Essen.. Beim größten deutschen Stahlkonzern Thyssen-Krupp geht eine Ära zu Ende: Ex-Vorstandschef Ekkehard Schulz zieht die Konsequenz aus Milliarden-Verlusten des Konzerns in Brasilien und den USA. Schulz wird zum Jahresende aus dem Aufsichtsrat ausscheiden und sein Mandat als Kurator der mächtigen Krupp-Stiftung niederlegen.
Es sind diese Momente am Ende einer Manager-Karriere, an denen es einfach weitergehen muss, selbst wenn es den endgültigen Abschied bedeutet. Kein Hadern mehr, kein Zaudern. Einer muss die Verantwortung tragen, und wer sonst sollte das sein, als der damals verantwortliche Chef? Schließlich geht es um mehr als persönliche Befindlichkeit, es geht um die Firma.
Am Dienstag also rief Berthold Beitz, der 98-jährige Ehrenaufsichtsrat und Vorsitzende der Krupp-Stiftung, Ekkehard Schulz zu sich. Es dürfte kein einfacher Ruf und kein einfacher Gang gewesen sein. Einer, der nach Jahren der Belobigung, nach einer emotionalen Hauptversammlung mit Tränen und stehenden Ovationen als gefeierter Stahl-Mann mit 69 Jahren die Kommandobrücke verließ und wie selbstverständlich in den Aufsichtsrat wechselte, geht nun ganz. Oder wurde er gegangen?
Berthold Beitz lässt sich von der FAZ mit dem Satz zitieren: „Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn persönlich sehr schätze, dass ich mich aber vor allem Alfried Krupp verpflichtet fühle.“ Dann habe er Schulz gebeten, seine Rolle zu überdenken, um die Pressekampagne zu beenden. Woraufhin Schulz in derselben Zeitung sagt: „Ich bin mir zwar keiner beruflichen Fehler bewusst, aber in dieser Situation bereit, die Verantwortung zu übernehmen.“
Mit „Pressekampagne“ sind wohl die Berichte über das anhaltende Milliarden-Desaster beim Bau des Stahlwerks in den Mangroven-Sümpfen Brasiliens gemeint, das Thyssen-Krupp am Freitag bekannt geben musste. Milliardenschwere Abschreibungen treiben den Konzern in die Krise und werfen die Frage nach der Verantwortung mit Macht auf. Wie konnte das Projekt derart aus dem Ruder laufen, die Kosten von 1,3 Milliarden auf über fünf Milliarden steigen? Wieso wurde wegen ein paar vergleichsweise läppischer 100 Millionen Euro Kostenersparnis eine chinesische Firma mit dem Bau der Kokerei betraut, wo doch die Thyssen-Krupp-Tochter Uhde in dem Geschäft Weltruhm genießt?
Der Druck war offenbar zu groß geworden
Am Mittwochvormittag dann fuhr Schulz ins Essener Quartier von Thyssen-Krupp, um mit dem Aufsichtsratschef Gerhard Cromme zu reden, danach auf den Hügel in Essen, um an der Kuratoriumssitzung teilzunehmen. Letzter Tagesordnungspunkt: eine persönliche Erklärung von Schulz. Dort erklärt er seinen Rückzug aus dem Kuratorium der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die Schulz als Anteilseigner von gut 25 Prozent am Konzern in den Aufsichtsrat entsandt hatte. Folgerichtig ist auch der Rückzug aus dem Aufsichtsgremium zum Jahresende.
Der Druck war offenbar auch im Konzern zu groß geworden. Schließlich mussten über das Brasilien-Desaster 2009 die Vorstände Jürgen Fechter und Karl-Ulrich Köhler ihren Hut nehmen. Jetzt scheidet auch der zuständige Bereichsvorstand Hans Fischer aus, der erst vor einem Jahr zu Thyssen-Krupp gewechselt war. Warum müssen die einen gehen, der Chef aber darf als Aufsichtsrat bleiben?
Firmenpatriarch Berthold Beitz griff wieder in die Geschicke der Firma ein
Da stellt sich die Frage nach der Verantwortung automatisch. Zumal Beitz den Brasilien-Plänen skeptisch gegenüber stand, schon 2006.
Nun also griff der Patriarch Beitz wieder in die Geschicke der Firma ein. Das zweite Mal innerhalb von zwei Jahren. Das erste Mal in den turbulenten Zeiten zwischen April und Mai des Krisenjahres 2009. Schulz wollte bei dem anstehenden Konzernumbau betriebsbedingte Kündigungen nicht ausschließen, die traditionsreiche Sozialpartnerschaft bei Thyssen-Krupp geriet in Gefahr. Aus dem „Eisernen Ekki“ war der „Professor aus dem Vorstand“ geworden. Beitz moderierte den Konflikt zu Gunsten der Arbeitnehmer weg.
Schon damals war die Kostenexplosion in Brasilien Dauerthema. Schulz wehrte sich heftig. „Die Kostenüberschreitung aber jetzt mir anhängen zu wollen, ist ein weiterer Versuch, mich als Vorstandsvorsitzenden zu beschädigen.“ Es waren bewegte Zeiten 2009. Im Interview mit der WAZ sagte Schulz, Beitz habe ihm das Vertrauen ausgesprochen. „Beitz hat mir auf die Brust geklopft und gesagt: ,Sie haben mein Vertrauen. Das ist Ihre Bewährungsprobe.’“
Nun übernimmt Schulz, 70 Jahre alt und 40 Jahre lang im Stahlgeschäft, die Verantwortung. Damit erweist er seinem Unternehmen einen letzten Dienst, aber auch den Aufsichtsräten. Denn auch die Frage nach den Kontrollmechanismen stellt sich.