Essen. .

Wo Migranten-Kinder fast unter sich bleiben, kann der Schulalltag zum ständigen Kampf werden. Das Erste sendet am späten Mittwochabend eine Reportage über die erschütternde Lebensrealität im Essener Norden.

Sie ziehen sich zurück, haben Angst, ihre Meinung zu sagen. Weil sie hinterher beschimpft oder sogar geschlagen werden. „Sie werden nicht jeden Tag mit dem Messer bedroht, aber die Kinder mit Migrationshintergrund haben hier eindeutig das Sagen“, erklärt Roswitha Tschüter, Rektorin an der Hauptschule in Essen-Karnap.

Diese erschütternde Lebensrealität deutscher Schüler an einer von Migranten dominierten Hauptschule zeichnen Nicola Graef und Güner Balci in ihrer Dokumentation „Kampf im Klassenzimmer“ auf. Das Erste zeigt den Film heute. Erst um 0.15 Uhr.

Karnap ist sicher kein Einzelfall. Karnap steht stellvertretend für manche Schule, in der die Religion den Schulhof erobert hat. Wo Schule von muslimischen Mädchen nicht als Bildungseinrichtung, sondern nur noch als sozialer Treffpunkt verstanden wird. Wo muslimische Jungen über Ehre reden und über „die deutschen Schlampen“ schimpfen.

„Das Leben ist weitergegangen“

Während die Autoren auf Analysen verzichten, geduldig mit der Kamera den Diskussionen folgen, holen Mitarbeiter von Schul- und Jugendamt der Stadt Essen zu nervösen Erklärungsversuchen aus. Das Problem sei schon längst vom Tisch, möchte Ulrich Engelen aus der Abteilung Soziale Dienste vermitteln. Bereits 2009 habe man ein Handlungskonzept im Schulentwicklungsplan Hauptschule vom Rat absegnen lassen. Heute, ein Jahr nach den WDR-Dreharbeiten vor Ort, habe man genug „erlebnispräventive Maßnahmen“ ergriffen, habe „Instrumente für eine bessere Integration erarbeitet“. „Das Leben ist weitergegangen“, sagt Engelen. Das neue Motto laute „Chancen geben – Grenzen setzen“.

Man habe Anti-Gewalttrainings initiiert, in denen deutsche und ausländische Kinder die Chance bekämen, miteinander zu reden. Wo der Unterschied zu „früher“ liegt, mag Engelen nicht sagen.

Schule ist geschlossen

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Von DerWesten

„Wir haben immer wieder erlebt, dass wir als Nazis beschimpft werden, wenn wir Kritik äußern, deshalb ziehen wir uns immer mehr zurück, das ist für uns die einzige Möglichkeit hier zu überleben“, sagt Sebastian, ein Schüler der 10 b, im Film. Ob zum neuen Handlungskonzept auch gehört, dass deutsche Jugendliche nach ihren Befindlichkeiten befragt werden? Dazu schweigt Engelen.

Das Problem Karnap hat sich ohnehin praktisch von selbst gelöst. Die Hauptschule wurde zwischenzeitlich geschlossen. „Wegen sinkender Schülerzahlen haben wir unsere Hauptschulen in den letzten Jahren von dreizehn auf sechs reduziert“, erklärt der Leiter des Schulverwaltungsamtes, Rainer Gebhard. Die verbleibenden Schüler aus dem Norden sind an die Wächtlerstraße in Steele umgezogen.

Eine Vision

Ob sich die Situation dort für Schüler und Lehrer dramatisch ändern wird? Rektorin Roswitha Tschüter hat sich gestern auf die Rückrufbitte dieser Zeitung nicht gemeldet. Bleibt zu hoffen, dass die traurigen Wahrheiten von Lehrerin Brigitta Holford irgendwann der Vergangenheit angehören: „Wenn man lange an einer solchen Schule unterrichtet, verliert man alle Illusionen. Ich wünschte mir, einer dieser schlauen Politiker wäre mal eine Woche hier.“

Es ist ein Film, der von Resignation und Parallelwelten spricht. Der sie unverschleiert benennt, wie der aus dem Libanon stammende Arabisch-Lehrer Rafik Succari: „Man sagt immer, dass die Ausländer diskriminiert werden, aber hier läuft es genau andersherum.“ Der Film ist eine Zustandsbeschreibung 2009, die auf schmerzliche Art zeigt, dass Integration eine Vision bleibt.