Gelsenkirchen. Der Chef des Trinkwasserversorgers schlägt Alarm: Er fordert den sofortigen Stopp der geplanten Erdgas-Probebohrungen in NRW. Die Technologie berge zu viele Risiken für das Trinkwasser im Ruhrgebiet.

Vom Wasser im Halterner Stausee und den Talsperren im Einzugsgebiet der Ruhr sind fünf Millionen Menschen ab­hängig. Unter den Wasseradern des Ruhrgebiets liegen in 1000 Meter Tiefe riesige, bislang unerreichbare Erdgasvorkommen. Dort wollen der US-Ölmulti Exxon und die BASF-Tochter Wintershall nach Gas suchen. „Stoppt den Wahnsinn“, sagt Gelsenwasser-Chef Manfred Scholle im Namen der Wasserwirtschaft.

Der Alptraum der Wasserwerke ist das so genannte Fracking-Bohrverfahren, das bei der Erdgas-Förderung zur Anwendung kommen könnte. Dabei wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und teils giftigen Chemikalien in den Boden gepresst, um die undurchlässigen Gesteinsschichten aufzusprengen und dort lagerndes Erdgas freizusetzen. Rund ein Dutzend Energiekonzerne haben halb NRW unter sich aufgeteilt, um die vermuteten Gasvorkommen zu erkunden. Würde man sie fördern, könnte Deutschland für Jahrzehnte auf Gasimporte verzichten.

Gelsenwasser hat nun die abgesteckten Claims mit der Lage der Wasserschutzgebiete abgeglichen. Ergebnis: Die möglichen Bohrfelder von ExxonMobil und der BASF-Tochter Wintershall überdecken die Wasseradern des Ruhrgebiets – der Halterner Stausee und die Talsperren der Ruhr sind in Gefahr.

50 Tonnen Chemikalien

„Die Braunkohle hat durch die Tagebaue in NRW die Landschaft zerstört, der Steinkohlebergbau im Ruhrgebiet hat den Untergrund kaputt gemacht. Jetzt könnte durch die Fracking-Bohrungen noch unser Wasser gefährdet werden“, kritisiert Scholle. „Bei jeder anderer Bohrung, etwa Erdwärme, sind Wasserschutzgebiete und deren Einzugsbereiche tabu. Und ausgerechnet hier soll Fracking möglich werden?“

Seit drei Monaten analysieren Wasserexperten des Konzerns die möglichen Konsequenzen des Frackings. „Aus Studien und den Bohrungen in den USA wissen wir, wie massiv die Eingriffe in Natur und Wasser sind: 20 Bohrlöcher pro Hektar, 50 Tonnen Chemikalien und Gifte je Bohrung, dazu der erhebliche Lkw-Verkehr an den Standorten“, so Scholle. Die Gifte müssten gelagert, das Frack-Wasser aus den Lagerstätten aufbereitet und fachgerecht entsorgt werden.

Ewigkeitslasten

Scholle befürchtet, dass die ökologischen Kosten auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. „Wir tragen hier in NRW durch den Bergbau schon Ewigkeitslasten in immenser Höhe. Nun sollen in Bergbaugebieten, in denen der Untergrund schon zerstört ist, weitere Schäden angerichtet werden“, argumentiert er. Die Ewigkeitslasten und Kosten des Frackings müsste die Allgemeinheit in den kommenden Generationen bezahlen, „nicht Konzerne wie ExxonMobil, die daran verdienen.“

Als Konsequenz fordern Gelsenwasser und die Wasserwerke den sofortigen Stopp der Probebohrungen. Wie auch im US-Bundesstaat New York und Frankreich müsse ein Moratorium für Fracking-Bohrungen verhängt werden. Zudem müsse Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) das Bergrecht ändern. Umweltverträglichkeitsprüfungen müssten künftig zur Pflicht werden.

Exxon beteuert, die Bohrungen seien sicher. Es sei fraglich, ob Fracking überhaupt zur Anwendung komme. Hunderte Millionen Euro Investitionen verspricht der Konzern, neue Arbeitsplätze und Gewerbesteuer-Einnahmen für klamme Kommunen. Bei einem Moratorium aber müssten die Erdgas-Pläne strategisch neu gedacht werden, sagte ein Exxon-Sprecher.

Moratorium und Bergrecht-Novelle gefordert

Gelsenwasser-Chef Scholle indes sieht keinen Grund, sich von den Bohrtrupps unter Druck setzen zu lassen. „Wir haben doch Zeit. Wir haben sicherlich in 20 Jahren die Technologie, um das Gas zu fördern – ohne diese Gifte und ohne diese Eingriffe in die Natur. Ich sage: Lasst uns innehalten, bis wir die vorhandenen Risiken beurteilen können. “

Scholle misstraut dem US-Konzern. „Bei den Exxon-Bohrarbeiten in Niedersachsen wurden Zwischenfälle vertuscht“, sagt er. Auch verweist er darauf, dass Exxon im vergangenen Jahr das texanische Gasunternehmen XTO für viele Milliarden Euro übernommen habe. Je mehr Rechte für Erdgasförderung Exxon vorweisen könne, umso höher steige der Aktienwert. Scholle: „Ein so dicht besiedeltes Gebiet darf nicht zum Experimentierfeld von Unternehmen werden, die lediglich ihren Börsenwert steigern wollen.“

Gelsenwasser will nun an allen Fronten mobilisieren. Den Landtag, die Bürgermeister in den betroffenen Kommunen, die Menschen und Bürgerinitiativen. „Wir Wasserwerke versorgen Millionen Menschen. Darum haben wir ein Mandat, und deswegen schalten wir uns ein“, sagt Scholle“. „Denn das wichtigste Gut ist das Wasser. Wir müssen es schützen.“