Essen.

Fachleute streiten: Sind Senioren am Lenkrad eine Gefahr im Straßenverkehr? Die Antwort: noch nicht. Aber die demografische Entwicklung zeigt, der Anteil der Senioren im Straßenverkehr steigt. Das wirkt sich auch auf die Unfallzahlen aus.

Besonnenheit, Erfahrung. Das sind die großen Pluspunkte älterer Autofahrer. Und obwohl sie ein Fünftel der Einwohner stellen, bauen sie nur jeden zehnten Unfall. Noch. Denn zunehmend werden Se­nioren in schwere Verkehrs-Crashs verwickelt. Die Bundesregierung ist besorgt, denn die Zahl Älterer im Straßenverkehr nimmt schnell zu. 2003 besaßen 40 Prozent der 70- bis 75-jährigen einen Pkw. 2020 werden es 70 Prozent sein.

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„Es zeigt sich, dass im Zeitablauf immer mehr Pkw-fahrende Seniorinnen und Senioren an Unfällen beteiligt sind“, heißt es im neuen Unfallverhütungsbericht der Bundesregierung, der DerWesten vor­liegt. „Dieser Trend wird sich fortsetzen. In Zukunft wird das Unfallgeschehen dieser Bevölkerungsgruppe stärker in den Vordergrund treten“.

Senioren tragen häufig die Hauptschuld bei Unfällen

Der Regierungsreport spricht noch in einem anderen Punkt Klartext: „Pkw-Fahrer ab 65 Jahre trugen im Jahr 2009 bei Unfällen, in die sie verwickelt waren, häufig die Hauptschuld“, heißt es da. Genau: Es waren 67 Prozent. Nur noch bei den 18- bis 20-Jährigen seien mit mehr als 71 Prozent ähnlich hohe Werte ermittelt worden. „Bei den mindestens 75-Jährigen wurde sogar drei von vier Unfallbeteiligten Pkw-Fahrern die Hauptschuld am Unfall zu­gewiesen“. In den Regionen werden die­se Trends teils bestätigt.

So hat sich in Dortmund die Zahl der verunglückten Pkw-Fahrer im Rentenalter 2009 „er­neut“ deutlich erhöht: Um 19 Prozent. Auch in Essen gab es mehr Unfälle mit Senioren (plus 16 Prozent). Duisburg da­gegen meldet keine Auffälligkeiten. Doch vor allem ein tragischer Vorfall hat sich ins Gedächtnis der Verkehrsexperten tief eingebrannt: 2009 raste ein 79-Jähriger in einen Schützenumzug im sauerländischen Menden. Zwei Menschen starben. Zahlreiche wurden verletzt. Der Mann hatte die Kontrolle verloren.

Fachleute streiten: Sind Se­nioren gefährliche Autofahrer? Gibt es einen „Methusalem-Konflikt“ auf der Straße?

Sicher ist: Ältere machen an­dere Fehler als Fahranfänger. Stehen bei 18-Jährigen Rasen und Drängeln und Alkohol auf Platz 1 der Unfallursachen, ist das Missachten der Vorfahrt der entscheidende Fehler der Rentner, wie das Kraftfahrtbundesamt und die Bundesanstalt für Straßenwesen ermittelten. Auf Platz 2 folgt das Fehlverhalten beim Abbiegen, dritte Ursache ist falsches Wen­den. Die Bundesregierung ergänzt in ihrem Report: Ältere überschätzten oft ihre eigenen Fähigkeiten am Lenkrad, verstünden andererseits aber die Funktionsweisen mo­derner Sicherheits- und Warnsysteme nicht. Der Unfallforscher der Uni Hannover, Dietmar Otte, sieht zumindest eine „eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit“ ab 75. Der klassische „Schulterblick“ falle vielen in dieser Altersgruppe schwer.

Keine Pflichttests

Auf dem Verkehrsgerichtstag 2009 kam es zum Disput. Darf man Senioren Pflichtuntersuchungen auferlegen, wie es beispielsweise die Grünen im Bundestag seit längerem fordern? Verkehrspsychologen setzten sich vor den Ju­risten dafür ein, die Fahrer­laubnisse für Betagte zu be­schränken – beispielsweise auf die Umgebung, in der sie mit dem Auto täglich Fahrten zum Arzt, zur Apotheke oder zum Einkaufen zurücklegen. Der Verkehrsgerichtstag lehnte dies ab: Tauglichkeitsprüfungen seien weniger sinnvoll als Eigentraining. „Zur Erhaltung der Fahrkompetenz kann der Einzelne selbst etwas tun. Er sollte sich körperlich und geistig fit halten, seine Fahrfertigkeiten trainieren und sein Verkehrswissen auffrischen.“

Die Bundesregierung folgt diesem Trend. Sie sagt Nein zu Pflichtprüfungen, wie es sie in den USA mit Sehtest, theoretischen Fragen und einer Probefahrt gibt. Sie setzt auf Freiwilligkeit. In eine Aufklärungsoffensive sollen Hausärzte mit einbezogen werden. Die Mediziner sollen speziell geschult werden, um ihre älteren Pa­tienten auf mögliche allgemeine wie persönliche Risiken im Verkehr aufmerksam zu ma­chen. Zudem sind mehrere Kampagnen mit tausenden von Veranstaltungen vorgesehen, um den Trend zu brechen.