Dortmund.

Zwölf Milliarden Euro. Eine Zahl mit neun Nullen. Selbst ein Spitzenjurist wie Michael Balke aus Dortmund kann sich so eine Summe schwer vorstellen. Aber tatsächlich: Jedes Jahr kassiert der Staat zwölf Milliarden Euro Solidaritätszuschlag.

Zwölf Milliarden Euro. Eine Zahl mit neun Nullen. Selbst ein Spitzenjurist wie Michael Balke aus Dortmund kann sich so eine Summe schwer vorstellen. Aber tatsächlich: Jedes Jahr kassiert der Staat zwölf Milliarden Euro Solidaritätszuschlag. Michael Balke hält das für verfassungswidrig. Der Richter aus dem Revier, seit 20 Jahren am obersten niedersächsischen Finanzgericht, hat mit seinen Kollegen vom 7. Senat die Frage der Rechtmäßigkeit des „Soli“ dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. In Karlsruhe, heißt es, könnte die Entscheidung bald verkündet werden. Bald ist: Wohl heute.

In Berlin ist der Balke aus Brechten nicht sonderlich beliebt

Es geht um viel. Für alle Seiten. Für den Bundesfinanzminister um eine satte Einnahmequelle, aus der eben nicht nur Dinge für den Aufbau Ost bezahlt werden, sondern die den allgemeinen Steuertopf füllt. Für Michael Balke um einen speziellen Ruf: Der 55-jährige gilt, aus Sicht vieler Steuerzahler, als einer der erfolgreichsten Richter im Land.

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Von DerWesten

„Rebell“ nennen ihn die einen, „couragiert“ finden ihn andere. Er und seine Kollegen aus Hannover haben durch Grundsatzentscheidungen und Vorlagen beim Bundesverfassungsgericht schon die Verdoppelung des Grundfreibetrages erreicht, die Kürzung der Pendlerpauschale gestoppt und, jüngst, die steuerliche Absetzbarkeit von Arbeitszimmern wiederhergestellt. Man kann also sagen: In Berlin ist der Balke aus Brechten nicht sonderlich gelitten. Eher Feind als Freund.

Broelsch hat den Juristen operiert

Balke ist, nebenher bemerkt, ein interessanter Mensch – nicht etwa nur wegen seiner Erfolge. Aus dem Bergischen stammend, zunächst Finanzbeamter und später Steuerjurist bei Mannesmann, wechselte er 1990 ans Niedersächsische Finanzgericht. So weit, so normal. Nur: Eigentlich würde er nicht mehr leben. 2001 erkrankte er an einer genetisch bedingten Leberzirrhose. Vergeblich und wütend („das rückständige deutsche Transplantationsgesetz fördert den Organmangel und mithin den Patiententod“) wartete er auf das Organ eines Hirntoten. Schließlich spendete sein Bruder Dirk einen Teil der Leber. „Mein lieber Bruder und ein chirurgischer Gigant samt seinem Team haben mein Leben gerettet“, sagt er. Der „Gigant“ ist der wegen unkonventioneller (Finanzierungs-) Methoden umstrittene und in einem ersten Verfahren verurteilte Essener Transplantationsspezialist Prof. Christoph Broelsch. Broelsch hat den Juristen operiert.

Es geht um viel Geld

Der ist längst wieder quicklebendig und fordernd: Das Steuersystem hält er in Teilen für ungerecht, unübersichtlich, den Bürgern gegenüber unfreundlich. „Wir brauchen drei Steuern. Wir haben aber 30“, sagt er. Oder, schöner Gruß ans Verfassungsgericht: Karlsruhe verhalte sich nicht selten selbst verfassungswidrig, wenn es Klägern Recht gebe, dem Staat den Zwang zur Korrektur aber erst für die Zukunft auferlege. „Der siegreiche Kläger geht dann in der Praxis leer aus.“ Karlsruhe knicke oft ein, wenn viel Geld auf dem Spiel steht.

Jetzt also: der Soli. 1991 erfunden sollte er die Einheit finanzieren, auch wenn ihn alle Steuerzahler in Ost und West entrichten müssen. Heute liegt er bei 5,5 Prozent auf Einkommens- und Körperschaftssteuer. Grob überschlagen hat der Staat seit der Wiedervereinigung 150 Milliarden Euro locker gemacht. Was Michael Balke daran stört, ist: erstens, dass hier eine Abgabe, die für besondere Fälle erdacht wurde, „längst Dauersteuer geworden ist“. Dass, zweitens, der Solidaritätszuschlag auch unverändert weitergezahlt werden musste, als die Regierung Schröder die Einkommens- und Körperschaftssteuer senkte. Dass, drittens, die Einheit „einen langfristigen Finanzbedarf begründet hat“ und keinen nur vorübergehenden, wie der Senat in Hannover im Beschluss feststellt. Das alles, sagt Balke, „verletzt das Rechtsstaatsprinzip und die Freiheitsrechte“.

Wie der Prozess ausgeht? Der Dortmunder ist eher skeptisch. „Sehr schnell“ habe Karlsruhe sich offenbar eine Meinung gebildet. Was nicht auf tiefe Veränderungen hindeute. Aber die Niederlage würde er verdauen. Im Steuerrecht warten mehr Ungereimtheiten. Da ist Balke sicher.