Bonn. . Ruth Levy-Berlowitz dolmetschte den Prozess gegen NS-Verbrecher Eichmann. Im Bonner Haus der Geschichte erzählt sie, was damals in ihr vorging. „Ich lebte, aß, trank Eichmann“, sagt sie. Trotzdem bekam sie von dem Grauen im Prozess längst nicht alles mit.
Es gibt diese Bilder von Adolf Eichmann, die jeder kennt: Wie er, der Organisator des Holocaust, in der Glaskabine sitzt vor Gericht, unbewegt, hinter ihm wachen zwei Soldaten, und auf seinen Ohren sitzen Kopfhörer. Was man nicht sieht, ist, wer zu ihm spricht in den Hörern: Ruth Levy-Berlowitz, aus einer eigenen Kabine, 20 Meter entfernt. Auf Deutsch. „Ich habe ihm in die Ohren geflüstert“, sagt sie. Damit der Angeklagte und der Verteidiger verstehen, was im Prozess gesagt wird.
Die Israelin, die 1961 den Eichmann-Prozess simultan dolmetschte und zuletzt das Urteil übersetzte, ist am Freitag in Bonn. Sie schenkt dem „Haus der Geschichte“, also dem Museum der ehemaligen Bundesrepublik, ihre persönlichen Exemplare des Eichmann-Urteils: das hebräische und das deutschsprachige. Zwei Packen Papier stehen hier für den Sieg der Justiz über das NS-Verbrechen. „Bezirksgericht Jerusalem, Strafakt 40/61“, steht auf dem Deckblatt in Schreibmaschinenschrift: „Der Generalstaatsanwalt des Staates Israel gegen Adolf Sohn des Adolf Karl Eichmann“ – nach jüdischer Tradition wird der Angeklagte über seine Abstammung identifiziert.
"Ich lebte, aß, trank Eichmann"
„Sie hatten mich gefragt, ob ich Lust hätte – Lust hätte! – den Prozess zu übersetzen“, erinnert sich die 86-Jährige. Ihr Mann erklärt sie für verrückt. Ihre Eltern halten sie für wahnsinnig. Freunde warnten sie, sie werde Dinge hören, die sie nicht verkraften könne. Sie aber, Dolmetscherin mit Diplom, 35 Jahre alt, nimmt Bedenkzeit, lässt Unterlagen kommen und zieht für eine Woche in ein Hotel in Herzlia.
„Ich habe mich von allen Gästen zurückgezogen. Ich lebte, aß, trank Eichmann“, sagt sie. Ihr Schlaf bleibt ungestört, sie träumt nichts Schlimmes, und so sagt sie zu: „Ich war eine professionelle Dolmetscherin. Vielleicht war ein bisschen Abenteuerlust dabei.“
Und Deutsch ist ihre Muttersprache. Ruth Levy-Berlowitz ist 1925 in die bildungsbürgerlichen Verhältnissen von Dresden hineingeboren, man pflegte Verbindungen zur Semperoper und hielt wie alle jüdischen Deutschen diesen Hitler für einen unbedeutenden Spinner. Acht Jahre später ist der Spinner Reichskanzler, und noch mal drei Jahre später wandert die Familie nach Palästina aus. Zwei Tanten bleiben. Sie werden sterben in Majdanek.
Der Eichmann-Prozess macht Details über den nationalsozialistischen Massenmord bekannt
Also, der Eichmann-Prozess. „Da saß eine Figur wie versteinert in einem Glaskäfig . . . Er zeigte keine Reaktionen, das war unnatürlich, surrealistisch. Der einzige, der manchmal reagierte, war der Verteidiger Dr. Servatius . . . Richter Mosche Landau verstand jedes Wort der Übersetzung. Er stammte ja selbst aus Danzig.“
Der Eichmann-Prozess von 1961 bringt die Details des Massenmordes erstmals in eine große Öffentlichkeit. In Deutschland, in Israel, im westlichen Ausland. Und ein neues Wort kommt zur Welt: Schreibtischtäter. Adolf Eichmann war Leiter des „Judenreferats IV/B4“ im Reichssicherheitshauptamt. Organisator der Deportationen. Chef im Maschinenraum des Holocaust. Er taucht nach dem Krieg unter in Argentinien, der israelische Geheimdienst spürt ihn dort auf und verbringt ihn vor seine Richter in Jerusalem. In einer Ausstellung im Parlament in Wien 2009 steht Adolf Eichmann als Beispiel für die Beteiligung von Österreichern an dem Morden. Hitler fehlt, interessanterweise.
Ruth Levy-Berlowitz bekommt von dem Grauen nur wenig mit
All das Grauen kommt Ruth Levy-Berlowitz auch im Prozess nicht nah. „Beim Dolmetschen wird sehr starke Konzentration gebraucht“, sagt sie: „Man kriegt kaum mit, um was es eigentlich geht.“ Jeden Nachmittag nach der Arbeit habe „das normale Leben begonnen“. Erst nach dem Prozess „habe ich mir geschworen, dass ich nichts mehr mit Eichmann und der Shoah zu tun haben will“.
Danach arbeitet sie wieder auf Kongressen. 25 Jahre. Bis die Shoah sie einholt. Auf Englisch übersetzt sie für den Angeklagten und die Verteidigung, was im Prozess gesagt wird. Auf der Anklagebank sitzt der ukrainische KZ-Aufpasser John Demjanjuk.