Münster. .
Erstmals liegt eine Studie über Fahrradunfälle in einer Großstadt in NRW vor. Die Zahlen aus Münster sind erschreckend. Nur wenige Radfahrer tragen einen Helm und einige sind betrunken unterwegs. Experten fordern eine niedrigere Promillegrenze.
Erstmals haben Polizei, Versicherer und Kliniken in einer Großstadt gemeinsam Fahrradunfälle ausgewertet. Schlicht als „erschreckend“ bezeichneten alle Beteiligten gestern bei der Präsentation in Münster einige der Ergebnisse: Die Zahl der Fahrradunfälle lag in den untersuchten zwölf Monaten in der Stadt drei Mal so hoch wie bislang aufgrund der Polizeistatistik angenommen.
Das Bild, das Münsters Leitender Polizeidirektor Udo Weiss vom typischen Fahrradunfall zeichnet, gibt eine erste Vorstellung vom Verkehr in der Studentenstadt: Als größte Risikogruppe in der nun vorgestellten „Fahrradstudie Münster“ erwiesen sich die 20- bis 29-Jährigen, besonders viele und gerade die besonders schweren Fahrradunfälle ereigneten sich an Wochenendnächten. „Damit finden wir unsere Analysen zum Alkoholverhalten bestätigt“, interpretierte Weiss.
„Die Promillegrenze kann nicht bei 1,6 bleiben“
Nicht selten erwischten seine Beamten Fahrradfahrer mit mehr als zwei Promille. Alkoholeinfluss als Ursache machten die Wissenschaftler bei zwölf Prozent der Unfallverursacher auf Drahteseln aus. Bei dem Thema „fehlt uns aber die passende rechtliche Grundlage“, sagte Polizeidirektor Weiss. Deutlicher formulierte es Siegfried Brockmann von der Unfallforschung der Versicherungen (UDV), die die Studie finanziert hatte: „Die Promillegrenze kann nicht bei 1,6 bleiben.“
Der Verkehrs- und Rechtsreferent beim Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC), Roland Huhn, brachte gestern auch eine konkrete Zahl ins Gespräch. „Ich würde einen Gefahrengrenzwert bei 1,1 Promille ansetzen“, sagte er der NRZ. Dieser solle „als Bußgeldtatbestand wie die 0,5 Promille beim Auto“ gelten.
Neues Bußgeld gefordert
Doch die Frage des Alkohols am Fahrradlenker ist nur ein Thema, das man aus der gestern vorgestellten Studie, die sich erstmals nicht nur auf die Polizeistatistik stützt, ziehen kann. Besonders überraschte die Experten die schiere Zahl der tatsächlich stattfindenden Unfälle. Nur 723 wies die Polizeistatistik in dem Untersuchungszeitraum vom 1. Februar 2009 bis 31. Januar 2010 auf. Als die Wissenschaftler aber die Angaben der Kliniken in der Stadt hinzunahmen, verdreifachte sich diese Zahl auf 2250.
„Es gibt jeden Tag sechs Fahrradunfälle in Münster, bei denen sich Menschen verletzen“, sagte der wissenschaftliche Leiter der Studie, Professor Dr. Michael Raschke. Die absolute Zahl wird in Münster unter Deutschlands Spitzenwerten rangieren – in der Stadt gibt es deutlich mehr Fahrräder als Einwohner. Die enorme Abweichung aber zwischen den bislang angenommenen Unfällen mit Personenschaden und den tatsächlich stattfindenden, sei ebenso auf andere Städte übertragbar.
Weil die Wissenschaftler auch Details der Verletzungen mit aufnahmen, gibt es noch etwas zu diskutieren: Jeder Vierte, der mit dem Fahrrad verunglückte, verletzte sich am Kopf, 4,5 Prozent der Verunfallten zogen sich laut der Münsteraner Studie gar ein Schädel-Hirn-Trauma zu. „Als Chirurg kann ich so gut wie alles zusammenflicken“, mahnte Professor Raschke, „aber solche Kopfverletzungen sind irreversibel“.
Da nur 6,4 Prozent der Radfahrer in Münster einen Helm trugen und bis auf einen tödlich Verunglückten „alle mit schweren Kopfverletzungen ohne Helm unterwegs waren“, mahnten Raschke, Polizeidirektor Udo Weiss und Siegfried Brockmann, auch Erwachsene sollten den Kopfschutz ernst nehmen.
Helme als Lebensretter?
Bei dem Thema wollte ADFC-Experte Roland Huhn dagegen nicht ihrer Argumentation folgen. Die gängigen Fahrradhelme seien lediglich „Sturzhelme“. Bei Unfällen während der Fahrt nützten sie wegen der hohen einwirkenden Kräfte wenig. Die Ausnahme: Kinder. „Da ihr Schädel noch nicht ausgehärtet ist, macht ein Helm Sinn.“ Zudem warnte Huhn vor Panikmache. „Das Fahrrad ist ein sicheres Fortbewegungsmittel.“