Immerath. . Das Dorf Immerath am Niederrhein muss bald dem Braunkohletagebau weichen. 2017 wird auch die 125 Jahre alte Kirche St. Lambertus, die alle gerne den Immerather Dom nennen, abgerissen. Und auch die übrig gebliebenen Einwohner müssen ihre Heimat verlassen und umsiedeln. Einer von ihnen will klagen.

Es ist natürlich kein Dom. Auch wenn das alle gerne sagen. Der Dom von Immerath! Denn er ist ungewöhnlich groß für dieses Dorf, und seine zwei Türme überragen weithin die Landschaft. Doch seine Tage sind gezählt. Wenn alles so abläuft wie geplant, wird St. Lambertus 125 Jahre nach seiner Errichtung abgerissen. Und mit ihm der ganze Ort. Alles für den Braunkohletageabbau, den nur noch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verhindern könnte.

Hier sieht es so aus wie in den 2000er-Jahren im benachbarten Otzenrath. Eben kurz bevor die Bagger kamen. Wohin man sieht, sind die Rollläden an den Häusern heruntergelassen, schützen altersgraue Gardinen deren Inneres vor Einblicken. Efeu umrankt Dächer, Schornsteine und Satellitenschüsseln, Wildwuchs erobert sich die Pflanztische im Glashaus einer verlassenen Gärtnerei zurück. Immerath, die Geisterstadt. Fehlt nur noch, dass der Wind Gestrüppbüschel über den Asphalt jagt.

Zwei, drei Dutzend Einwohnerharren in Immerath aus

1300 Einwohner zählte der Ort einmal, nun sind es vielleicht noch zwei, drei Dutzend, die hier ausharren. Die weitermachen, obwohl das Leben rundherum lange schon bröckelt. Immerath gehört zum Braunkohletagebau Garzweiler II, einer Region mit zwölf Dörfern und 7600 Einwohnern, die für die Kohle abgerissen und umgesiedelt werden. 2017 ist es endgültig so weit. Doch längst wohnt die Hälfte der Immerather nicht mehr hier, sondern im zehn Kilometer entfernten Immerath-neu. Kein Dorf ist das, sondern ein schnödes Neubaugebiet.

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„Wir waren hier selbstständig, ganz autark. Hier gab es ein Krankenhaus, einen Bäcker, einen Metzger, eine Drogerie. Man musste nirgends hin. Und wenn man seine Einkäufe machte, traf man immer jemanden“, sagt Marlies Bereit. Auch die 71-Jährige, man spürt es mit jedem Satz, hat ihre Heimat verloren, als sie vor vier Jahren nach Immerath-neu zog. 20 Jahre war sie im Kirchenvorstand von St. Lambertus, nun kümmert sie sich im sogenannten Kapellenverein um den Dom-Ersatz im neuen Ort. Ein kleiner Kirchenbau, eine Kapelle eben, mit 50, 60 Plätzen.

Eine Geschichte des Abschieds

An diesem Spätsommertag steht sie im Dom und erzählt über dessen lange Historie. Von den vielen Spenden, die damals, vor bald 125 Jahren, in dem kleinen Ort für ihn zusammenkamen. Von den Glocken, die noch aus der Vorgänger-Kirche stammen und 400, ja 500 Jahre alt sind. Es ist eine traurige Geschichte, eine Geschichte des Abschieds. Denn St. Lambertus wurde, wie fast alles in Immerath, an die RWE Power, die Betreiberin des Braunkohleabbaus, verkauft, nach jahrelangen, nach zähen Verhandlungen. Auch vom Inventar werden die Immerather in ihre kleine, neue Kapelle nicht viel mitnehmen können. Das Taufbecken vielleicht, das Kreuz aus dem 13. Jahrhundert und die große Madonna.

„Wir haben unglaublich viele Anfragen für unseren Altar, die Kanzel, die Kirchenbänke. Die kommen aus Litauen, aus Polen und Berlin, aus ganz Deutschland“, sagt Marlies Bereit. Sie weiß, nun wird alles sehr schnell gehen. Am 13. Oktober schon feiern die Immerather ihren letzten Gottesdienst im Dom. Danach wird die Kirchentür verriegelt, bis 2017 die Abrissbirne kommt.

Viele ältere Gemeindemitglieder haben schon angekündigt, an dieser letzten Messe nicht teilzunehmen. „Die sagen, dass sie das nicht schaffen“, sagt Theo Küppers, der Küster von St. Lambertus. Und Küppers kann das nur allzugut nachvollziehen. Vor Jahren, in Otzenrath, hat er das schon einmal erlebt. „Die Leute haben geweint. Die waren in der Kirche getauft worden, zur Erstkommunion gegangen, hatten da geheiratet...“

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Auch in Immerath wird es wohl so kommen. Ohnehin gingen die Einwohner all die Jahre mit dem Gedanken an RWE Power ins Bett, standen sie damit morgens auch wieder auf. Wer noch ausharrt, in Immerath-alt, das sind vor allem die Landwirte, die an ihrer Scholle hängen und am neuen Ort kein Land finden können. Wer noch ausharrt, das ist auch er: Stephan Pütz, 50, von Beruf Polizist und seit 20 Jahren unermüdlicher Kämpfer gegen den Braunkohletagebau.

Der Polizist Stephan Pütz zieht vor das Bundesverfassungsgericht

Pütz tatsächlich hat erreicht, was niemandem vorher gelang. Als Eigentümer eines Hauses in Immerath zog er bis vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Pütz sieht seine Rechte als Eigentümer verletzt und die des Bergbaus überbewertet. Und er rechnet sich ganz gute Chancen aus, dass das Bergbaurecht nach einer Entscheidung des Gerichts reformiert werden muss. „In Deutschland werden nicht die Lichter ausgehen, wenn in dieser Region keine Braunkohle mehr abgebaut wird“, sagt er.

Der Polizist, der in Otzenrath seine Kindheit verbrachte und in Köln studierte, um in seine Heimat zurückzukehren, spricht von einem „großen Unrecht, das den Leuten hier angetan wird. Sie werden ja sogar gezwungen, ihre Toten auszugraben“. Was es bedeutet, umgesiedelt zu werden, erlebte er bei seinen Eltern, die nach Neu-Otzenrath ziehen mussten. Auch er selbst sei damals mehrfach wach geworden und habe festgestellt, dass „ich im Schlaf geweint hatte“.

Pütz jedenfalls bleibt. Seine Nachbarn rundherum sind längst ausgezogen, ihre Gärten verwildern, wachsen zu. Nur für den Fall der Fälle hat auch Stephan Pütz sich ein Grundstück in Immerath-neu gesichert. Sicher ist sicher.