Essen. . Die Ungewissheit ist vorüber. Fast alle Filialen der insolventen Drogeriemarktkette Schlecker sollen Ende Juni schließen. Viele Kunden zeigen Mitgefühl, andere freuen sich schon auf den Ausverkauf. Er soll bald beginnen.
An der Fensterfront hängen noch die Plakate, die den „Schlecker Super Samstag“ anpreisen. Drinnen läuft das Geschäft. Die meiste Zeit stehen an diesem Nachmittag immerhin zwei oder drei Kunden an der Kasse der Schlecker-Filiale in Essen-Rüttenscheid. Nadine Kowalski lässt sich erst einmal nichts anmerken. Sie macht ihren Job. Seit sechs Jahren arbeitet sie nun für Schlecker. „Die Firma war immer fair zu mir“, sagt die Frau, die in diesem Monat 29 Jahre alt wird. Ende Juni, das ist nun klar, verliert Nadine Kowalski ihren Arbeitsplatz – wie mehr als 13.000 Schlecker-Frauen auch. Das Fax, das ihr die traurige Gewissheit gebracht hat, traf gegen 14 Uhr in der Filiale ein.
„Ich muss das Ganze noch verdauen“, erzählt Nadine Kowalski. Sie wirkt nicht wie ein Mensch, der sich mit der Arbeitslosigkeit abfinden möchte. „Ich war mit Leib und Seele dabei“, sagt sie. „Schlecker – das war nicht einfach ein Job für mich, das war Familie.“
Viele Kunden fragen, was aus Schlecker wird, während sie Deoroller, Batterien und Klobürsten aufs Band legen: „Wie? Ist jetzt endgültig aus?“ Ja, nur die Schlecker-Firmen „Ihr Platz“ und „XL“ bekommen eine Chance. „Tut mir leid“, murmelt ein Kunde. „Ist das ein Trauerspiel überall“, seufzt eine ältere Dame. Eine andere Kundin fragt die Kassiererin: „Sehen wir uns denn noch mal?“
Kunden kamen und sagten:„Wir zünden für Euch eine Kerze an“
Die Stimmung in der Belegschaft schwankt zwischen Resignation, Trotz und Verbitterung. „Ich verstehe es nicht, wie so ein Konzern in die Brüche gehen kann“, sagt eine Verkäuferin, die seit elf Jahren für Schlecker arbeitet. Wie es jetzt weitergeht, weiß die 47-Jährige nicht. Nur so viel: „Am Montag gehe ich erst einmal zum Arbeitsamt.“
Bis zuletzt habe sie gehofft, dass es weitergehen wird, erzählt Nadine Kowalski. Ihr hätten Kunden gesagt: „Wir zünden für euch eine Kerze an.“ Damit, dass ihr berufliches Schicksal ohnehin in den Händen anderer lag, hatte sich die Frau längst abgefunden. „Mehr als beten konnte man nicht.“
Kein Retter in letzter Minute
Gehofft hatte sie wie ihre 13.000 Kolleginnen auf einen Retter in letzter Minute. Sei es nun der weiße Ritter in Gestalt des Karstadt-Eigentümers Nicolas Berggruen oder der schwarze „Höllenhund“ Cerberus, wie sich ein US-Investor nennt. Glaubt man Verhandlungskreisen, hat es für diese Hoffnung nie wirklich Anlass gegeben. Die Investoren hätten nicht nur zu wenig Geld geboten. Vielmehr habe keiner eine Idee mitgebracht, wie Schlecker wieder Geld verdienen kann. Die Gläubiger witterten die Absicht, „billig abzustauben“, um die Kette doch zu zerschlagen.
Dazu passt, was Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz über die Gründe für Berggruens Rückzug in der Nacht zum Freitag sagte: Der Karstadt-Eigentümer habe „Angst“ gehabt, seine bei Schlecker geplanten „Maßnahmen“ könnten sich „negativ auf seine sonstigen Tätigkeiten in Deutschland“ auswirken.
Schlechtes Image, hohe Preise
Das schlechte Image, die hohen Preise – alles Ursachen für das Aus. Den Rest gegeben hat Schlecker nach Lesart der Betriebsräte aber die FDP, als sie im März die Transfergesellschaft platzen ließ. Es folgte eine Klagewelle der damals gekündigten 10 000 Frauen. „Niemand übernimmt einen Konzern, gegen den 4400 Kündigungsschutzklagen laufen – auch das geht auf das Konto der FDP“, sagt NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD). Christian Lindner, Chef der NRW-FDP, bleibt dabei: „Die Schonung der Insolvenzmasse und der Banken sowie die Fortführung jedes Geschäfts ist nicht die Aufgabe des Staates.“
Und nun? Sie hätten doch gute Chancen auf eine neue Stelle, sagt die FDP. Arbeitsminister Schneider ist da weniger optimistisch: „Auch im Einzelhandel herrscht leider ein Jugendlichkeitswahn. Das Durchschnittsalter der Schlecker-Belegschaft ist aber vergleichsweise hoch. Hinzu kommt, dass bei Schlecker fast ausschließlich Vollzeitkräfte beschäftigt waren, das ist im Handel sehr ungewöhnlich.“
In den Läden finden viele Kunden warme Worte für die Kassiererinnen, aber nicht alle. „Werden die jetzt auch billiger?“, will eine Seniorin an der Kasse einer Essener Filiale wissen und reckt eine Packung Küchentücher in die Höhe. „Na, ich bring die mal wieder ins Regal und guck jetzt jeden Tag.“