Bonn. . Ein Vater verliert seine Söhne am 4. September 2009 in Kundus, Afghanistan, bei einem Bombenangriff auf einen Tankwagen. Jetzt klagt der Mann vor dem Landgericht Bonn auf Schmerzensgeld: Er will 40 000 Euro von der Bundeswehr.

Die kleinen Jungen wollten helfen, aber sie waren zu schwach. Mit acht Jahren, oder mit zehn, trägt man noch keinen vollen Benzinkanister durch die Wüste heim ins Dorf. Also nahm der Vater ihnen die schwere Last ab. Ein 38-jähriger Bauer, der auf gepachteten Flächen Reis und Mais anbaute und nebenher die Straße nach Kundus bewachte, um seinen Söhnen den Schulbesuch zu finanzieren. Doch nun sind die Söhne tot; gestorben am 4. September 2009 unter den Bomben der Alliierten in Afghanistan. Getroffen in der Warteschlange vor den Tanklastwagen, wo sie anstanden für etwas Treibstoff, während der Vater die erste Ausbeute nach Hause brachte.

Jetzt klagt der Mann vor dem Landgericht Bonn auf Schmerzensgeld: 40 000 Euro. Es ist der erste Prozess um den umstrittenen Angriff auf die entführten Laster in Nord-Afghanistan, den die 1. Zivilkammer ab dem 20. März verhandelt – fast dreieinhalb Jahre, nachdem bei Kundus eine noch immer ungeklärte Zahl von Zivilisten umgekommen ist.

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Von 91 Toten geht die Bundeswehr aus, andere Quellen sprechen von deutlich über hundert – bis zu 140. Genaueres kann nicht mehr festgestellt werden, weil viele Menschen verbrannt, andere nach islamischer Sitte rasch beerdigt wurden. Das allerdings wird vor Gericht auch den Nachweis schwierig machen, dass und wie viele Angehörige der Kläger bei dem Bombardement getötet wurden.

„Das schlimmste Blutbad unter der Zivilbevölkerung seit 1945“

Einen „barbarischen Fehlschlag“ und „das schlimmste Blutbad unter der Zivilbevölkerung seit 1945“ nennt Rechtsanwalt Karim Popal aus Bremen den Luftschlag bei Kundus. Der gebürtige Afghane, der nach eigenen Angaben rund 450 Hinterbliebene von Todesopfern vertritt, wirft dem deutschen Oberst Georg Klein, inzwischen zum General erhoben, die Verletzung seiner Amtspflichten vor: Klein habe die Kampfflugzeuge der US-Streitkräfte angefordert, obwohl er über die Situation vor Ort, auch über die Anwesenheit vieler Kinder, genau informiert gewesen sei. Er habe damit zu einer „schweren Verletzung des Völkerrechts“ beigetragen. Der damalige Verteidigungsminister Franz-Josef Jung stürzte über die „Kundus-Affäre“, ein Ermittlungsverfahren gegen Klein wurde eingestellt.

Zwar hatte das Verteidigungsministerium im Sommer 2010 jeweils 5000 Dollar an 86 von der Bombardierung betroffene Familien gezahlt. Tatsächlich aber, behauptet Popal, sei „die Hälfte dieser Gelder nicht bei den tatsächlich Bedürftigen (Witwen und Waisenkindern) angekommen“. Es bleibe ihnen deshalb „nichts anderes übrig, als ihre Rechte und Forderungen durch die Gerichtsbarkeit anzukündigen“. Zuständig dafür ist das Landgericht Bonn, erklärt Gerichtssprecher Philipp Prietze, „weil das Bundesministerium der Verteidigung als Dienstherr des Offiziers hier seinen Hauptsitz hat“. Die 1. Zivilkammer kümmert sich um Staatshaftungssachen.

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Die Bundesrepublik als Beklagte hat bereits angekündigt, eine Abweisung der Klagen zu beantragen, Popal dagegen gibt sich im Gespräch mit der WAZ siegessicher: Seine Partei sei „Herr der Lage“. „Ich hoffe, dass wir gewinnen.“ Eine Entscheidung wird die Kammer am ersten Verhandlungstag voraussichtlich noch nicht fällen, weitere Klagen sind indes angekündigt: Kurz vor Ablauf einer Frist reichte Popal im Dezember Anträge auf Prozesskostenhilfe in weiteren Fällen ein – bei positivem Bescheid sollen auch hier Sammelklagen folgen.

Auch eine sechsfache Mutter, die Witwe wurde, fordert Entschädigung

Am 20. März wird es zunächst aber auch noch um einen zweiten Fall gehen, möglicherweise werden diese Kläger sogar selbst erscheinen: Eine Witwe fordert eine Entschädigung von 50 000 Euro – für den Ernährer ihrer sechs Kinder. Nicht einmal ein Jahr bis 13 Jahre alt waren die im September 2009 laut Klageschrift, als man ihren Vater in jener Bombennacht aus dem Schlaf weckte. Seine Kinder standen da schon stundenlang in der Warteschlange für die kostbare Ladung der Laster; der 40-jährige Tagelöhner schickte sie nach Hause, stellte sich selbst für Benzin an – und bezahlte das mit seinem Leben.