Essen. . Vor Jahren noch undenkbar: Schüler und Lehrer schmieden eine Allianz. Gemeinsam lernen sie in Extraschichten für das Zentralabitur und kämpfen gegen Fehler in Klausuraufgaben. Der Frust über Pannen und missverständliche Formulierungen ist groß.
Die Klausuren im Zentralabitur in NRW haben viel Frust verursacht. Grund sind Pannen mit Zahlendrehern, Rechtschreibfehlern und missverständliche Aufgabenstellungen. Eine Mathematik-Klausur musste gleich komplett wiederholt werden. Der Feind ist ausgemacht: Der Zorn der Schüler richtet sich gegen das Innenministerium, das die Abi-Aufgaben in NRW stellt. Vor einigen Jahren noch undenkbar: Nach der Einführung des Zentralabiturs bildet sich immer häufiger eine Allianz zwischen Schülern und Lehrern. Gemeinsam kämpfen sie gegen die Verfasser der Aufgabenstellungen.
„Die Schüler sind beim Lernen viel motivierter als früher“, hat Uwe Lämmel, Vorsitzender der Gymnasiallehrer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW, festgestellt. Die Bereitschaft zu freiwilligen Extraschichten sei enorm gewachsen. „Einige Lehrer bieten unter anderem Wochenendseminare an, um die Schüler auf das Zentralabitur vorzubereiten“, berichtet Lämmel.
Verzweifelte Schüler in Abi-Prüfungen
Nicht nur die Pannen sorgen für Frust bei Schülern und Lehrern. Missverständliche Aufgabenstellungen lassen die Abiturienten während der Prüfung verzweifeln. „So werden die Definitionen in den Klausur-Fragen von der Aufgabenkommission teilweise nicht eingehalten“, kritisiert Lämmel. Es gebe eine klare Vorgabe, wie Schüler bei Aufträgen wie „analysieren, erarbeiten, erörtern, diskutieren“ vorgehen sollen. „Doch was hilft das, wenn sich die Kommission nicht an diese Definitionen hält und stattdessen mehr von den Schülern erwartet“.
Auch einige Fehler in den Aufgaben könnten die Lehrer entdecken, wenn sie einen Tag vor dem Schreibtermin einen Blick in die Klausuren werfen dürften. Das ist bisher nur in den Fächern möglich, bei denen Lehrer die Aufgaben auswählen können. Zudem müssten Schullehrer sich bereithalten, damit Hinweise auf Änderungen noch rechtzeitig vor Klausurbeginn übernommen werden können.
Frust in Foren im Internet
Inhaltlich haben viele Schüler in Internetforen ihrem Frust über die Bio-Klausur für Leistungskurse Luft verschafft. „Ich fand die Abiklausur sehr bescheiden“, schreibt User Norri. „Das ganze Lernen hat nichts genützt, … die Aufgabenstellungen waren ja wohl das Letzte für einen Leistungskurs: nennen, beschreiben, nennen und nochmal beschreiben.“ Bina26 ist ähnlich enttäuscht: „Ich fand’s eigentlich eine Sauerei, dass man für alle anderen Klausuren, die die letzten Jahre im Fach Bio gestellt wurden, immer ein gutes Hintergrundwissen brauchte, aber dafür?!“
Riverside schreibt in einem Forum von „Wischi-Waschi Klausuren, wo man Glück haben muss, dass man genau den Mist geschrieben hat, den die erwarten.“ Trotz Vorbenotung von 14 Punkten habe der User die Genetikaufgabe auch nach mehrmaligem Lesen nicht verstehen können. „Das war eine Frechheit. Und auch bei den anderen Aufgaben war ich alles andere als begeistert. Die Menge an Material war erschlagend und die Aufgabenstellungen mehr als schlecht formuliert. Von nem' Bio-Abi im Leistungskurs erwarte ich mir was anderes. Wofür habe ich 2 Wochen lang die kompliziertesten Dinge gelernt, wenn ich mich dann mit so einem Mist beschäftigen muss. Ich bin echt sauer.“
„Ich bin soo soo enttäuscht von diesem sch… Schulministerium, was soll das denn bitte? Ich hab alle 3 Klausuren hinter mir, und war nach jeder unzufrieden. Hatte schon nach Deutsch gar kein Bock mehr auf’s Lernen, bringt ja nix“, schreibt Mimi92 im Forum von abiunity.
Zu viel Material - zu wenig Zeit
Nach dem Fehler in der Mathematik-Klausur im Grundkurs, der zu einem Nachschreibtermin führte, lassen die Abiturienten ihrem Ärger freien Lauf: „Ich hatte in der GK Prüfung echt schon gedacht, ich hätt' mich verlaufen... Wissen die eigentlich, was die einem antun, wenn man dort sitzt und verzweifelt?!“, schimpft BS7275 bei abiunity.
Die Grundkurs-Klausur im Bereich Ökologie und Evolution hat ebenfalls für Frust gesorgt: Auf Facebook hat sich eine kleine Gruppe unter dem Namen „Kritik zur Grundkurs Abiturklausur in Biologie 2011“ zusammengeschlossen. „Ich fand, dass der Umfang an Aufgaben und Material überhaupt nicht den zeitlichen Vorgaben entsprach. Zumindest wusste ich nicht, wie ich die Aufgaben gewissenhaft in so einer kurzen Zeit bearbeiten und die Masse an Material auswerten sollte“, heißt es hier. „Dieses Problem gehört schon seit Jahren zu unseren Kritikpunkten“, sagt Uwe Lämmel von der Bildungsgewerkschaft. „Die Bioklausuren sind dermaßen mit Material überfrachtet, dass keiner mehr Zeit hat, um in die Details zu gehen.“
Inhaltliches Niveau sei gut
Trotz aller Kritik bewertet Lämmel die Abituraufgaben fächerübergreifend in Sachen Schwierigkeitsgrad, Komplexität und inhaltliches Niveau mit „gut“. Zudem gebe es bei der Diskussion um das Zentralabitur noch eine andere Seite zu beachten: „Mancher Schüler ist heilfroh, dass sein Lehrer nicht die Aufgaben für die Abiturprüfung stellt, weil er eh nie versteht, was der Lehrer meint.“ Zudem gebe es noch das Spannungsfeld, ob sich der Fachlehrer auch an alle Vorgaben des Ministeriums gehalten und alle Themen behandelt hat. „Da hat der Schüler wenig Einblick und muss seinem Lehrer vertrauen“, sagt Lämmel. So wird die neue Allianz gleich auf die Probe gestellt.