Noch immer ist ein Ende des Winters nicht in Sicht. Dabei türmen sich – vor allem in den kleinen Nebenstraßen – doch schon Schnee und Probleme.
Vier Tage hat Kurt Siekiewicz gegraben. Heiligabend, an den Feiertagen und dann am Montag noch, jetzt liegen Berge aus Eis und Schnee neben seinem Hauseingang, die man kaum mehr überblicken kann – aber man sieht das Auto wieder. Es ist ein Taxi. „Konnte die ganzen Tage kein Geld verdienen“, sagt Siekiewicz. Was musste er auch hier herunterrollen am Tag vor dem Fest, in diese Straße, die schon „Talbogen“ heißt: in Essen-Bredeney. Er fuhr sich fest in einem Loch in der Großstadt.
Es gibt derzeit viele solcher Löcher im Ruhrgebiet. Stadtteile, die am Hang liegen am Rande des Bergischen oder des Sauerlands. Schneelage: tief. Entkommen: unmöglich. Wo die Räumfahrzeuge schon normale Nebenstraßen meiden, in die abgeschiedenen, abgeschrägten trauen sie sich schon gar nicht. „Wenn Sie da nicht rauskommen“, hat der ADAC Herrn Siekiewicz am Telefon gesagt, „dann kommen wir auch nicht rein.“ Also hat er geschaufelt und plattiert: die ganze Straße hinauf bis zur Kreuzung, die sie „Buckel“ nennen. Hier oben türmt sich die weißgraue Masse, aufgeworfen durch Autoreifen, die vergeblich versucht haben, sie niederzuringen.
„Hier wohnen alles alte Leute“
„Schweinerei“, sagt Kurt Siekiewicz, „in der heutigen Zeit!“ Er ist 70 und stützt sich auf seine rote Schaufel, wie sich in der Nachbarstraße der Mann mit der Pelzmütze und die schimpfende Frau auf ihre Schaufeln stützen. „Hier wohnen alles alte Leute“, sagt Willi Hartenstein von gegenüber, und eben sei auf dem „Buckel“ ein Krankenwagen steckengeblieben. Eine halbe Stunde habe das gedauert, die ganze Nachbarschaft kam zum Fegen. Sie schippten das Rettungsauto frei, aber nun liegt der Schnee auf der Kreuzung, man weiß ja nicht, wohin damit. Etwa die Mülltonnen wieder vergraben?
Bochumer Winter
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Winterlandschaft im Ruhrgebiet, das ist schließlich, wenn nicht nur die Häuser Hüte tragen aus Schnee und die Bäume weiße Bommelmützen – sondern auch die Abfalltonnen. Halb stehen ihre Deckel offen und geben den Blick frei auf nicht mehr fassbare Mengen leerer Safttüten und voller Babywindeln. Man möchte es glücklich nennen, dass es kalt ist und nicht warm, aber das ist ja gerade das Problem. Dass die Leute Balkons zu Deponien machen müssen und blaue Tüten füllten mit den Festessensresten, weil die Entsorgungsbetriebe versprochen hatten, alles mitzunehmen. Wenn sie erst wieder leeren kommen können. Nun aber sind mit den Tonnen auch die Tüten eingeschneit.
Stolpern und stapfen
Im Talbogen haben sie alles den Berg hinauf gezerrt, aber dann hat die Müllabfuhr die Container nicht mitgenommen: gehörten oben ja nicht hin. Unten hat der Taxifahrer die Entsorger „schon Wochen nicht mehr gesehen“ und Post? „Ach was!“ Da winkt er ab. Wegen der Kreuzung und des Krankenwagens hat Willi Hartenstein „den Wegedienst angerufen“, aber der habe ihn an die Polizei verwiesen. „Kriminell“, soll ein Beamter gesagt haben beim Anblick der Straßenverhältnisse.
Tiere im Grugapark
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Wohl denen, die den Supermarkt um die Ecke haben, um den Wagen auf dem Parkplatz abzustellen, aber das geht seit Montag auch nicht mehr. Und wo ein freier Stellplatz ist, liegt er in einer Schneewehe oder dahinter. Wer kann, stolpert und stapft also zu Fuß zum Einkaufen, man müsste für den Hackenporsche Kufen erfinden, die alten Frauen wackeln mitten über den Schnee der Straße. Auf der jetzt Kurt Siekiewicz angeschlindert kommt, rückwärts ging nicht, vorwärts ist es stinkendes Qualmen, aber dann hat er es geschafft und biegt mit Schwung – in die Frühlingsstraße. Ach, Frühling!
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