Ruhrgebiet. . Eine Razzia folgt auf die nächste - dennoch floriert das „Wirtschaftsunternehmen Rockerbande“ scheinbar wie nie zuvor. Doch warum schafft es der Staat nicht, gegen Vereinigungen wie Hells Angels, Bandidos und Co. vorzugehen? Die Fehler liegen offensichtlich im System.
Wie kann das sein? Eine Razzia jagt die nächste, doch die Rocker tragen weiter ihre Kutten, vielleicht stolzer als je zuvor. Soll ja jeder wissen, mit wem er es zu tun hat. Ein „Hells Angel“ mit Dequiallo-Abzeichen zum Beispiel hat einen Polizisten verprügelt. Öffentlich brüsten die Rocker sich also, Mitglied in einer Mafiabande zu sein. Und Ableger dieser Banden gibt es immer mehr, trotz aller Razzien. Also: Wie kann das sein?
Die beliebteste Erklärung ist, dass die Polizei unzureichend ausgestattet ist und dass in unserem Rechtsstaat jede Straftat nachgewiesen werden muss. Aber diese Erklärung ist unvollständig.
„In der Vergangenheit hat es oft den Fehler gegeben, dass die Polizei eine informelle Absprache eingehalten hat: Wir lassen euch in Ruhe, solange ihr im Rotlichtmilieu für Ruhe sorgt“, erklärt Christian Pfeiffer, Kopf des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. So sind die Rocker erst mächtig geworden. Und sie bleiben mächtig, weil die Fehler im System liegen.
1. Vereinsverbote
Die Kriminellen werden durch Vereinsverbote nur gestört, aber keineswegs dingfest gemacht. „Sie tragen zu einer erheblichen Schwächung bei“, sagt Pfeiffer. „Jedes Mal geht Geld, geht Einfluss verloren. Aber Vereinsverbote setzen auch voraus, dass die Rocker überhaupt Vereine bilden. Sie könnten natürlich auf informelle Strukturen ausweichen.“ Oder einen neuen Verein gründen.
Auch interessant
Beispiel Düsseldorf: Die Hells Angels wurden hier bereits im Jahr 2000 verboten. Übernommen hat hier der „befreundete“ Club „Clan 81“. Altes Spiel unter neuem Namen.
Auch Thomas Jungbluth, Leiter der Abteilung für organisierte Kriminalität am Landeskriminalamt NRW (LKA), sieht in Vereinsverboten lediglich ein Druckmittel: „Man nimmt den Rockern ein Symbol ihrer Identität: Die Kutte ist wichtig für sie.“ Die Auffälligkeit der Rocker mag zu mehr Verhaftungen führen, aber der Mythos rekrutiert umso mehr neue Mitglieder. Zum Beispiel Migranten, denen es neben dem geldwerten Vorteil auch um die übergroße Identität in der Gruppe geht.
2. Kriminelle Vereinigung
Staatsanwaltschaft und Ermittler hatten in Düsseldorf versucht, den Hells Angels die „Bildung einer „kriminellen Vereinigung“ (§ 129 StGB) nachzuweisen. Die Ermittlungsbefugnisse sind bereits bei Verdacht deutlich ausgedehnt. Bei einer Verurteilung könnte man auch „Unterstützer“ bestrafen – wenn jemand etwa eine Wohnung zur Verfügung stellt.
Man hätte auch auf einer viel breiteren Basis das Vermögen der Bande beschlagnahmen können. Doch der Versuch misslang. Verurteilt wurden die Hells Angels wegen „Bildung einer bewaffneten Gruppe“, Raubes und anderer Delikte.
„Kriminelle Vereinigung ist eine Strafbestimmung, die selten zu Verurteilungen führt“, sagt Thomas Jungbluth, Leiter der Abteilung für organisierte Kriminalität am Landeskriminalamt NRW (LKA). Und das ist sehr vorsichtig ausgedrückt. Pfeiffer: „In der gegenwärtigen Fassung ist der § 129 schwerfällig, nicht abgestimmt auf die Strukturen, die wir derzeit vorfinden.“
Hierarchische Organisationen sind ausgenommen
Der Paragraf ist historisch bedingt noch immer darauf ausgerichtet, politische Gegner zu verfolgen. Vor Gericht muss man nachweisen, dass der Angeklagte keine Einzelmeinung mehr hat, sondern sich dem Gruppenwillen unterwirft. Juristisch ausgedrückt: sind „hierarchische Organisationen“ ausgenommen. Doch Rocker haben eben das: eine strenge Hierarchie, einseitige Befehlswege.
