Ruhrgebiet. Vor Schulen in NRW sind jetzt zu bestimmten Zeiten Straßensperrungen möglich. Die Planungen laufen langsam an. Woran es noch hakt.

Heute haben die fremden Autos wieder den Anwohnern die Einfahrten zugeparkt, haben an der Bushaltestelle gehalten, später auf einem Innenhof gewendet, wurden auf den Radweg gestellt, in der Enge über den Gehweg gesteuert, wo doch die Kinder dort zu ihrer Schule laufen . . . Morgens kurz vor acht. Elterntaxi-Chaos. Auf dem Schulweg, weiß der TÜV Nord, sind die letzten Meter inzwischen die gefährlichsten.

Informationsabende, besonders gut sichtbare Polizei, Knöllchen, Elternhaltestellen: Es hilft alles nichts. Oder nur begrenzt. Elterntaxis kommen weiter. Die Wirkung all dessen, was man versucht habe, „war jedes Mal kurz zu spüren, dann abflauend, und anschließend war es wieder ,normal gefährdend“, sagt ein Schulleiter. Jetzt soll aber wirklich Schluss sein. Mission sicherer Schulweg.

„Schließlich geht es um die Sicherheit der Kinder“

Viele Eltern liefern ihre Kinder mit dem Auto an der Schule ab. Die Gründe: Sie haben es eilig oder halten es für sicherer als den Fußweg - oder die Schule liegt eh an ihrem Weg zur Arbeit.
Viele Eltern liefern ihre Kinder mit dem Auto an der Schule ab. Die Gründe: Sie haben es eilig oder halten es für sicherer als den Fußweg - oder die Schule liegt eh an ihrem Weg zur Arbeit. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Vor etwa zweieinhalb Monaten hat das NRW-Verkehrsministerium einen Erlass herausgegeben, der Kommunen darüber informiert hat, wie sie rechtssicher Schulstraßen einrichten können. Das sind Straßen, die vorübergehend für Fahrzeuge gesperrt sind, wenn die Masse der Schüler und Schülerinnen kommt und geht - also in der Regel morgens und mittags. Tatsächlich haben sich die ersten Städte darangemacht, solche Straßen zu planen. Doch sichtbar tut sich wenig. Aus Gründen.

Kollegen und Kolleginnen aus den WAZ-Redaktionen haben sich in den letzten Tagen umgehört. Und der Eindruck ist: Die Schulen sind weiter als die Städte, die Meinung der Leitungen ist fast einhellig. „Ich bewerte den Erlass als sehr positiv, schließlich geht es um die Sicherheit der Kinder“, sagt Johannes Maneke von der Grundschule Westenfeld in Bochum. Auch sein Kollege Stephan Vielhaber von der Köllerholzschule begüßt ein solches Vorhaben. Und eine Stadt weiter sagt Andrea Sdun von der Schillerschule Herne: Sie sei „sofort dafür, dass die Straße vor der Schule zeitweise gesperrt wird.“

Land: Schulstraße mindestens drei Monate vorher ankündigen

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Und so planen beispielsweise Herne, Herten, Gladbeck und Düsseldorf die ersten Schulstraßen; Duisburg und Dortmund prüfen, wo es sinnvoll ist; die Stadtverwaltung Bochum sucht das Gespräch mit den Schulen; und die Stadt Essen hat den schon länger laufenden, einschlägigen Versuch in der Bardelebenstraße gerade entfristet. In der kleinen Straße mit zwei großen Schulen habe man „nur positive Erfahrungen gemacht“, heißt es aus ihnen: „Vor allem morgens ist der Verkehr spürbar beruhigt, und die Schüler und Schülerinnen kommen mit mehr Ruhe an.“ Fehlt nur noch die formelle: Teileinziehung.

In der Nähe vieler Grundschulen im Ruhrgebiet sind Elternhaltestellen entstanden, wo Kinder gefahrlos aussteigen können. Sie werden aber nur von wenigen Menschen genutzt.
In der Nähe vieler Grundschulen im Ruhrgebiet sind Elternhaltestellen entstanden, wo Kinder gefahrlos aussteigen können. Sie werden aber nur von wenigen Menschen genutzt. © DPA Images | Christoph Reichwein

Denn die Umwidmung von Straßen geht in Deutschland nicht einfach so, nur weil ein Stadtrat das beschließt. Vorgeschrieben ist ein „straßenrechtliches Teileinziehungsverfahren“, sprich: die formelle Ankündigung und der spätere Beschluss, dass eine bestimmte Straße demnächst zu bestimmten Zeiten für bestimmte Fahrzeuge gesperrt ist. Das Verkehrsministerium empfiehlt selbst, „die Absicht der Teileinziehung . . . mindestens drei Monate vorher ortsüblich bekanntzumachen“.

Allein ein Anlieger-frei-Schild reicht nicht aus

Am Rande der letzten Konferenz der Verkehrsminister setzen sich Demonstranten für die bundesweite Einführung von Schulstraßen ein.
Am Rande der letzten Konferenz der Verkehrsminister setzen sich Demonstranten für die bundesweite Einführung von Schulstraßen ein. © picture alliance/dpa | Sina Schuldt

Realistisch betrachtet, werden die ersten Schulstraßen im Ruhrgebiet nach den Sommerferien bestehen. Das ist auch kein Alleingang von NRW: Berlin und Baden-Württemberg planen Ähnliches; die Landesregierungen von Sachsen, Thüringen und Niedersachsen meinen gar, es brauche gar keinen eigenen Erlass. Und in Frankreich und Österreich sind Schulstraßen längst gang und gäbe, etwa nach dem „Wiener Modell“: Dort darf man zu Sperrzeiten auch auf der Fahrbahn laufen, etwa vor der Ganztags-Volksschule Wichtelgasse.

Doch zurück ins Ruhrgebiet, der Teufel steckt mal wieder im Detail. Schulstraßen müssten so geplant werden, „dass es nicht an anderer Stelle zu . . . verkehrsgefährdenden Situationen kommt“, so das Land NRW; dass sich der Elterntaxi-Tumult also nicht nur verlagert. Durchgangsstraßen können sowieso keine Schulstraßen werden, ebenso wenig Straßen, wo Bus oder Straßenbahn fahren. Doch weiter: Was ist mit der Zufahrt zu Lehrerparkplätzen? Mit Lieferantinnen? Fahrradfahrerinnen? Anwohnern?

Das Verkehrsministerium empfiehlt für letztere Ausnahmegenehmigungen pro Fahrzeug; ein pauschales Verkehrszeichen ,Anlieger frei‘ reiche nicht aus. Erstens, weil das die meisten Elterntaxis sowieso ignorieren würden. Und zweitens: Wer sein Kind abliefern will, hat ja ein Anliegen. Ein dringendes. Sieht man morgens kurz vor acht immer sehr gut.