Wuppertal. Der Vater hat die Tochter in die Türkei entführt, nun bedroht er die Mutter. Schutz jedoch können die Behörden Yeliz Evrensel kaum gewähren. Aus Angst schläft sie im Frauenhaus.
Wenn einer mal 20 Minuten zu spät kommt, muss man sich eigentlich keine Sorgen machen. Bei Yeliz Evrensel ist das anders. Ob ihr etwas zugestoßen ist? Ob die Polizei ihr aus Sicherheitsgründen vom Interview abgeraten hat? Beides scheint möglich, wenn man weiß, wie Yeliz Evrensel derzeit lebt. Leben muss. Weil der Mann, mit dem sie einst zwangsverheiratet wurde, der sie geschlagen und gedemütigt hat, weil dieser Mann, der ihr eigener Cousin ist, das gemeinsame Kind in die Türkei entführt hat, ihr immer noch droht und nachstellt.
Am 4. Januar sollte Mustafa Evrensel seine Tochter wieder zur Mutter zurückbringen. Er tat es nicht. Seitdem wird er von der Polizei gesucht. Und Yeliz Evrensel setzt alle Hebel in Bewegung, um ihr Kind zurück zu bekommen: Sie spricht bei deutschen und türkischen Behörden vor, hat in beiden Ländern einen Anwalt, gibt hüben wie drüben Interviews. Mit einem türkischen Kamerateam ist sie sogar selbst in der Heimatstadt ihres Mannes auf die Suche gegangen. Nach Emel, dem kleinen Mädchen mit den dunklen Kulleraugen, das eigentlich im August in Wuppertal eingeschult werden soll und den sechsten Geburtstag an einem fremden Ort ohne Mama gefeiert hat.
Mehrmals am Tag telefoniert sie mit der Polizei
Endlich, da kommt sie. Möglichst unauffällig huscht Yeliz Evrensel in die Bahnhofshalle. Sie trägt eine Sonnenbrille, die langen schwarzen Haare lässt sie mit Absicht tief ins hübsche Gesicht fallen. Sie will sich unsichtbar machen, das zeigt jede ihrer Bewegungen. Mit schnellen Schritten laufen wir durch die Stadt. Ständig sieht die 27-Jährige sich um. Er könnte überall sein. In ihre Wohnung können wir nicht. Seinetwegen.
Ihr „Noch-Mann", wie sie ihn nennt, könnte wieder vor der Tür stehen. Wie an jenem Abend Ende Juni. Yeliz Evrensel war gerade von der Arbeit gekommen, drückte den Aufzugsknopf, da spürte sie jemanden hinter sich. „Er packte mich am Arm und hielt mir den Mund zu. Er sagte, ich soll aufhören." Aufhören, nach Emel zu suchen. Aufhören, das publik zu machen, was er offenbar für eine Familienangelegenheit hält. Yeliz Evrensel kann sich losreißen, ruft um Hilfe. Mustafa flüchtet.
Seit dem Überfall steht Yeliz Evrensels Leben noch mehr auf dem Kopf. Mehrmals am Tag telefoniert sie mit der Polizei. Sie meldet sich ab, wenn sie die Wohnung verlässt, „auch wenn ich nur in den Baumarkt gehe ". Die Nächte verbringt sie im Frauenhaus. Ihren Kellnerjob, den sie dringend braucht, kann sie nicht mehr machen. „Ich habe kein normales Leben", sagt die junge Mutter, „ich werde niemals ein normales Leben haben."
"Wie lange soll ich noch so leben?"
Gerade packt sie wieder die Kisten, sie zieht in eine neue Wohnung, will ihre Handynummer ändern. Mustafa soll ihr nicht noch mehr antun können.
Vor ein paar Tagen wäre es fast soweit gewesen: Die Polizei hatte Mustafa Evrensel geortet, an einer Ampelkreuzung hielten sie ihn an. Doch er weiß, dass er gesucht wird. Er gibt Gas, selbst ein Schuss kann ihn nicht aufhalten. Und wieder ist er auf der Flucht. „Die Fahndung läuft", sagt ein Sprecher der Wuppertaler Polizei. Mehr kann und will man hier nicht sagen. Schließlich ist Mustafa Evrensel offenbar in Deutschland, liest also auch deutsche Zeitungen.
„Das ist kein Zustand", sagt Yeliz Evrensel. „Wie lange soll ich noch so leben?" Darauf hat auch der zuständige Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert keine Antwort. Zu den Übernachtungen im Frauenhaus gebe es wenig Alternativen. „Es ist uns nicht möglich, rund um die Uhr den Schutz einer einzelnen Person zu gewährleisten", sagt er. Emels Entführung sei kein Einzelfall, komme immer wieder bei dramatischen Trennungen vor. Nach Mustafa Evrensel werde intensiv gefahndet. Wenn er gefasst wird, drohe ihm eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren. Sollte er in der Türkei geortet werden, würden die Beamten dort übernehmen.
Von der Türkei fühlt sie sich im Stich gelassen
Genau das bereitet Yeliz Evrensel Kopfzerbrechen. „Deutschland versucht alles, um Emel zu finden", sagt sie. Aber von der Türkei, dem Land, deren Staatsangehörige sie ist, fühlt sie sich im Stich gelassen. Ihre Anfragen würden längst nicht mehr beantwortet. Sie sei selbst vor Ort gewesen, hätte ihren Mann und Emel sogar geortet. Doch bis die Behörden reagierten, war es wieder zu spät.
Als Evrensel auf ein bestehendes Abkommen zwischen Deutschland und der Türkei verwies, biss sie auf Granit: „Das interessiert uns nicht, haben sie gesagt." Der einzige Rat, den sie erhielt: „Ich soll ein paar Euro zusammenkratzen, ein paar Männer engagieren und Emel selbst da rausholen." So langsam glaubt sie, dass der Fall von den türkischen Behörden absichtlich verschleppt werde, „damit sie nachher sagen können, jetzt hat sich das Kind an das Land gewöhnt, wir können sie nicht zurückbringen."
Das alles und auch, dass ihre Familie sie nicht unterstützt, dass Freunde sich zurückziehen, macht Yeliz Evrensel nicht schwächer. „Ich habe mein Leben nicht mehr selbst entschieden, seitdem ich 14 Jahre alt bin", sagt sie. Jetzt hat sie etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt. Sie will Emel zurückhaben, koste es, was es wolle. „Ich bin eine Mutter", sagt sie, „es gibt keine Kündigung vom Muttersein." Für den Vater ihres Kindes habe sie nur noch Mitleid übrig. Sie fühlt sich stärker als er. Auch wenn er ihr das Kostbarste genommen hat.