Dortmund. . Die Familien aus Syrien fühlen sich im Dortmunder Flüchtlingsheim sicher. Aber sie mussten viel zurücklassen, und die Bilder tragen sie immer bei sich. Morde und Vergewaltigungen, das war Alltag“, sagt eine von ihnen. Ihre Söhne haben alles mitgekriegt.

Die syrischen Kinder spielen nicht mehr Räuber und Gendarm. Sie spielen Soldat und Rebell. Sie schießen, rennen und fallen hinter dem Zaun des Asylbewerberheims in Dortmund, wo auch die Kinder aus Ägypten wohnen und die aus Eritrea. „Töten und Sterben war in Syrien ganz normal“, sagt der Vater Rezan Chamo. „Nichts Besonderes mehr.“

Es sind diese Bilder, die sie mitgenommen haben aus der Heimat – Bilder und sonst nichts. „Morde und Vergewaltigungen, das war Alltag“, sagt Linda Kehdar, und ihre Söhne haben „alles mitgekriegt“.

Zwei ihrer Jungen und ihren kranken Neffen hat die 35-Jährige aus dem syrischen Osten retten können, ihren Mann ließ sie zurück und auch ihren Ältesten: Die Soldaten haben ihn geschlagen, als er sich schützend vor seinen Vater stellte, erzählt die Frau, der 16-Jährige starb an seinen Kopfverletzungen. Den Mann haben sie abgeholt, „ich weiß nicht, wo er ist“. Linda und er hatten gemeinsam Plakate gemalt für Anti-Assad-Demonstrationen. „Er ist im Knast“, sagt Linda leise, „wenn er noch lebt.“

Linda Kehdar hat eine Wohnung für sich und die drei Jungs

Und wenn er noch lebt, weiß er ja nicht, wo seine Familie nun ist, dass er sich bedanken müsste, meint seine Frau, „für den Schutz“, den sie in Deutschland gefunden hat. In einem von sechs schmucklosen Häusern, einst für Wohnungslose gedacht: Hier wohnt Linda mit 337 anderen in der „Zentralen Unterbringungseinrichtung für ausländische Flüchtlinge“ im Stadtteil Lütgendortmund. An der Hauptstraße wirbt die NPD, drinnen hinterließ der Sprachkurs an der Tafel das Wetter: „der Regen, es regnet“.

Rezan Chamo (31). Foto: Kai Kitschenberg
Rezan Chamo (31). Foto: Kai Kitschenberg

Trotzdem, behaupten die Syrer tapfer, fühlen sie sich wohl hier, sicher wenigstens, „man wird“, sagt Rezan, „nicht mehr behandelt wie ein Tier“. Das sei gut für die Entwicklung der Kinder. Rezan hat die Musik verloren auf seiner Reise. Sie war seine Waffe gegen das Regime, der 31-Jährige hat gesungen für dessen Gegner, bis sie ihn von der Bühne holten. Er saß im Gefängnis, sie sagen, es sei eines der schlimmsten unter den schlimmen im Land, sie haben ihm die Fußnägel ausgerissen, er kann das zeigen. „Es ist ein Wunder, dass ich überlebt habe“, sagt Rezan, er stehe auf einer Todesliste: „Die bringen alle um“, und ihn suchen sie noch immer bei seinen Eltern im Dorf bei Aleppo, jeden Tag. Dabei ist er lange weg, seine Flucht dauerte Monate; sie führte über die Türkei und Griechenland und endete in Deutschland, weil die Schlepper hierher seine schwangere Frau gebracht hatten.

Doch hier ist Rezan ein Sänger, der nicht singt. Denn die Musik war auch sein Beruf, einer, mit dem er gut verdient hat. Aber er ist nur geduldet für ein Jahr, eine Arbeitserlaubnis hat er nicht, dabei würde er gern auftreten bei Hochzeiten. „Ich würde lieber arbeiten, dann könnte ich mich als Mensch fühlen.“ Noch lieber aber wäre Rezan Chamo zu Hause. „Ich denke jeden Tag an Syrien. Wenn ich sehe, wie dort die Leute abgeschlachtet werden, wünsche ich mir, da zu sein.“ Familie, Nachbarn, Freunde, „sie sind alle dort“, und der Kurde kann nicht helfen. Europa und Amerika könnten, findet er, „aber die schauen nur zu, wie Kinder und alte Leute sterben“.

Sie haben Angst, bis nach Dortmund könnten die Häscher kommen

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Oder hilflos zurückbleiben. Wie die Frauen, die Frau Achmad an ihrer Brust trägt, knittrige Fotos in einer fast aufgelösten Papiertüte. Frau Achmad ist erst zwanzig Jahre alt und hat noch nicht einmal mehr eine Heimat: Ihr Dorf, sagt sie, sei weggebombt, sie hat den Schleppern alles gegeben für sich, ihre zwei Kinder und ihren Mann, der Friseur ist, aber plötzlich kämpfen sollte. Frau Achmad heißt nicht so, aber sie hat Angst, ihren Namen zu nennen. Man hat ihr gesagt, die Häscher Assads könnten sie bis Lütgendortmund verfolgen. Sieben Monate war sie auf der Flucht, sie führte über den Sudan.

Die junge Mutter kämpft mit den Tränen, als sie auf die Fotos zeigt: „Die Männer sind tot oder weg, die Frauen allein ohne Geld. Man muss sie da rausholen!“ Das findet auch ihre Freundin Fatma: „In Syrien ist nichts geblieben. Wir sind vor dem Tod geflohen.“ Die Menschen hätten nichts mehr, sagt Frau Achmad: „Kein Haus, keinen Beruf, keinen Wert. Sie sind nur noch die, die getötet werden und vergewaltigt, wir fühlen uns dreckig.“

Ihre drei Mädchen und den kleinen Dara haben die Frauen besser hinaus geschickt, zum Spielen. „Die Kinder vergessen“, glaubt Rezan, „die Erwachsenen leider nicht.“ Dabei sind sie draußen schon wieder Soldat und Rebell – und Dara, der Siebenjährige, fürchtet sich vor den Flugzeugen über Dortmund: Er hat Angst, sie gehören Assad.