Auch interessant
In der Praxis ist es ungemein schwer nachweisen, wo die Motivation des Einzelnen liegt. In Kleve wurde erst im März der Bandido Alexander K. unter anderem für den bewaffneten Handel mit Amphetaminen verurteilt. Nach Ermittlererkenntnissen ist Alexander K. eine „Führungskraft“. Aber natürlich lautet die Linie der Bandido-Verteidiger (und sie haben gute Verteidiger): „Der hat auf eigene Rechnung gehandelt.“
In Italien etwa ist schon die Zugehörigkeit zu einer Mafiaorganisation strafbar. In Deutschland ist vermutlich der Leidensdruck nicht hoch genug, um eine solche Regelung politisch durchzusetzen. Doch auch Pfeiffer glaubt: „Da liegt in der Tat die zentrale Frage: ist unser rechtliches Instrumentarium ausreichend“, um mit diesen Banden fertig zu werden? Mit seinem Institut plant er genau hierzu eine Untersuchung.
3. Geldwäsche
Weil die Ermittler wissen, wie schwierig eine Verurteilung nach § 129 ist, fahren sie meist zweigleisig, und versuchen zum Beispiel Geldwäsche nachzuweisen. Denn das „Wirtschaftsunternehmen Rockerbande“ muss man vor allem wirtschaftlich angreifen.
Strafverfolgung lässt sich aus Rockersicht als Erhöhung der Kosten interpretieren, eine komplette Beschlagnahmung käme einer Pleite gleich. Doch leider ist gerade Deutschland ein Paradies für Geldwäscher, wie die „Financial Action Task Force“ der OECD kritisiert.
In Italien, Holland und England ist die Beweislast bei Geldwäsche umgekehrt
Nicht nur in Italien, auch in Holland und England gibt es Gesetze, die in speziellen Fällen die Beweislast bei der Geldwäsche umkehren: Der Hartz-IV-Empfänger muss erklären, woher das Geld kommt für die neue Harley. Bisher rechtfertigt unerklärlicher Reichtum keine Ermittlung.
Die Experten sind sich einig, dass dies extrem hilfreich wäre im Kampf gegen jede Form der organisierten Kriminalität. „Aber ich sehe kein gesellschaftliches Klima für eine solche Anpassung“, sagt Jungbluth. Der Knackpunkt, sagt er, liegt überdies darin, das Geld überhaupt zu finden: „Bei Vereinen, die wir verboten haben, konnten wir keine allzu großen Vermögen beschlagnahmen.“ Die waren schon gewaschen.
4. Koordination
Al Capone haben sie auch über die Steuern gekriegt. Nach diesem Motto müssen Polizei, Ordnungsamt und Steuerbehörden koordiniert gegen organisierte Kriminalität vorgehen. Dem Türsteher in Kutte mag man keine Straftat nachweisen können, vielleicht aber eine Ordnunsgwidrigkeit, die ihn seine Lizenz kostet.
Das passiert auch, vorbildlich etwa in Düsseldorf. Dort hat man die Rocker aus der Altstadt zurückdrängen können. Doch solche Initiativen sind immer lokal. Die Experten aus den Städten treffen sich zwar mehrfach im Jahr beim LKA, aber der Erfolg vor Ort hängt sehr vom Engagement aller beteiligten Ämter ab.
Hierzu wie zu den rechtlichen Fragen plant Pfeiffer derzeit eine Studie. Er sagt: „Es wäre sinnvoll, stärker spezialisierte Gruppen von Beamten in den Landeskriminalämtern zu gründen. Wir brauchen Profis, die die Szene im Auge behalten und besser in der Lage sind, Verfolgungsdruck zu erzeugen.“