Essen. . Aktuelle Prüfberichte des Tüv Rheinland beweisen: Das Weltkulturerbe Zollverein ist nicht sicher und muss dringend nachbessern beim Brandschutz. Ein Feuer könnte katastrophal enden.
So gut wie alle Mängel seien abgearbeitet, die restlichen Probleme würden in Kürze aus der Welt geschafft. Thomas Franke, Leiter des Essener Bauamtes, beruhigt die Mitglieder des Essener Bauausschusses. Bei ihrem Treffen am 19. Mai im örtlichen Rathaus verspricht er: Sollten die Herren nichts mehr von ihm hören, sei alles in Ordnung.
Nur einen Tag vor Frankes Beschwichtigungen unterschrieb ein Prüfer des Tüv Rheinland vier Berichte, die das Gegenteil belegen: Nichts ist in Ordnung: Auf Zollverein brennt es lichterloh.
Der Brandschutz der Kohlenwäsche, dem zentralen Gebäude des Weltkulturerbes, er funktioniert nicht. Noch immer nicht. Schon vor acht Wochen waren Beurteilungen von Gutachtern bekannt geworden, die auf Zollverein gefährliche Sicherheitsmängel im Brandschutz festgestellt hatten. Sowohl Zollverein als auch das Bauamt stritten die Probleme damals ab. Ein dritter bestellter Sachverständiger hatte den Betrieb der Anlagen bei Beseitigung einiger Mängel für machbar gehalten.
Nun sind die aktuellen Prüfberichte des Tüv Rheinland aufgetaucht. Dieser stellte etliche, gravierende Mängel fest. Demnach wurden seit fast fünf Jahren, seit der Eröffnung der umgebauten Kohlenwäsche im Jahr 2006, auf Zollverein wesentliche Brandschutz-Mängel nicht beseitigt.
Theoretisch sollen die vorgeschriebenen Brandschutzanlagen dafür sorgen, dass erstens der Rauch aus den Räumen geblasen wird und zweitens die Besucher schnell und sicher nach draußen kommen. Beides funktioniert im Ruhr-Museum nicht ausreichend, obwohl durch die Anlage alleine im vergangenen Jahr eine halbe Million Besucher spazierten. Brennt es im Ruhr-Museum, sitzen die Besucher laut Tüv in der Falle.
Ventilator dreht falsch herum
Die Entrauchungsanlage in Ebene 17, hier befinden sich Ausstellungsräume, ist komplett ohne Funktion. Weder maschinell, noch per Hand ließe sich die Anlage in Gang bringen, schreibt der Tüv-Prüfer. Im Lager des Ruhr-Museums dreht ein Ventilator in die falsche Richtung, bläst den Rauch also nicht nach draußen, sondern nach drinnen. Und auch im sogenannten Bunker läuft der für die Entrauchung vorgesehene Ventilator nicht an. Die Räume füllen sich mit Rauch, statt von diesem befreit zu werden.
Wollen die Besucher vor Feuer und Rauch flüchten, bekommen sie Probleme: Die Türen ins Fluchttreppenhaus gehen extrem schwer auf. Laut Prüfbericht liegt die benötigte Kraft zum Öffnen bei 120 Newton, die gesetzliche Höchstgrenze aber bei 100 Newton. Kinder, Senioren und schwächere Menschen können die rettenden Türen nicht aufdrücken. Und falls sie doch zu den Fluchttreppen kommen, schlägt ihnen Krach wie in einer Disco entgegen. Mit nur einem Meter Abstand zu den Boxen. Der Treppenhaus-Lärm von 100 Dezibel wird seit Jahren von verschiedenen Prüfern bemängelt. Bauamt und Zollverein meinen, das sei okay. Bauamtsleiter Franke verwies im Bauausschuss am 5. Mai darauf, dass es für den Lärmpegel keine gesetzlichen Anforderungen gebe. „Wenn es dort brennt, dann ist es eben laut. Und die einzige Grenze, die es gibt, ist: Wo ist die Schmerzgrenze? Das ist die Zumutbarkeit, und die liegt bei ungefähr 120 Dezibel. Dann tut es weh an den Ohren.“
Die Tüv-Berichte schließen mit dem Satz: „Der Betrieb ist erst nach Behebung der wesentlichen Mängel zulässig.“
Die Berichte liegen dem Zwickauer Brandschutz-Professor Jens Bolsius vor. Dieser sagt: „Dass das schwerwiegende Mängel sind, ist klar benannt. Das ist auch für den Laien verständlich.“ Und weiter: „Ich würde als Verantwortlicher nicht wirklich gut schlafen. Was würde zur Entlastung in einem Schadensfall vor Gericht vorgetragen, wenn die Berichte vom Richter verlesen werden? Sind die alle schlauer als die Gutachter und der Tüv? Fahren die dann auch im Winter noch mit Sommerreifen und mit einer nur teilweise halbfunktionierenden Bremse?“ Noch deutlicher wird Ulrich Max, Brandschutz-Experte der Universität Stuttgart. „Die Prüfberichte sagen: Die Brandschutzanlagen sind unsicher. Keine der Anlagen erfüllt die Voraussetzungen zum Betrieb.“ Sollten die Anlagen Gegenstand der baurechtlichen Genehmigung sein – und davon sei auszugehen – „ist ein Betrieb des Gebäudes nicht zulässig.“
Keine Stellungnahme
Bauamtsleiter Franke wollte zu den Brandschutzberichten des Tüv-Rheinland auf schriftliche Anfrage nicht Stellung nehmen. Die Fragen der Redaktion habe er in den öffentlichen Sitzungen des Bauausschusses „ausführlich und umfassend beantwortet“. Mehr wollte er nicht sagen.
Die Stiftung Zollverein erklärt, ihr liege eine brandschutztechnische Stellungnahme zum Weiterbetrieb der Kohlenwäsche vor. Diese stelle fest: „Die Personensicherheit der Nutzer“ sei nicht gefährdet. Zu den Tüv-Gutachten: Kein Wort. Eine längere Antwort sei wegen einer von dieser Zeitung zu knapp bemessenen Frist nicht möglich.
Die offenen Fragen zu klären fällt schwer. Seit Wochen erhält das WAZ-Rechercheteam keinen Einblick in die Bauakten. Obwohl dies nach dem Informationsfreiheitsgesetz geboten ist. Offiziell wegen laufender juristischer Prüfungen.