Düsseldorf. . Gegen den Kapitalismus sind sie alle, doch sind sie auch gegen Geld? Da hören die Gemeinsamkeiten im Düsseldorfer „Occupy“-Protestcamp schon auf. Ein Besuch zeigt: Auch hier gibt es Konflikte, vor allem aber Hoffnung.

Vergangene Woche war das Camp noch bunt wie seine Bewohner, jetzt ist es grün. Nicht wegen der Politik, wegen der Planen. Sie haben sie über die Zelte gezogen, um den Regen abzuhalten, der von oben in ihre Gesichter tropfte und von unten in die Matratzen kroch; sie wollen die Welt verbessern, aber der Himmel macht nicht mit.

Dabei liefert die Kirche, auf deren Platz sie das Lager aufgeschlagen haben, das Trinkwasser, und Strom erst nicht mehr, seitdem drinnen dauernd die Sicherung rausflog. Draußen ruft ein Transparent nach „demokratischer und nachhaltiger Energiepolitik“. Aber auch das mit der Demokratie ist so eine Sache, „die kann gar nicht existieren“, sagt ein Student im Küchenzelt. „Die muss man jeden Tag neu erfinden!“ Und der Bewegung geht es ja nicht anders, dies hier ist „Occupy“, Düsseldorfer Ableger des globalen Protests gegen die Finanzsysteme.

Die Wall Street hat so ein Camp, Frankfurt hat eins, aber die Landeshauptstadt eigentlich kein richtiges Bankenviertel. Immerhin, man kann vom Zeltdorf aus die Sparkasse sehen, ein, zwei weitere Geldhäuser und die Filiale der Bundesbank. „Geld definiert, wer die Macht hat“, sagt Vicky aus Mülheim; die 27-Jährige hatte selbst vor kurzem noch welches und vielleicht auch etwas Macht, weil sie herumlief „wie eine Barbiepuppe“ und teuren Kaffee trank statt fairen. Jetzt lebt sie seit November auf dem Kirchplatz und stellt fest: Schlabberhose und Haare lose, „es ist sehr unterschiedlich, wie man behandelt wird“.

Gegenbewegung ohne gemeinsames Feindbild

Es ist auch sehr unterschiedlich, wofür sie hier demonstrieren. Oder wogegen. „Occupy“ will eine gemeinsame Gegenbewegung sein, aber das Feindbild ist kein gemeinsames. Soziale Ungleichheit, klar, Korruption, auch klar, aber muss man deshalb das Geld gleich ganz abschaffen? Es gibt da schon unter den fünf bis zwanzig, die regelmäßig auf dem Martin-Luther-Platz schlafen, mehrere Meinungen, auch darüber, wer was fordern darf. Vorn am Infostand haben sie eine Liste gemalt, was sie bitte brauchen: Wollsocken, Batterien, Farben, Aufstrich („gerne vegan“). Sachspenden am liebsten, „wir wollen dem System kein Geld zuführen“, sagt Vicky. Aber dann haben sie doch ein Spendenkonto.

Auch in der „Demo-AG“ ehren sie gerade die Meinungsfreiheit, alle tun die ihre gleichzeitig kund. „Wortmeldungen, bitte!“, ruft jemand, „wer ist hier eigentlich der Versammlungsleiter?“ Aber Occupy will ja auch keine Hierarchie. Womöglich blieb deshalb auch die Gulaschkanone mal wieder ungespült. Es gibt Konflikte, gesteht Handan, „aber irgendwas hält den Laden zusammen“. Was? Die Vernetzung? Die Verantwortung? „Die Hoffnung“, sagt Handan, „vielleicht ist es die Hoffnung, dass es eine bessere Möglichkeit gibt für diese Welt.“

Diese Hoffnung hat in Düsseldorf viele Gesichter. Das von David, 17, hinter der Occupy-Maske, der denkt, „hier mach ich halt Gutes“. Spricht jeden Tag mit den Menschen, die des Wegs kommen, spült, kocht, lernt, wie man einen Holzofen anmacht, „solche alltäglichen Sachen“. David sagt, „jeder hat hier seine eigenen Ziele“, seins ist, etwas zu tun „gegen das ganze Leid in der Welt“. Er ist gerade in der „Selbstfindungsphase“, träumt davon, dass „viele Menschen aufwachen“. Es gibt auch das Gesicht eines Mannes aus Estland, der überzeugt ist: „Das alte System ist kaputt.“ Er hätte gern, „dass sich was im Denken ändert“.

Außerdem ist Handan da, die gesteht: „Ich habe jeden Tag einen anderen Grund dafür.“ Erst quälte die Medizinerin der Gedanke, „dass an jedem Kaffee, den ich trinke, an allen meinen Sachen das Blut von Kinderhänden klebt“. Sie suchte bei Occupy nach Lösungen, lernte dort mehr „über das Finanzsystem und die Korruption der Banken“, Handan findet: „Wir sind so entwurzelt.“ Im Camp aber „kommen wir ins Nachdenken über die menschliche Natur“, die 27-Jährige selbst denkt viel über Macht nach. Über den Austausch, glaubt sie, „entwickeln die Leute sich weiter“.

Bedeutet der Schirm eine dauerhafte Krise?

Die, die kamen, um zu bleiben, die, die täglich kommen zum Debattieren, die, die Lebensmittel bringen, alle fair gehandelt. Und Sohrab, der stundenlang über den Euro-Rettungsschirm reden kann, ohne Luft zu holen: „Keiner fragt, was dem Geld seinen Wert gibt, aber jeder nutzt es.“ Und bedeutet ein dauerhafter Schirm nicht, dass wir dauerhaft Krise haben? „Wenn Politiker das schon nicht mehr wissen, wieso sollte ich das wissen?“ Jetzt bekommt der Student keine Antwort mehr, er muss weichen aus der Küchenecke, Markus will Äpfel schälen für Kompott.

„Es ist nicht normal, dass wir auf der Straße sind“, gibt Sohrab zu. Was mag es dann sein? „Es ist der Weg des Philosophen“, glaubt der 23-Jährige. Er liegt inzwischen unter ein paar Decken in einem mit Laminat ausgelegten Zelt und friert. „So müsste es sein: dass wir täglich unser Weltbild kaputt machen und neu aufbauen.“ Und für die weniger Radikalen? „Aufmerksam machen, dass es viele Fragen gibt.“

Tatsächlich fragen auch die Leute viel, die hier stehen bleiben, selbst nach einem Vierteljahr noch. „Der Protest“, erklärt ihnen Sohrab, „besteht in unserer Präsenz.“ Occupy „besetzt“, wie der Name sagt, diesen Platz, aber es besetzt vor allem Themen. „Wir freuen uns über Menschen, die mitreden“, steht vorn am Camp, besonders über solche, die sauer sind: „Mut zur Wut!“, „Empört euch!“, sind die Schlachtrufe der Bewegung. Ist das Revolution? Wie man es auch nennt, sagt Handan, „ich glaube, dass sich was ändern kann“.