Oberhausen. . Die 60er-Jahre im Ruhrgebiet waren großartig, finden viele WAZ-Leser. Sie schickten auf einen entsprechenden Aufruf hin Erinnerungen und Geschichten aus jener Zeit ein. Jetzt wurde ein Buch daraus. Es erzählt von Beatles, Blümchenhosen - und von der Sensation Anti-Baby-Pille.

Unzählige Geschichten aus den 60er-Jahren reichten Leser nach einem entsprechenden Aufruf bei uns ein. Rolf Potthoff und Achim Nollenheidt machten ein Buch daraus. Jetzt ist es im Handel und in unseren Leserläden erhältlich. Hier stellen wir Ihnen einige der Erlebnisse in Auszügen vor:

Den Beatles hautnah

1963 sangen sich die Beatles mit „She loves You“ in mein Mädchenherz. Als die Beatles im Juni 1966 im Rahmen einer Blitztourneenach Essen kamen, gab es für mich nur die Frage: Wie komme ich dahin? Von meinen Eltern kam ein klares NEIN. Mein Vater, Beamter bei der Bahnpolizei, sprach von „Gammlern“ und „Langhaarigen“ und blieb hart. Um mich dann doch mit einem Geheimtipp zu überraschen. Unter dem Siegel der absoluten Verschwiegenheit teilte er mir mit, dass er zu den Sicherheitsbeamten auf dem Ankunftsbahnhof der Beatles gehörte und stellte mir in Aussicht, die Ankunft des Zuges miterleben zu dürfen.

Am Vortag erfuhren wir, meine Schulfreundin Rita durfte auch mitkommen, das Ziel unserer Träume: Mülheim-Styrum. Mein Gott war ich aufgeregt, als wir dort am 25. Juni 1966 ankamen. Es war nichts los, Absperrungen waren kaum vorhanden. Sollten wir die Beatles ganz für uns allein haben?

Das Titelblatt des neuen Buchs
Das Titelblatt des neuen Buchs

Als der Sonderzug einfuhr, wurde mir ganz mulmig. Ich werde doch nicht in Ohnmacht fallen, dachte ich. Mein Vater gab mir wie verabredet einen Hinweis, in welchem Abteil sich die Beatles befanden. Ich stieg in den Waggon – und stand plötzlich vor den Beatles. Mein Herz klopfte bis zum Hals und meine Stimme versagte. Ich konnte nur mein Poesiealbum und einen Stift hinhalten und sie stumm um ein Autogramm bitten. Was für ein Augenblick!

Der Moment wurde jäh beendet, als ein Beamter mich aus dem Zug bugsierte. Als John, Paul, George und Ringo ausstiegen, befanden sich auf dem Bahnsteig außer Fotografen nur wir zwei Mädels. Kurz vor der Bahnhofstreppe löste sich die Sperre der Sicherheitsbeamten auf. Unsere Chance. Keiner der Beamten hielt uns auf, als wir uns bei den Beatles einreihten. Wir gingen, nein wir schwebten, neben ihnen die Bahnhofstreppe hinunter.

Das Konzert in der Gruga war nicht mehr wichtig, näher konnten wir nicht an die Beatles heran kommen.

Die „Pille“ war die Sensation für Frauen 

Die Pille war die Sensation. In unserer Familie war meine Tante die erste Frau, die sie – nach dem zweiten Kind – nahm. Es war revolutionär. Für mich war meine Tante eine sehr mutige Frau, eine starke Frau. Sie schützte sich selbst, überließ das nicht ihrem Mann. Sie hatte Spaß und musste keine Schwangerschaft fürchten. Sie bestimmte über sich selbst. Ich schaute bewundernd zu ihr auf. Mein damals etwa fünfjähriger Cousin nahm mich bei einem Besuch an die Hand und zog mich in die Küche.

Er zeigte auf ein Pillenkärtchen, das zwischen Steckdose und Wand in der Nähe der Spüle klemmte. Er gab wohl die Ermahnung, die er selbst bekommen hatte, weiter: „Da darfst du nicht dran gehen, das sind Mamas Kopfschmerztabletten.“ Als ich viele Jahre später selbst die Pille nahm, erinnerte ich mich an diese Angelegenheit. Ich klemmte das Kärtchen auch hinter die Steckdose in der Nähe der Spüle. So fiel mein Blick jeden Tag darauf und konnte sie nie vergessen.

Im Goggo Coupé unterwegs auf Probefahrt 
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In unseren Kfz-Betrieb wurden auch viele Autos gebracht, die aus den 50er-Jahren stammten, jetzt reparaturbedürftig waren. Isettas wurden für Zündung- oder Lichtmaschinenarbeiten auf die Seite gelegt, und ich spezialisierte mich auf „Goggo“ und Varianten. Ein älterer Herr, der sein Coupé liebevoll pflegte (auf der Rückbank immer einen Ersatzmotor parat), machte nach Einstellung von Zündung und Vergaser eine Probefahrt mit mir.

Diese Autos musste man mit Vollgas fahren und so driftete ich auf regennasser Fahrbahn durch die Kurven. Nach einem ungewollten Dreher rutschten wir rückwärts zwischen Baum und Mülltonne. „Zieht gut“, meinte ungerührt der alte Herr.

Beatles-Fans und die Sache mit der Haarlänge 
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Ich habe zu dieser Zeit in einer Duisburger Band gespielt, war und bin ein echter Beatles-Fan, wie früher üblich mit Bravo-Starschnitt im Zimmer. Meine Eltern, musiktechnisch ganz anders gepolt, haben diese Leidenschaft respektiert und den Übungslärm in der Garage ertragen. Wir versuchten, die Lautstärke zu dämmen, indem wir Eierkartons an die Decke klebten. Nur bei der Haarlänge gab es wenig Kompromisse, da der Friseur ins Haus kam – es wurde um jeden Zentimeter gefeilscht.

Natürlich hatten die Bandmitglieder schnell herausgefunden, dass man gut bei den Mädels punkten konnte. Man spielte ja in einer Band und hatte Auftritte. So gab es den einen oder anderen Knutschalarm. Wir fühlten uns auch ohne DSDS als Helden der Stadt.

Die Blümchenhose musste schreiend bunt sein 

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1966 sind mein Freund und ich, 16 Jahre alt, immer von Essen-Kray aus zur City zum „Schaulaufen“ gefahren. Mein Freund mit einer Fellweste und ich in einer schreiend bunten Blümchenhose. Für Jungs war es damals sehr mutig, eine Hose mit Rosenmuster anzuziehen. Natürlich durften die Eltern das nicht wissen. Die Hose hatte ich unter dem Bett versteckt und mich im Hauptbahnhof auf der Toilette umgezogen. Bis zu dem Tag, als mein Vater fragte: „Bist du das?“

Das kam so: In einer WAZ-Ausgabe waren mein Freund und ich zu sehen, der Text begann mit den Worten: „Sie lagen auf den Steinen am Burgplatz und hörten Radio, die ersten Hippies in Essen.“ Es war das Ende für meine Blümchenhose.