Essen. Mit Schülern und Studenten tun sich zwei Welten für den guten Zweck zusammen: Gelb ist wie bei Opel die Farbe des Protests. Am dritten Tag des Bildungsstreiks 2009 gingen in NRW wieder Tausende auf die Straße. In Dortmund liefen die Proteste jedoch aus dem Ruder.

Natürlich ist Che gekommen, der alte Kämpfer, eine rote Fahne ist da und die Anti-Atom-Sonne, bewährtes Stammpublikum eines jeden guten Studentenprotests seit Jahrzehnten. Aber diesmal sind auch Schüler da, die staunen, wie man sich eingerichtet hat an der Uni, auf der Wiese zwischen Mensa und Bibliothek in Essen: Für sie ist es die erste Demo, sie haben Plakate gemalt und schwänzen die Schule dafür: wie aufregend!

Dies ist der Bildungsstreik 2009, dritter Tag. Die Schüler haben zu Tausenden demonstriert, 50 000 sollen sie gewesen sein allein in NRW. Viele Studenten gingen mit, noch mehr aber lieber studieren, weshalb für die Streikenden die Schüler das neue Vorbild sind: „Die haben es uns vorgemacht.” Zwei Gruppen, zwei Welten, viele Ziele: kleinere Klassen, mehr Lehrer, Einheitschulen, keine Studiengebühren, kein Turboabi, keine Kopfnoten, keine Zusatzprüfungen, Magister statt Master. . . Wer will da eigentlich was? Vielleicht rennt die ganze Antwort in diesem Moment vorbei: ein hektischer Student mit schüttelndem Kopf und einem atemlosen Satz: „Keine Zeit zum Streiken.”

Schüler klagen über zunehmenden Druck

Das ist wohl das Problem. „Wehrt euch gegen den Prüfungsstress”, rufen die Studenten, „Turboabi – was ist das asi!”, antworten die Schüler, „wir sind so unter Druck”, klagt Eileen. Immer mehr „Lernstandserhebungen”, immer weniger Freizeit, kürzlich hat die Elftklässlerin den Gitarrenunterricht drangeben müssen, dabei hat sie „so gerne gespielt”. Deshalb gehen sie an diesem Mittwoch gar nicht in die Schule, obwohl sie nicht wissen, was ihnen dafür blüht: Sie müssen doch was tun!

Manche allerdings tun zu viel. In Dortmund reißen einige aus aus den Reihen der 5000, sie stürmen das Rathaus, schmeißen mit Broschüren und Blumenerde, mit Eimern und Teppichen von den Galerien: „Ein Wunder, dass hier niemand verletzt wurde”, sagt der Gesamtschüler Tim. Im Duisburger Norden endet die Demo recht rasch im Sitzen, um dann wieder auszufransen auf die Höfe von Schulen, hinter deren Mauern Abiturienten letzte Chancen nutzen. Da sieht mancher nach seiner ersten Demo auch gleich seine erste Anzeige, Tutkun vom Schülerbündnis versteht es trotzdem: „Die nehmen ihre Zukunft selbst in die Hand.”

Anwesenheitskontrolle in der Vorlesung

Das sollten sie an den Unis auch, finden die Sprecher des „Bildungsstreiks”, aber viele, die tapfer ihr Seminar bestreiken, fühlen sich hilflos: „Man muss es doch wenigstens versuchen”, sagt Silvia, „besser als nichts zu tun”, hofft Inga. Sie sehen ja selbst, wie die Studenten sind: „Schaun-mer-mal, und dann gehen sie doch in die Vorlesung.” Silvia und Inga finden, wer das tut in dieser Woche, „der ist selbst schuld, darf sich nicht beschweren.” Allerdings ist ein streikender Student heutzutage nicht nur unauffällig faul: Er müsste sich eintragen in Vorlesungslisten. Anwesenheitskontrolle!

Schüler fehlen unentschuldigt

Eigentlich haben Schüler kein politisches Streikrecht. Wer am Mittwoch fehlte, fehlte also unentschuldigt, und wird diesen Vermerk wohl in zwei Wochen auch auf seinem Zeugnis finden.

Die Woche der Proteste endet am kommenden Samstag, 20. Juni, mit einer Kundgebung ab 13 Uhr am Düsseldorfer Hauptbahnhof.

Deshalb sind sie vielleicht noch 1000, die am Mittag in Essen wieder losziehen mit dem Ruf: „Aufstand 17. Juni”, obwohl das eine andere Veranstaltung war. Diese hier ist ein „Bildungsgipfel”, wie zu lesen ist: „Der wahre Bildungsgipfel findet auf der Straße statt.” Sprüche skandieren sie, eigens auf einem „Sei-laut-Flyer” notiert: „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut!” „Bildung statt Banken”, liest man auf Transparenten, es wird da auch einiges verquickt. In Bochum protestiert Verdi mit im Namen aller Erzieherinnen, weil „Bildung schon im Kindergarten” beginne. Und das gelbe T-Shirt „Bundesweiter Bildungsstreik” sieht aus wie das Protesthemd „Wir sind Opel”. „Opel bekommt riesige Zuschüsse, und wir müssen Studiengebühren bezahlen”, sagt Andrea aus Duisburg.

Eine „Weltrevolution” ist das alles nicht, wie ein wollbemützter Redner längst erkannt hat. Sie wollen ja bloß bessere Bildung. In Essen führt, und das war ein ganz zufälliges Symbol, der Zug der Schüler und Studenten von der Uni – gleich zum Arbeitsamt.

Mitarbeit: Jörn Esser, Jürgen Boebers-Süßmann, Jens Ostrowski