Ruhrgebiet. . Einen Marathon zu laufen bedeutet, 42,195 Kilometer zu Fuß zurücklegen zu müssen. Wohl dem, der sich die Strecke teilen kann. Beim Staffellauf gehen vier Läufer in Etappen die Marathon-Distanz an. Hier schildern sie ihre Endrücke.

Ruhig wollten wir laufen, bloß kein Stress, kein Zeitdruck, wir wollten ja gucken: den neuen Marathon, das Ruhrgebiet, unsere Mitläufer. Vivawest-Mara­thon, und wir sind die WAZ-Staffel beim WAZ-Jedermannlauf: Redakteurin Kathrin Melliwa, Daniel Grunwald (Foto-Pool), Leser Dirk Finkensiep, Reporterin Annika Fischer. Vier teilen sich den Weg.

Und dann steht die Startläuferin an diesem grauen, windigen Sonntagmorgen im Startblock, zwischen lauter aufgeregten Sportlern, es liegt Musik in der Luft und Adrenalin, Tausende weißer Luftballons steigen zum Gedenken an Boston in den Himmel – und die Beine trommeln los, „wie bei einem alten Zirkuspferd“. Dass nach den Ballons auch blau-weißes Konfetti in der Luft ist: geschenkt. Wir sind in Gelsenkirchen (die Kollegin indes ist aus Dortmund gekommen).

Nur eine kleine Irritation hat es gegeben, die einige Marathonläufer aus dem Tritt bringt, bevor sie überhaupt losgelaufen sind: Die Straßenbahnen vom Arena-Parkplatz aus brachten Sportler zu spät an den Start. Die Staffelleute bilden eine Gasse, dann laufen sie den „Ganzstrecklern“ nach: 42,195 Kilometer weit. Auf Zeche Zollverein kommt die nächste Gänsehaut, wieder nicht von der Kälte; die Schritte hallen wider auf dem Industrie-Areal. Hier trennen sich nach kurzem Orientierungsproblem die Wege von Halb- und Marathonis, die Down-Syndrom-Staffel vom „Laufclub 21“ macht unauffällig eine erste Pause: Gruppenfoto.

In Jogginghose vor der Tür

In Katernberg erleben die Sportler erstmals, was diese Laufveranstaltung so eigen und besonders macht: Ein Ruhr-Marathon ist „Pott pur“. Da liegen Menschen mit Kissen oder ohne in ihren Fenstern, so wird man das später auch in Bottrop sehen, in Gladbeck und wieder Gelsenkirchen. Erstaunt schauen manche, viele winken, fotografieren, feuern an. Wie die, die vor die Tür getreten sind. In Puschen. Und/oder in Jogginghose, obwohl sie gar nicht joggen.

Der Vivawestmatrathon in Essen

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Als Staffelläufer, mit dem Wissen, „nur“ zehn, zwölf Kilometer schaffen zu müssen, hat man Zeit, zurückzuwinken. „Danke“ rufen die Sportler für jede Welle, für jeden guten Zuruf, für jeden Applaus, und kommt er auch nur von zwei Händepaaren. In Gelsenkirchen singen drei Jungs „Lauf, lauf, mach dich auf!“ Gute Idee, wir klatschen ab, heben die Hände zum Himmel, und irgendwo bei Gladbeck fällt der Schlussläuferin auf: Sie macht hier Dauerlauf mit Dauergrinsen.

Laufendes Bierglas

In der Essener City könnte man sich das sparen, unser Foto-Mann sieht nur, was er nicht sieht: Menschen. „Gähnende Leere“ in der Rathaus-Galerie, kaum jemand frühstückt am Kennedyplatz – Sonntagmorgen eben. Immerhin gibt es weitere Highlights auf der Strecke: einen laufenden Clown, einen Feuerwehrmann in voller Montur, Robin Hood auf Rachetour? Nein, auf Spendenlauf: Man hört das Geld in seiner Dose klimpern. Später, zwischen den schmucken Vorgärten Bottrop-Welheims, wird WAZ-Leser Dirk einem laufenden Bierglas begegnen. Kein Alkohol drin, eine Frau.

An den Wechselstellen klatschen wir uns ab, man erkennt die „frischen“ Läufer an ihrem Schnaufen – und daran, dass sie die erschöpften Marathonis überholen, die all das allein schaffen müssen. Bottrops Oberbürgermeister Bernd Tischler macht bei Kilometer 30 eine Trinkpause, keine Zeit für den jubelnden Bürger: Er will unter 3:45 Stunden ankommen. Am Ende schafft er es in 3:40. Wir verzeichnen fröhlich: 3:56 Stunden. Zu viert zwar, aber nicht übel für Langsam-Laufen und Gucken. Und wir haben viel gesehen: das Revier, wie es leibt und lebt, das nackte Hinterteil von Herkules auf Nordstern, Männer mit Blumen, im Schritttempo unterwegs zum Muttertag. Und trotz alledem können wir heute ganz normal gehen.

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