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Das Ergebnis war eindeutig. Das Kreis-Pokalspiel im Grunde gelaufen. 7:0 führte der SV Rindern, als ein Spieler von Siegfried Materborn auf den Schiedsrichter zulief, sauer wegen eines ausgebliebenen Pfiffs. Ganz dicht stand der Kicker vor dem Unparteiischen, plötzlich ging der Mann in Schwarz zu Boden, und dann dauerte es nur noch Sekunden, bis Schiri Dennis Klösters die Partie im Kreis Kleve beendete. Nach nur 75 Minuten nahm sich der Unparteiische den Ball und blies ein letztes Mal in die Pfeife. Abbruch.

Es ist nicht einfach, Schiedsrichter zu sein. Es gibt die Geschichten über Fußballväter, die in ihrer Wut 14-jährige Schiedsrichter, halbe Kinder, anfassen. Geschichten von Fahrrädern, die gegen die Tür der Schiedsrichter-Kabine geschleudert werden; oder von E-Jugend-Trainern, die, wenn es schlecht läuft, sich aufführen wir Jürgen Klopp.

Pfeifen muss dann ein Angehöriger

Und die Folge ist: Dem Fußball gehen gerade die Schiedsrichter aus. Schiedsrichter wurden schon immer gesucht. In manchen Kreisen gelingt es nicht mehr, sonntags alle Spiele mit neutralen Schiedsrichtern zu besetzen. Pfeifen muss dann ein Angehöriger. Von einem der Vereine, von einem der Spieler. Er steht automatisch unter Schieber-Verdacht. Dann gehen die Wellen erst recht hoch. Geregelter Spielbetrieb sieht anders aus. Gute Nacht, Kreisliga.

Irgendwann hat Patrick K. das alles nicht mehr ausgehalten. Beleidigungen, Drohungen, Kritik: und das für sechs Euro plus Fahrtkosten. „Du wirst beschimpft, deine Familie wird beleidigt“, sagt der junge Mann im Fachblatt „Schiedsrichter aktuell“: „Wenn auch noch jemand kommt und deine Gesundheit bedroht, hast du wirklich den Köttel in der Buchse.“ 16 Jahre war K., als er die Pfeife weglegte. Heute sieht er die Dinge etwas differenzierter: „Ich hatte mit 16 noch nicht so eine große Kuhhaut, wo all das drauf ging.“

Denn eins muss man sich ganz klar machen: Es ist vor allem verbaler Druck und blöde Anmache, die Schiedsrichter zum Aufhören veranlassen. Der Druck endet oft nicht mit dem Spiel, er kann sich auf dem Schulhof fortsetzen oder bei Facebook. Echte, schmutzige Vorfälle aber sind gottlob weiter sehr selten: Nach einer groben Schätzung gibt es an jedem Wochenende im Ruhrgebiet rund 3400 Pflichtspiele – und kaum mal eins hat einen ordentlichen Zwischenfall zu bieten.

Und doch ist Patrick typisch. Denn so wird man Schiedsrichter: Die Vereine haben eine Quote zu erfüllen und schicken 14-, 15-, 16-Jährige zum Lehrgang – das spricht schon nicht für begeisterte Freiwilligkeit bei jedem. Dann stehen sie „bei ihren ersten Spielen unter einem Druck, wie sie ihn noch nie kannten“, sagt Werkle. Und so ist gerade bei den jüngsten Schiedsrichtern die Fluktuation sehr groß. Anders gesagt: Wer da durchhält und die Kuhhaut aufträgt, die Patrick nicht wachsen wollte, der wird danach Jahrzehnte pfeifen.

Nebenbei haben die Jungen auch noch ein paar Unwichtigkeiten im Kopf, die nur Zeit fressen. Schule. Lehre. Mädchen. Man muss sich also entscheiden.

Am Niederrhein sank die Zahl der Schiris von 4400 auf 2600

Und so reicht es derzeit nicht mehr ganz. Der Fußballverband Niederrhein in Duisburg zählt noch 2600 Schiedsrichter, es waren mal 4400. Was machen die Vereine, die Verbände? Sie haben angefangen, Ordner zu organisieren; sie stellen jemanden ab, der sich um den Schiri kümmert von der Anreise bis zur Abfahrt. Sie organisieren erfahrene Kollegen als Paten, die mitreisen, beraten und schützen.

„Einen Wandel schafft man nur durch eine ganz intensive Betreuung des Schiedsrichters“, sagt Werkle. Ein anderer Schiri-Lehrwart sagt: „Wir wollen nicht nur, dass er nicht schlecht behandelt wird. Wir wollen, dass er als derjenige aufgenommen wird, der den reibungslosen Ablauf eines Spiels garantiert.“ Denn sonst pfeift bald auf noch mehr Plätzen Papa zum Anstoß.

Freilich gibt es auch Leute, die gehen den Weg in Gegenrichtung. Seit dem Jahr 2000 hatte Serkan Besli gepfiffen, dann bekam er 2011 ein Angebot als Trainer und wechselte. Bis heute. „Ich hatte den Spaß an der Pfeife verloren. Das Gewinnen fehlte mir“, sagt der Herner. Die Rückkehr zum Pfeifen schließt er aber nicht aus, nachdem er als Trainer diese interessante Erfahrung mit seiner eigenen, parteiischen Person machte: „Fehlentscheidungen zu akzeptieren, fällt mir etwas schwer . . .“