Ruhrgebiet. Ein Wald im nördlichen Ruhrgebiet wird nicht mehr entwässert. Der Pegel steigt. Warum eine ganze Region davon profitiert.

Dieser Wald steht unter Wasser. Es plätschert, rauscht und regnet, die Erlen haben nasse Füße, eine Eiche, gefällt vom Sturm, liegt in einem kleinen, flachen, neuen See. Blätter vermodern darin. Förster Frederik Vollmer (31) steht in hohen Gummistiefeln in dem ganzen Wasser, dreht sich einmal um sich selbst und ist glücklich.

Verglichen mit den dürren Jahren. 2018, 2019, 2020. „Das war hier supertrocken“, erinnert sich Vollmer: „Im Sommer hat es so gestaubt. Und jetzt sieht man Froschlaich.“ Zeigt mit dem Finger auf etwas, das auf der Wasseroberfläche hin- und herdümpelt. Aha, das ist also Froschlaich. Danke!

Früher wurde alles dafür getan, dass das Wasser abfließt

Bäume spiegeln sich in dem Wasser, das auf dem Waldboden steht.
Bäume spiegeln sich in dem Wasser, das auf dem Waldboden steht. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

DIeser Wald heißt „Burg“, denn er ist durchzogen von Erdwällen aus dem frühen Mittelalter. Er ist ein Naturschutzgebiet, liegt in Marl und ist mit 143 Hektar für innerstädtische Ruhrgebietsverhältnisse durchaus groß. Dass man ihn in einigen Teilen nur in Gummistiefeln betreten kann, liegt nicht am entschlossenen Regen der letzten Tage, Wochen und Monate. Sondern daran, dass der Waldbesitzer, der Regionalverband Ruhr (RVR), ihn versuchsweise umbaut zu einem Schwamm.

Natürlich nicht so einem, wie er in ihrem Badezimmer liegt, nur in riesig. Sondern zu einem „Schwammwald“, der viel mehr Wasser speichert und festhält als bisher. Das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was die Menschen seit dem 19. Jahrhundert gemacht haben. „Es wurde viel Geld und Zeit investiert: Das Wasser muss weg, das Wasser muss weg“, sagt Vollmer.

„Den extremen Regen im Klimawandel halten wir zurück“

Ohne Gummistiefel kann man Teile des Waldes nicht mehr betreten.
Ohne Gummistiefel kann man Teile des Waldes nicht mehr betreten. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Bäche verschwanden oder wurden begradigt, Entwässerungsgräben und Seitengräben entstanden, um die Bewirtschaftung zu erleichtern. In diesem Fall, weil auf trockenerem Boden der begehrte Baustoff Eichenholz besser wuchs. Aber jetzt werden die Gräben zugeschüttet und zugepresst, die „eigentlich eine ingenieurtechnische Meisterleistung waren“.

Das Verfüllen hat mehrere Gründe. Der erste liegt auf der Hand: Die Jahre der Dürre haben den Wäldern schwer zugesetzt, sie können sich besser wehren, wenn mehr Wasser im Boden ist. Der zweite Grund: Waldboden ohne Entwässerung ist ein sehr guter Speicher, er verringert also diese schlimmen Hochwasser. „Den extremen Regen im Klimawandel halten wir zurück und geben das Wasser dosiert ab. Es kommt nicht mehr so schwallartig in Bäche und Flüsse“, sagt Vollmer.

Auch die Revierstädte sollen sich in Schwämme verwandeln

Grund Nummer drei: Wenn bei großer Sommerhitze viel Wasser aus dem Wald verdunstet, kühlt das die ganze Region, weit über das eigentliche Waldgebiet hinaus. „Das wollten wir wiederherstellen. Der Natur zurückgeben, was sie eigentlich schon immer konnte.“

Mehr zum Thema

Das Konzept ist natürlich eng verwandt mit dem Umbau der Ruhrgebietsstädte zu „Schwammstädten“. Auch dort geht es darum, anfallendes Regen- und Oberflächenwasser an Ort und Stelle zu speichern und dosiert abzugeben, statt es möglichst schnell abzuleiten. An einem „Schwammwald“ hingegen bastelt der RVR auch in der Sandbochumer Heide in Hamm. Es ist aber keine verrückte Idee des Regionalverbandes allein oder seines Forstbetriebes „Ruhr Grün“: Im Schwarzwald verfolgen öffentliche Waldbesitzer ähnliche Vorhaben. Und auch im Arnsberger Wald, unterstützt vom Ruhrverband. „Da ist etwas im Gange, da findet ein Wandel statt“, sagt der Förster.

Weniger Leute gehen in einen durchnässten Wald hinein

Auch da, wo kein Wasser steht, ist der Boden durchfeuchtet.
Auch da, wo kein Wasser steht, ist der Boden durchfeuchtet. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Und so haben sie hier in Marl im Winter mit einem mittelgroßen Bagger begonnen, die Gräben zu schließen. Rund 100 werden es gewesen sein, wenn die Arbeit getan ist. Noch durchziehen etliche den Wald, in ihnen steht das Wasser bis zu zwei Metern hoch. Aus der Sicht des Naturschützers hat der durchnässte Wald noch einen anderen Vorteil: Es laufen nicht mehr so viele Leute hinein.

Noch etwas verändert sich in einem solchen Wald: seine Zusammensetzung. Die heimischen Erlen und Eschen lieben Wasser und stehen gern darin, sie werden sich vermehren. Die Eichen können es ab, siedeln aber mit etwas Entfernung von Stauwasser an. Die Pappeln werden Probleme mit der Standsicherheit kriegen. Und die schwierige Traubenkirsche, die ganze Wälder übernehmen kann, wenn man sie nicht bekämpft, die wird verschwinden. „Jetzt ist es so nass, da wächst sie gar nicht mehr.“

Im August geht die Arbeit am halbfertigen Schwammwald hier in Marl weiter. Dann mit einem kleineren Bagger. Restarbeiten. „Der Fahrer“, sagt Vollmer und schaut auf die ausgedehnten Wasserflächen, „wird auch einiges mit Mücken zu tun kriegen. Das wird übel.“ Im Moment ruhen die Arbeiten. Die Brut- und Legezeit der Vögel hat begonnen. Und es ist: einfach zu nass.