Kaarst. . Straßen NRW will in den kommenden Jahren alle 2000 Straßenwärter auf einem Risiko-Parcours trainieren. So sollen sie besser für die Gefahren ihres Alltags gewappnet sein. Denn alljährlich wird ein Straßenwärter im Dienst getötet, 20 weitere werden verletzt.

Vielen Menschen ist es offenbar zu eng im Auto, sonst hätten sie ja nicht all diese Dinge auf die Standspur geworfen: Da liegen Schuhe und Windeln, Getränkedosen und Kuscheltiere, Klopapier (in Rollen), Tetrapaks, Tischtennisschläger, Unterwäsche . . . Jetzt allerdings liegt das Strandgut Abfall nicht mehr an der A 57, sondern – liebevoll arrangiert – in einer Halle in Kaarst. Drei Straßenwärter mit Greifern lesen den Müll auf, und der Lärm, der sie normalerweise draußen umtost, der wird hier eingespielt: Es dröhnt und rauscht und kreischt, doch es stört die Männer nicht. Der Müll ist in zwei Minuten weg.

Allerdings wären die drei, Michael Bart, Mike Holthäuser und Ingo Bonnes, im wirklichen Leben jetzt tot. Denn, so die Auflösung: In der Geräuschkulisse war einiges an Hupen und Bremsen, worauf sie vielleicht besser reagiert hätten. Aufschauen mindestens. Wegspringen am besten. „Sie müssen die Augen auf der Aufgabe und die Ohren auf der Fahrbahn haben“, sagt Moderator Sebastian Rabe in einem etwas gewagten Bild. So, zur nächsten Übung. „Argus Auge, Experiment 3.“ Doch davon später mehr.

„Argus Auge 3“

Die Übungen gehören zum neuen „Risiko-Parcours“ des Landesbetriebes „Straßen NRW“. Seine 2000 Straßenwärter sollen in den kommenden Jahren damit geschult werden, um Gefahren früher erkennen und verringern zu können. Denn der Arbeitsplatz Autobahn ist ziemlich lebensgefährlich: Das Risiko eines tödlichen Unfalls ist 48-mal größer als im sonstigen Arbeitsleben. Einer der 2000 stirbt jedes Jahr in NRW, und rund 20 werden schwer verletzt. „Wir haben extra einen Gedenktag für die getöteten Kollegen“, sagt einer von ihnen: „Allein schon, wenn man ihre Namen wiedersieht . . .“

„Argus Auge 3“ sitzt jetzt in der Person des Straßenwärters Thomas Tenhagen am Steuer eines Lkw. Auch der steht in der Halle in Kaarst, aber für das Sicherheitstraining tun alle so, als stünde er auf einer Standspur. Filme von dichtem Verkehr auf der Sauerlandlinie bei Dortmund werden eingespielt, und die vielleicht zwölf Männer in den orangefarbenen Warnanzügen sollen schätzen, wie schnell ein bestimmtes Auto im Film sich nähert und wie weit weg es ist. Die Entfernung ist für Straßenwärter kein Problem, sie überschlagen die Fahrbahnmarkierung in der Mitte („sechs Meter Strich, zwölf Meter Leerraum, sechs Meter Strich . . .“); beim Tempo freilich gehen die Schätzungen auseinander von „80“ bis „140“. Mit „100“ gelingt Tenhagen ein Volltreffer im Führerhaus. Argusauge!

„Man stumpft mit der Zeit ab“

„Man stumpft mit der Zeit vor der Gefahr ab, nein, man wird cooler“, sagt der 45-Jährige aus Sonsbeck, „aber wenn was passiert, ist man auch wieder sensibler“. Nun soll er in besagtem Verkehrsfluss-Film eine Lücke zwischen Autos und Lastern abwarten, die groß genug ist, damit er sicher aus dem Führerhaus klettern kann. Nach 35 Sekunden ist die Lücke da, die ihm erlaubt, auszusteigen und um den Lkw zu gehen. Das mache man an einem Arbeitstag auf der echten Autobahn „bestimmt 20-, 30-mal“, sagt Tenhagen. Und eventuell anders als in der Übung; einer der Männer sagt: „Ich glaube, die meisten steigen schon aus, wenn nur ein Pkw kommt. Pkw zählt nicht.“