Siegburg. .

Die Verbraucherzentrale NRW hat ein ungewöhnliches Beratungsprojekt gestartet. In der JVA Siegburg wird Gefangenen beigebracht, wie sie am besten Energie sparen können und was sie bei Kaufverträgen zu beachten haben.

Wären da nicht die eisernen Gitterstäbe vor den Fenstern und die mit Stacheldraht gesicherten hohen

Mauern um das Gelände, könnte Martin Wieler auch in einem üblichen Unterrichtsraum mit Stuhlreihen und Tafeln stehen. Vor ihm sitzen allerdings keine schulpflichtigen Schüler, sondern Strafgefangene der Justizvollzugsanstalt (JVA) Siegburg. Die 18- bis 22-Jährigen sind wegen Diebstahl, Raub oder Körperverletzung im Gefängnis und lauschen den Ausführungen des Verbraucher-Experten zum Thema Energiesparen. In einem bundesweit einmaligen Projekt unterrichtet die nordrhein-westfälische Verbraucherzentrale Siegburger Gefängnisinsassen und gibt ihnen Tipps für das zukünftige Leben in Freiheit.

„Warum sollte ich Energiesparen?“, wirft Wieler zum Beginn der Unterrichtsstunde die Frage in den Raum. Nur zögerlich äußern sich die Heranwachsenden zu Themen wie Geld sparen und Umweltschutz. Statt all zu langer theoretischer Diskussionen bindet der Verbraucher-Experte die jungen Leute schnell in den Unterricht ein. Gemeinsam klären sie die Bedeutung der Zahlen auf einer Stromrechnung und mit einem speziellen Gerät wird der Stromverbrauch von Wasserkocher, Radio und Elektroheizung gemessen. „Manchmal ist es schon schwierig, die Jungs bei Laune zu halten“, sagt Wieler. Für viele sei es ungewohnt, anderthalb Stunden lang ruhig sitzen zu bleiben und einem Vortrag zuzuhören.

Vorbereitung auf Haftentlassung

Bevor der 20-jährige Daniel S. in die Siegburger JVA kam, machte er sich nur wenige Gedanken über sparsame Haushaltsführung und nachhaltigen Konsum. Bei zahlreichen Stromanbietern hatte er Schulden und wegen bewaffneter Überfälle auf Tankstellen sitzt er noch bis 2014 im Gefängnis. Mit der Teilnahme am Verbraucherkurs will er sich aber schon jetzt auf die Zeit nach der Haft vorbereiten. „Wir lernen hier Sachen, die für das ganze Leben sinnvoll sind“, sagt der 20-Jährige. Zudem gebe es am Ende des Kurses eine Bescheinigung für die erfolgreiche Teilnahme, die bei einem Antrag auf eine frühzeitige Haftentlassung berücksichtigt werde. „Die meisten hier machen das aber, um etwas zu lernen und draußen Geld zu sparen“, sagt Daniel.

Für die insgesamt 22 wöchentlichen Unterrichtsstunden mit den Gefangenen hat Wieler ein breites Themenspektrum zusammengestellt. Vom Abschluss von Kaufverträgen und Abofallen im Internet über gesunde Ernährung bis hin zum umweltfreundlichen Haushalten lernen die jungen Männer die volle Bandbreite der Verbraucherthemen kennen. Oftmals muss der Experte aber erst einmal für das nötige Basiswissen sorgen. „Man ist manchmal erstaunt, was sie alles nicht kennen und wie wenig Grundlagen manche haben“, sagt Wieler. So sei der Unterschied zwischen einer EC-Karte und einer Kreditkarte nicht jedem Gefangenen geläufig. Viele Jugendliche hätten zudem bereits vor ihrer Inhaftierung Schulden angehäuft, so dass ein kostenbewusstes Handeln in Zukunft wichtig sei.

Justizminister für Ausweitung des Projekts

NRW-Justizminister Thomas Kutschaty
NRW-Justizminister Thomas Kutschaty © ddp/Henning Kaiser

Im nordrhein-westfälischen Justizministerium stößt das bundesweite Pilotprojekt auf Unterstützung. „Diese Veranstaltungen sind ein Vorbild für lebensnahes Lernen“, sagt Justizminister Thomas Kutschaty (SPD). Die Siegburger JVA habe zusammen mit der Verbraucherzentrale ein Projekt in die Wege geleitet, „das viele Nachahmer finden sollte“. Schließlich seien das Wissen um die Verbraucherrechte und der richtige Umgang mit Geld wichtige Bausteine, damit die Gefangenen nach ihrer Entlassung im Alltag wieder Fuß fassen könnten. Eine Evaluierung des Projektes werde zeigen, ob die Verbraucherschulung von Gefängnisinsassen auch auf andere JVAs ausgeweitet werde.

Noch vor vier Jahren machte die Siegburger JVA mit einem Foltermord unter den Insassen bundesweit Schlagzeilen. In der Folgezeit wurde in dem Gefängnis das Personal aufgestockt, die damalige Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) besucht die Gefangenen an Weihnachten und Aktionen wie etwa ein Fußballprojekt sorgten für Abwechslung. Anfang März läuft nun das aktuelle Konzept Verbraucherschulung aus. „Ich könnte mir gut vorstellen, die Schulungen weiterzuführen. Es gibt genug junge Leute, die unsere Hilfe brauchen“, sagt Wieler. Aus anderen Verbraucherzentralen gebe es zudem bereits Interesse an einer Übernahme des Projekts. (dapd)