Essen. Zollverein in Essen hat den Titel als Unesco-Welterbe schon - jetzt will auch das Revier “eine ganze Serie“ von Denkmälern als Markenzeichen schützen lassen. Die Chancen stehen nicht schlecht, heißt es, aber das Verfahren ist langwierig. Und: Eine Anerkennung hätte auch Nachteile.

Wie es ist, in einem Denkmal zu leben, können die Menschen im Ruhrgebiet womöglich bald erfahren. Und zwar nicht nur, wenn sie das Weltkulturerbe Zollverein in Essen betreten, sondern überall und immer. Die gesamte Industrielandschaft Ruhrgebiet bewirbt sich um den Titel „Unesco-Welterbe“.

Ursula Mehrfeld, Geschäftsführerin der Stiftung Industriedenkmalpflege in Dortmund, arbeitet derzeit an den letzten Feinabstimmungen des Antrags, der am 1. November im NRW-Bauministerium in Düsseldorf eingehen muss. „Er wird eine ganze Serie von bisher schon unter Denkmalschutz stehenden Objekten im Ruhrgebiet enthalten“, erklärt Anna Gerhard, Sprecherin der Stiftung. Welche Denkmäler das genau sind, könne nicht vor Abgabe des Antrags und den letzten Gremiensitzungen mitgeteilt werden, einzelne Bauwerke sollen im Vorfeld nicht hervorgehoben werden.

Einzigartig und authentisch

Obwohl sich auch Düsseldorf, Hagen und Krefeld mit attraktiven Baudenkmälern um den Titel bewerben, stünden die Chancen für das Ruhrgebiet nicht schlecht, so hört man. Es könne mit dem bereits existierenden Welterbe Zollverein und anderen Baudenkmälern wie etwa dem Schleusenpark Waltrop ein schönes Gesamtkulturpaket schnüren.

Am einzigen Lehrstuhl in Deutschland für „Materielles und Immaterielles Kulturerbe Unesco“ an der Uni Paderborn verfolgt man die Entwicklung mit Interesse. Im Ruhrgebiet lasse sich sehr gut das Wachstum der Industrie im 18. und 19. Jahrhundert ablesen, deren Niedergang und das Ringen um den Strukturwandel. „Einzigartigkeit und Authentizität“, wie sie die Statuten der Unesco fordern, wären hier allerorten zu finden.

Die Folgen einer solchen Bewerbung könnten für eine Region sehr förderlich sein, sagt Doris Annette Hartmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Unesco-Kompetenzzentrum der Uni. „Die Region wird international stärker beachtet. Der Welterbe-Titel ist zugleich ein Auftrag, die Vergangenheit zu erforschen und die Bauten zu bewahren.“ Die Kehrseite der glänzenden Medaille: „Die Städteplanung könnte dadurch stark eingeschränkt werden.“ Und: Der Titel verpflichtet auf Dauer zu Finanzierung und Pflege der Bauten. „Das müssen in der Hauptsache Land und Kommunen stemmen“, sagt Hartmann. Wem das zu kritisch sei, dem sagt sie: „Man wird ja nicht gezwungen, sich zu bewerben.“

Langwieriges Verfahren

Bis es soweit ist, können indes noch viele Jahre vergehen. Das Verfahren ist äußerst langwierig. Nur zwei Anträge kann Deutschland pro Jahr bei der Unesco platzieren. Zuvor legt jedes Bundesland der Kultusministerkonferenz bis August 2012 jeweils zwei Anträge zur Prüfung vor. Eine Expertengruppe entscheidet darüber im Jahr darauf. Wenn es das Ruhrgebiet durch diese Filter schafft, steht es nicht vor 2014 als deutscher Antrag auf der Unesco-Liste – wo erneut entschieden wird.

36 Denkmäler in Deutschland stehen bereits auf der Welterbeliste der Unesco, vier davon liegen in NRW: Der Aachener Dom (seit 1978), die Brühler Schlösser (1984), der Kölner Dom (1996) und die Zeche Zollverein (2001). Dass der Status als Weltkulturerbe nicht nur Renommee, sondern auch Pflichten bringt, hat man hier erfahren: Bis heute wurden in und um Zollverein rund 250 Millionen Euro investiert. Einen Welterbe-Titel für das gesamte Revier würde man im Essener Norden nicht spontan begrüßen, so ist zu hören: Die Einzigartigkeit wäre dahin.