Ruhrgebiet. . Passen Mensch und Industrie zusammen? In der „Langen Nacht der Industrie“ waren die Bürger eingeladen, hinter die Tore von Walz- und Stahlwerken, Unternehmen für Autos, Tee und Aluminium zu schauen. Und waren fasziniert von Kulisse und Ingenieurskunst.

Industrie? Braucht kein Mensch. Es scheint nicht gut bestellt um das Zusammenleben dieser beiden, wenn Umfragen solche Antworten ausspucken, wenn Bürger sich wehren gegen Fabriken allerorten und der Chef einer Walzstraße im Ruhrgebiet sagt: „Man kann den Eindruck bekommen, dass Industrie dazu da ist, erstens die Umwelt zu verschmutzen und zweitens Steuern zu hinterziehen.“

Und dann kommen 3000 Leute zur „Langen Nacht der Industrie“ an Rhein und Ruhr, besuchen auf 39 Touren fast 70 Firmen – und hätten noch viel, viel mehr gewollt.

Im Gänsemarsch schieben sich die Neugierigen durch Dämmerung und Dunkelheit, hier mit weißen, dort mit roten, anderswo wieder mit grünen Helmen; zwischen Düsseldorf, Hagen, Wesel und Velbert winden sich die bunten Schlangen durch Leitstände und Maschinenparks, besichtigen Stahl-, Tee- und Denkfabriken, gucken zu beim Rohr-, Alu- und Auto-Machen und sagen hinterher beeindruckt Sätze wie Herr Hombach aus Mainz (!): „Ich bin fasziniert von den Leuten, die sowas konstruieren und bauen.“

Aus 700 000 Tonnen Hausmüll entstehen Strom und Wärme

Geht doch! Denn das ist, was der Verein „Zukunft durch Industrie“ will: „Zusammen bringen, was zusammen gehört.“ Industrie und Mensch. Und der ist neugierig. Wirft seinen Müll zwar weg, will dann aber doch wissen, was damit passiert. Und sieht ihn plötzlich brennen: bei 850 Grad in der „Gemeinschaftsmüllverbrennungsanlage Niederrhein“ in Oberhausen.

Da dürfen die Besucher ein Kläppchen heben, und dahinter ist ein Feuer. . . „Das ist was anderes als unser Ofen zu Hause“, sagt einer. 700.000 Tonnen Müll gehen hier im Jahr durch, und „wir machen was draus“, sagt Geschäftsführer Ingo Schellenberger: Strom nämlich und Fernwärme.

6000 Anmeldungen

Die Lange Nacht der Industrie gab es zum ersten Mal 2008. Seither wächst die Besucherzahl jährlich – und auch die der Firmen, die ihre Pforten öffnen.

Alle 39 kostenlosen Touren im Ruhrgebiet waren kurz nach Bekanntwerden ausgebucht. Rund 6000 Interessenten hatten sich für 3000 Plätze beworben.

Die Besucher hören das gern, die sehen die Flammen, denken Rauch und fragen, fragen, fragen noch nach dem allerletzten Quäntchen Rückstand. Aber da sind ja die „Rauchgas-Waschanlage“ und diese Grafik: die ein winziges bisschen Müllofen zeigt und dahinter die zehnfache Gebäude-Länge zur Aufbereitung der Abgase.

Kopfschüttelnd stehen sie trotzdem da und schauen in den staubigen Bunker, aus dem riesige Kranschaufeln allerlei grauen Abfall in die Kessel werfen: Plastik! Blumentöpfe! Matratzen! Ja, hat denn Oberhausen nicht richtig getrennt? „Gewerbemüll“, beruhigt Matthias Arens, der durch die erstaunlich geruchsneutrale Anlage führt, oder es ist eben kein grüner Punkt drauf.

Und am Ende geht wirklich nichts in die Luft?, fragt eine ältere Düsseldorferin und zeigt die Menge zwischen zwei Fingern. „Also, wenn Sie wirklich Gutes tun wollen“, sagt Matthias Arens, „müssen Sie Konsumverzicht leisten.“

Es war ein Scherz, aber im Ernst ist das die Botschaft des Abends: Der Mensch benötigt die Industrie, was soll er sonst anziehen, wie wohnen? Er braucht sogar Blech. Die Tour 17 bringt ihn deshalb aus Oberhausen nach Mülheim, Station „Salzgitter Mannesmann Grobblech“.

Sie machen hier aus stählernen Brammen breite Bleche, die einst zu Rohren gebogen werden sollen: gute, alte Ruhrgebiets-Kunst. 3000 Tonnen walzen sie am Tag in der Fünf-Meter-Straße, etwa für die Gas-Pipeline durch die Ostsee. „Gutes Gefühl“, sagt Geschäftsführer Fabian Grimpe, dass die „zu 30 Prozent aus unserem Material“ sei.

Bleche schneiden wie Butter

Vor den geweiteten Augen der Gäste wird ein Fünf-Tonnen-Block angefahren, er glüht und poltert, nach wenigen Minuten wird er nur noch 37 Millimeter dick sein. „Relativ einfach“, behauptet Betriebsleiterin Christine Beltrami und wird bestaunt wie die 40 Jahre alte Maschine, die Bleche schneidet wie Butter -- eine Frau!

Tatsächlich haben sie hier auf der Führungsebene 25 Prozent davon. Noch. Denn auch das ist zu lernen in dieser Nacht: Die Müllverbrennung kämpft um Auslastung, das Walzwerk dito. Dort sagt jemand etwas von „der Hand in den Mund“, man hatte schon Kurzarbeit in diesem Jahr.

Und fast könnte man glauben: Um die Industrie zu retten, würden die Menschen heute Abend am liebsten ein Rohr kaufen.