Ruhrgebiet. Essen aus der Flasche? Anbieter von Trinknahrung versprechen ein vollwertiges Ersatzprodukt. Eine Bochumer Expertin klärt auf.
Flüssignahrung ist was für Kinder und Astronauten – oder etwa nicht? In den Regalen der Supermärkte stehen vermehrt sogenannte „Trinkmahlzeiten“. Angeblich sollen sie eine vollwertige Mahlzeiten ersetzen, Kunden Zeit und vor allem Mühe beim Kochen ersparen, heißt es von den Anbietern. Doch wie sinnvoll und gesund ist diese Art der Ernährung? Unsere Redaktion hat mit einer Ernährungsexpertin gesprochen, die sich klar zu dem mutmaßlichen Essens-Ersatz positioniert.
Trinkmahlzeiten: Ist es nur ein Lifestyle oder helfen sie bei der Diät?
„Gegenfrage: Warum sollte ich eine Trinkmahlzeit zu mir nehmen?“, antwortet Beatrix Söhngen, Ökotrophologin aus Bochum, auf die Frage, ob sie selbst schon mal Trinknahrung zu sich genommen hat. Die selbstständige Ernährungsberaterin stellt klar: „Nein, für mich ist das keine Ernährung.“ Allerdings komme es auch darauf an, was mit der Flüssignahrung erreicht werden soll: „Geht es um einen Lifestyle, soll es eine Mahlzeit ersetzen oder möchte jemand damit eine Diät machen?“
Trinkmahlzeiten sind nicht gleichzusetzen mit der sogenannten Astronautenkost: „Das kommt aus dem medizinischen Bereich, da ist diese Kost vor allem schnell resorbierbar mit vielen wichtigen Nährstoffen“, sagt die Expertin. Bei Trinkmahlzeiten indes gehe es nicht so sehr um den medizinischen Aspekt.
Sättigungsgefühl ist durch Trinkmahlzeiten schwächer ausgeprägt
Außerdem werde Astronautenkost beispielsweise bei Untergewicht oder Schluckbeschwerden eingesetzt, nicht aber als Ersatz zu normalen Essgewohnheiten. Die Energie von Trinkmahlzeiten wird ausschließlich in flüssiger Form aufgenommen. Für die Verdauung bedeutet das: „Der Magen muss nicht mehr die Arbeit leisten, die er sonst tut.“ Bei fester Nahrung finde eine Vorverdauung statt, Speisebrei hingegen gelange deutlich schneller in den Darm. „Dadurch wird das Sättigungsgefühl im Prinzip ganz schnell ausgehebelt“, erläutert Söhngen.
„Obwohl ich die Energiemenge zu mir nehme, werde ich nicht satt. Dadurch besteht die Gefahr, dass ich nochmal esse.“ Sofern Trinkmahlzeiten als Diät dienen sollten, sei der Effekt also direkt wieder dahin – und das bei 400 bis 500 Kalorien pro Flasche.
Lifestyle-Produkte haben oft trotz des Zusatzes „zuckerfrei“ eine hohe Menge an Zucker wie z.B. Fruchtzucker oder Maltodextrin. Ein Beispiel dafür, dass es vorrangig gut schmecken soll. „In Trinknahrung sind meist viele Zuckeraustauschstoffe, die um ein Vielfaches höher in der Süße sind und deshalb das Empfinden nach Süßem nur noch hochsetzen“, sagt Söhngen. Letztlich werde dadurch der Heißhunger auf Süßigkeiten verstärkt.
Bochumer Expertin: Risiken und Nachteile von Trinkmahlzeiten überwiegen
„Den Vorteil für die einzelne Mahlzeit sehe ich“, so die Expertin. Schließlich sei die Mahlzeit schnell gekauft und verzehrt. „Bevor ich gar nichts esse und mich ausnahmsweise mit einer Portion versorgen will ... Nur dann hätte es einen Effekt. Ansonsten sehe ich darin keinen Sinn.“
Vor allem das Risiko, schnell wieder Hunger zu bekommen, ist für die Ernährungsexpertin ein großes Problem. „Wenn jemand unterernährt ist oder eine Erkrankung hat, dann würde ich wieder anders draufgucken. In diesem Fall ist es wichtiger, dass die Mahlzeiten hochkalorisch sind“, erklärt Söhngen.
Ein weiterer Nachteil von Trinknahrung: Der Kauapparat ist unterfordert. Schließlich ist laut Söhngen das Kauen von Nahrung wichtig für die anschließenden Nährstoffaufnahme. „Bereits im Speichel sind Enzyme enthalten, die mithelfen, die Verdauung anzuregen“, erläutert die Bochumerin. Würde der Kauapparat nicht genutzt, könne sich dieser langfristig sogar degenerieren.
„Wir nehmen uns für wichtige Dinge, wie fürs Essen, zu wenig Zeit“
Das Fazit der Ernährungs-Expertin ist eindeutig. Die Nachteile von Trinknahrung überwiegen, denn die versprochene „vollwertige Mahlzeit“ ist meistens nicht in den Flaschen enthalten. Stattdessen sollten Mahlzeiten aus gesunden Lebensmitteln bestehen, die Eiweiß, Kohlenhydrate und Fett im richtigen Verhältnis liefern.
Die sogenannte „biologische Wertigkeit“ der Proteine sei bei einer ausgewogenen Ernährung entscheidend. Dabei erhöht die Kombination verschiedener Lebensmittel wie beispielsweise von Milch, Kartoffeln, Fleisch und Getreide den Anteil der Nährstoffe, die vom Körper tatsächlich aufgenommen werden können.
„Wir nehmen uns für wichtige Dinge, wie fürs Essen, zu wenig Zeit“, resümiert Söhngen. Essen habe auch etwas mit Kommunikation zu tun sowie mit der Interaktionmit Freunden und Familie. Deswegen sollte man sich darauf fokussieren. „Wir nehmen zu oft ‚mal eben‘ etwas zu uns.“