe-Ruhr sagt Walter Werthmann: „Es gelingt uns seit einiger Zeit nicht mehr, sonntags alle Spiele zu besetzen.“
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Pfeifen muss dann ein Angehöriger. Von einem der Vereine, von einem der Spieler. Er steht automatisch unter Schieber-Verdacht. Dann gehen die Wellen erst recht hoch. Geregelter Spielbetrieb sieht anders aus. Gute Nacht, Kreisliga.
Das Hauptproblem: Schmähungen und Drohungen
Irgendwann hat Patrick K. das nicht mehr ertragen. Beleidigungen, Drohungen, Kritik – für sechs Euro plus Fahrtkosten. „Du wirst beschimpft, deine Familie wird beleidigt“, sagt der junge Mann dem Fachblatt „Schiedsrichter aktuell“: „Wenn auch noch jemand kommt und deine Gesundheit bedroht, hast du wirklich den Köttel in der Buchse.“
16 Jahre war K., als er die Pfeife weglegte. Heute sieht er die Dinge etwas differenzierter: „Ich hatte mit 16 noch nicht so eine Kuhhaut, wo all das drauf ging.“
Blöde Anmachen, verbaler Druck
Denn eins muss man sich ganz klar machen: Es ist vor allem verbaler Druck und blöde Anmache, die Schiedsrichter zum Aufhören veranlasst. Der Druck endet oft nicht mit dem Spiel, er kann sich auf dem Schulhof fortsetzen oder bei Facebook.
Echte, schmutzige Vorfälle aber sind weiter selten: Nach einer groben Schätzung gibt es an jedem Wochenende im Ruhrgebiet rund 3400 Pflichtspiele – und kaum mal eins hat einen ordentlichen Zwischenfall zu bieten.
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Nicht jeder Kandidat kommt ganz freiwillig
Und doch ist Patrick typisch. Denn so wird man Schiedsrichter: Die Vereine haben eine Quote zu erfüllen und schicken 14-, 15-, 16-Jährige zum Lehrgang – das spricht schon nicht für begeisterte Freiwilligkeit bei jedem. Dann stehen sie „bei ihren ersten Spielen unter einem Druck, wie sie ihn noch nie kannten“, sagt Werkle. Und so ist gerade bei den jüngsten Schiedsrichtern die Fluktuation sehr groß. Anders gesagt: Wer da durchhält und die Kuhhaut aufträgt, die Patrick nicht wachsen wollte, der wird danach Jahrzehnte pfeifen.
Nebenbei, haben die Jungen auch noch ein paar Unwichtigkeiten im Kopf, die nur Zeit fressen. Schule. Lehre. Mädchen. Man muss sich also entscheiden. Und so reicht es derzeit nicht mehr ganz. Vereine haben angefangen, Ordner zu stellen und Schiedsrichterbetreuer, die sich kümmern von Anreise bis Abfahrt. Und die Fußballkreise?
Schiedsrichterpaten sollen helfen
Organisieren ältere Kollegen als Paten, die mitreisen, beraten und schützen. „Einen Wandel schafft man nur durch eine ganz intensive Betreuung des Schiedsrichters“, sagt Werkle. Ein anderer Schiri-Lehrwart sagt: „Wir wollen nicht nur, dass er nicht schlecht behandelt wird. Wir wollen, dass er als der aufgenommen wird, der den reibungslosen Ablauf eines Spiels garantiert.“ Denn sonst pfeift bald auf noch mehr Plätzen Papa zum Anstoß. Gute Nacht, Kreisliga.
Freilich gibt es auch Leute, die gehen in Gegenrichtung. Seit dem Jahr 2000 hatte Serkan Besli gepfiffen, 2011 bekam er ein Angebot als Trainer und wechselte. Bis heute. „Ich hatte den Spaß an der Pfeife verloren. Das Gewinnen fehlte mir“, sagt der Herner. Die Rückkehr zum Pfeifen schließt er aber nicht aus, nachdem er als Trainer diese Erfahrung mit seiner eigenen, parteiischen Person machte: „Fehlentscheidungen zu akzeptieren, fällt mir etwas schwer ...“