Bonn. . Monir und Yassin C. zählen zu den meistgesuchten Terroristen der Welt. Die Brüder sind die prominentesten Vertreter einer rund 200-köpfigen Bonner Islamisten-Szene. Die entwickelte sich von einer friedlichen Gemeinschaft zu einer gefährlichen Glaubensgemeinschaft, die immer neue Kämpfer hervorbrachte.

Bomben explodieren auf einem Bahngleis. Flammen, Rauch. Menschen schreien, laufen in Panik davon. Mit diesem Horrorszenario auf Video drohte der Bonner Islamist Monir C. kurz vor Weihnachten 2011. „In Deutschland muss und wird es eine Serie von Anschlägen geben, auch gegen das Volk“, sagte er. Ein Anschlagsziel nannte C. damals nicht. Fast auf den Tag genau ein Jahr später lag der Sprengsatz, der nicht detonierte, in seinem Heimatbahnhof auf Gleis 1.

Monir (31) und sein Bruder Yassin C. (28), zwei der meistgesuchten Terroristen der Welt, stammen aus Bonn-Bad Godesberg. Sie sind Anführer und Sprachrohre der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU). Letzter bekannter Aufenthaltsort: Waziristan. Den militanten Dschihadisten werden einige Anschläge mit tödlichen Folgen zugeschrieben. Monir C., alias Abu Adam, und Yassin C., alias Abu Ibrahim, stehen auf der Terrorliste der Vereinten Nationen. Die Brüder sind die prominentesten Köpfe der Bonner Islamisten-Szene, einer der größten bundesweit. Die Polizei spricht von rund 200 Vertretern. Etwa 20 seien gewaltbereit. Ursprünge der Szene liegen in den 90er-Jahren.

Bonn, Hofgarten. Hinter der Uni: eine große Wiese, umsäumt von breiten Alleen, auf denen junge Männer, Frauen in Miniröcken, Professoren und Büroangestellte in der Mittagspause flanieren. Mitte der Neunziger ist dies ein beliebter Treffpunkt der Islamisten. Auf einer Seite der Wiese spielen Studenten Fußball oder trinken Bier, auf der anderen sitzen weiß gewandete Muslime im Kreis um ihre Prediger. Die Islamisten haben lange, fransige Bärte und weiße Kappen. Sie sind leise, viele lauschen nur, andere diskutieren in freundlichem Ton. Nicht unangenehm oder aufdringlich. Ihr Bild ist friedlich, wissbegierig, ruhig. Junge Männer, die sich ernsthaft einer Sache widmen eben.

Kriegserklärung im Säuselton

Es sind Männer wie der aus dem Weihnachtsvideo 2011: Monir C. Elegant das Tuch, eloquent die Sprache. Ein gebildeter Mensch. Mit weicher Stimme sagt er: „Der wahre Muslim weiß ganz genau, wer seine Feinde sind.“ Dann erscheint die deutsche Flagge, sie bekommt den Stempel „Böses Vaterland“ und den Pass von Monir C. aufgedruckt – „wie ein Siegel des Terrors“, sagt ein Ermittler. Monir C. sagt: „Wir werden den Krieg bis vor eure Haustür tragen.“

Vor 15 Jahren, im Hofgarten, kicken die Islamisten in den langen Gewändern noch eine Runde mit. Oder ein Fußballer hockt sich in ihren Kreis, um zuzuhören, wie sie über Gott und den Koran sprechen. Im Erdgeschoss des Barock-Schlosses mit der goldenen Madonna ist eine Caféteria. Auch hier kommen kleine Gruppen der Islamisten zusammen, das Seminar für Islamwissenschaften ist nicht weit entfernt. Niemand macht sich Gedanken über diese jungen Männer, die nur Tee trinken und kein Bier. Sie sind akzeptiert als Gruppe, bleiben aber uninteressant für die Menge im Hintergrund. Sie sind nicht auf den Partys. Gehen nicht in die Clubs. Hängen auch nicht in den Kneipen ab. Sie sind wie verblassende Flecken in einem bunten, aufregenden Bild. Wer redet schon gerne über Glaubenswege, wenn es ein paar hübsche Mädchen gibt, mit denen man sich treffen kann.

Aus Julian wird Abdullah – und aus Marwan ein 9/11-Pilot

Auffällig werden die Islamisten selten. Etwa als sich der Bewohner einer studentischen Wohngemeinschaft in Bonn-Tannenbusch entschließt, zu konvertieren. Eine ruhige Straße mit 60er-Jahre-Bauten am Stadtrand. Dreigeschossig. Dahinter anonyme Hochhäuser. Keine bevorzugte Wohngegend. Eher eine Ecke, aus der man schnell wieder verschwindet. Niemand achtet hier auf den anderen. Der Student, bis eben noch Julian, will nun von seiner WG Abdullah genannt werden. Er hört kehlige Musik auf rissigen Tonbändern, besucht eine Moschee in der Bonner Theaterstraße und lernt Arabisch. Sein Bart franst bald bis auf das schlabberige, weiße T-Shirt. Gedanken macht sich immer noch keiner um Julian. Auch nicht, als er aufhört, Bier zu trinken.

Viele sind diesen Weg gegangen. Zum Beispiel Marwan al-Shehhi. Im Frühjahr 1996 kommt der 18-Jährige aus den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Deutschland. Er wohnt in Bonn, besucht Sprachkurse am Goethe-Institut. Anfang 1998 zieht Al-Shehhi nach Hamburg. Am 11. September 2001 steuert er den United-Airlines-Flug 175 in den zweiten Turm des World Trade Centers in New York. Davon ist das FBI überzeugt.

Der Tod des „furchtlosen Predigers“ Bekkay Harach

Oder Bekkay Harrach. Mit vier Jahren kommt der gebürtige Marokkaner 1981 nach Bonn. Er wächst in Tannenbusch auf. Als Jugendlicher betet er in einem islamischen Zirkel, verkehrt später im Umfeld der König-Fahd-Akademie und in diversen Moscheen der Stadt. 2007 ist er Dschihadist und setzt sich ins afghanisch-pakistanische Grenzgebiet ab. Unter dem Kampfnamen Abu Talha al-Amani und im Namen von El Kaida droht er Deutschland mit Anschlägen. Bei einem Angriff von El Kaida, IBU und Taliban auf das Hauptquartier der US-Truppen in Bagram/Afghanistan soll Harrach ums Leben gekommen sein. „Unser Freund Bekkay aus Bonn, der furchtlose Prediger, der sich mit ganz Deutschland angelegt hat, starb bei dieser Operation“, gibt Monir C. Anfang 2011 bekannt.

Neun Monate später nimmt das BKA den mutmaßlichen deutschen IBU-Statthalter in Bonn fest: Mohammed Salim A. soll der Terrorgruppe Geld beschafft und Kämpfer für den Dschihad gesucht haben, glaubt die Bundesanwaltschaft. Zu dieser Zeit steht Murat K. vor Gericht. Der Salafist hat zwei Polizisten bei einer Demo in Bonn mit Messerstichen schwer verletzt. Er bekommt sechs Jahre. Für dieses Urteil fordert Monir C. Tote. Er ruft zur Ermordung von Politikern der rechtsradikalen Partei Pro NRW und von Journalisten auf. Politiker sollen sterben, weil sie Mohamed-Karikaturen gezeigt haben, Journalisten, weil sie darüber berichtet haben.

Als am Donnerstag der Aufruf zur Geiselnahme kommt, um Murat K. freizupressen, sagt einer, der nach den Bombenlegern von Bonn fahndet: „Die Spirale der Gewalt nimmt kein Ende. Zumindest kein gutes.“