Gelsenkirchen. 17 Jahre liegt ihr Schlaganfall zurück. Wenn sie von ihm erzählt, steigen Andrea Erb immer noch die Tränen in die Augen. Die Erkrankung hat der Gelsenkirchenerin viel genommen. Ihr linkes Bein, der linke Fuß blieben gelähmt. Ein Schicksal von rund 270 000 Menschen, die in Deutschland jährlich einen Hirninfarkt erleiden.

Über ihre Erkrankung zu reden, fällt Andrea Erb ganz schwer. „Wenn die Erinnerungen hochkommen, muss ich immer noch weinen.“ 17 Jahre ist es her, dass ein Schlaganfall die gelernte Arzthelferin aus ihrem unbeschwerten, schönen Leben warf. „Ich war 35, schlank, bin Ski und Rad gefahren, lebte in einer Beziehung und dachte über Kinder nach.“ Von einer auf die andere Sekunde sollte alles anders sein. Mit den Folgen ihres Hirninfarkts muss die Gelsenkirchenerin bis heute leben. Ein Schicksal – von rund 270.000 Menschen, die in Deutschland jährlich einen Schlaganfall erleiden.

Fünf Wochen vor der Attacke hätte Andrea Erb gewarnt sein können. „Ich hatte extreme Kopfschmerzen, sah immer wieder Doppelbilder.“ Sie schob es auf beruflichen Stress und schluckte Kopfschmerz-Tabletten. Am 12. April 1996 kippte sie nach einem Einkauf plötzlich zu Hause vom Stuhl. „Ich war fast komplett gelähmt, war nur noch in der Lage, mich auf dem Rücken liegend mit dem rechten Bein in Richtung Telefon zu schieben.“ Für die zwei Meter brauchte sie eine Stunde. „Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Das Telefon habe ich dann an der Schnur auf den Boden gezogen.“ Kurze Zeit später konnte Andrea Erb nur noch ihre Augen bewegen. „Und zum Glück noch sprechen.“

Nach ihrem Hilferuf eilten Kollegen vom Pflegedienst, bei dem sie arbeitete, in ihre Wohnung. Sie lebte damals in Kirchhellen und kam in eine Bottroper Klinik. „Dort vermuteten die Ärzte, dass ich eine Querschnittslähmung durch einen Bandscheibenvorfall haben könnte. Denn ich hatte bereits vorher mehrere Vorfälle im Halswirbel-Bereich“, erzählt die heute 52-Jährige.

Im Schneckentempo hat sie sich zurück ins Leben gekämpft

Nach zwei Stunden wurde sie in die Essener Uniklinik verlegt. „Erst vier Tage nach dem Schlaganfall war klar, was ich habe. Die Ärzte hatten auch eine MS-Erkrankung nicht ausgeschlossen.“ Noch bettlägerig kam sie nach einem mehrwöchigen Krankenhaus-Aufenthalt zur Anschlussheilbehandlung in eine Klinik in Essen-Kettwig. „Als ich die nach fast drei Monaten verließ, konnte ich mit einem Stock zehn Meter weit laufen.“ Sie war ein Pflegefall, zog wieder zu ihren Eltern. „Sonst wäre ich im Pflegeheim.“ Ihre Mutter brachte ihr zum zweiten Mal das Laufen bei, half ihr bei der Körperpflege, dem Anziehen. „Wir lernten Gedichte, rechneten, spielten Memory, um mein Gedächtnis zu trainieren. Ich konnte nichts mehr behalten.“

Im Schneckentempo hat sich die 1,64 Meter kleine Frau ins Leben zurückgekämpft. Ihre linke Körperhälfte will bis heute nicht so, wie sie will: Das linke Bein und der Fuß bleiben gelähmt, der Arm und die Hand sind es zum Teil. Vor dem Hirninfarkt hat Andrea Erb geraucht. Sie nahm die Pille und hatte viel zu hohe Cholesterinwerte. Große Risikofaktoren für einen Schlaganfall, die sie ignorierte. Zum Hirninfarkt kam es, als ein Blutgerinnsel ein Blutgefäß in ihrer rechten Gehirnhälfte verschloss.

Nach einer dreimonatigen Reha in einer Klinik in Konstanz konnte sie wieder 100 Meter weit laufen. Ihr Zustand sei auch zu diesem Zeitpunkt noch „miserabel“ gewesen, erinnert sich die Frührentnerin. Ihre Seele litt nicht weniger. „Man fühlt sich wie ein Zombie.“

Zwei Freundinnen von früher sind ihr geblieben

Vor dem Schlaganfall, so erzählt sie, habe sie einen großen Freundeskreis gehabt. Zwei Freundinnen von damals sind ihr geblieben. „So ist das wohl, wenn man nichts mehr machen kann.“ Auch ihre Beziehung zu ihrem Freund hielt der Belastung durch die schwere Erkrankung nicht stand.

Andrea Erb hat der Schlaganfall viel genommen. Ihr wurde aber auch viel geschenkt – eine neue Liebe, mit der die zu 80 Prozent Schwerbehinderte heute ihren immer noch schwierigen Alltag gemeinsam meistern kann. Den Berufsmusiker Norbert lernte sie 2000 durch eine Freundin kennen. Fünf Jahre später wurde geheiratet. Was Andrea Erb schmerzlich erkennen musste, war, „dass es trotz weiterer Klinik-Aufenthalte und ständigem Training körperlich nicht mehr aufwärts geht. Im Gegenteil, ich muss täglich darum kämpfen, dass mein Zustand sich nicht verschlechtert“.

Mehrmals wöchentliche Physio- und Ergotherapie sind für sie bis heute ein Muss. Ist es kalt, ist sie aufgeregt, neigt ihre „schlechte linke Hälfte“ zu spastischen Krämpfen. „Hektik, Zeitdruck, das kann ich überhaupt nicht mehr vertragen“, sagt sie. Ebenso wenig wie die neugierigen Fragen von Fremden, die wissen wollen, was ihr eigentlich fehle. „Mittlerweile sage ich denen einfach: ,Ich hatte einen Unfall’.“