Bochum. Seit einem Schlaganfall leidet Samira Klaho an Aphasie – einer Sprachstörung. Mit einem Projekt in Bochum will sie anderen Betroffenen helfen.

Zwei Sanitäter betreten die Wohnung von Samira Klaho. Sie tragen massive schwarze Schuhe, mit Schnürung und Reißverschlüssen an den Seiten – das ist das letzte, was die junge Frau sieht, bevor sie für dreieinhalb Wochen das Bewusstsein verliert. 24 Jahre alt ist sie, als sie wegen eines Aneurysmas im Kopf zusammenbricht und im Koma einen Schlaganfall erleidet. Als sie im Knappschaftskrankenhaus in Recklinghausen fast einen Monat später wieder aufwacht, ist ihre rechte Körperhälfte gelähmt und ihre Sprache weg – Aphasie lautet die Diagnose der Ärzte.

„Ich wollte mich bei der Krankenschwester bedanken, aber habe kein Wort rausbekommen“, erinnert sich die heute 43-Jährige. „Mein Leben war von einem auf den anderen Moment auf den Kopf gestellt.“ Nur drei Monate vor ihrem Zusammenbruch hatte die Recklinghäuserin in den Niederlanden ihr Studium beendet – Kunsttherapie und Sozialpädagogik. Nach dem Schlaganfall: lebenslänglich erwerbsunfähig.

„Als ich realisiert habe, was mit mir los ist, wollte ich erst nicht mehr leben“, sagt sie. Lange traute sie sich nicht zu sprechen. Sie kam ins Aachener Uniklinikum, wo es eine Station für Aphasiker gibt. Bei den ersten Terminen mit der Logopädin brachte die junge Frau kein Wort heraus. „Wenn ich mit mir selbst gesprochen habe, war das ein einziger Buchstabensalat. Dafür habe ich mich vor anderen geschämt und deshalb nicht gesprochen.“

Bochumer Neurologe: Schneller Beginn der Therapie ist bei Aphasikern entscheidend

Ein Problem, das Dr. Stephan Salmen, Oberarzt der Neurologie, bei seinen Patienten häufig beobachtet. Er leitet die Schlaganfall-Abteilung am St. Josefs-Hospital in Bochum. Etwa 1.400 Schlaganfallpatienten behandeln er und sein Team pro Jahr in Bochum. 30 Prozent davon seien nach dem Schlaganfall von einer Aphasie betroffen.

Nach dem Schlaganfall schnell mit der Behandlung der Sprachstörung zu beginnen, sei wichtig, damit die Patienten möglichst große Teile ihrer Sprache zurückerlangen, betont Salmen. „Da geht es auch sehr viel darum, den Patienten ihre Scham zu nehmen und sie zum Sprechen zu ermutigen. Nur so können wir feststellen, wie schwer die Sprachstörung ist.“

Die Zettel, die Samira Kaho sechs Jahre lang in ihrer Wohnung als Gedächtnisstütze verteilt hatte, hat sie aufbewahrt.
Die Zettel, die Samira Kaho sechs Jahre lang in ihrer Wohnung als Gedächtnisstütze verteilt hatte, hat sie aufbewahrt. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Samira schaffte es sich zu überwinden und ließ von da an nichts unversucht, um ihre Sprache zurückzubekommen. Mit ihrer Logopädin übte sie einzelne Wörter, schrieb sich jedes Wort auf, das ihr unterkam. „Ich habe als Training seitenweise SMS-Nachrichten abgeschrieben und meine ganze Wohnung mit Merkzetteln vollgeklebt, damit ich die Wörter nicht wieder vergesse.“ Sechs Jahre lang hat sie sich ihre Sprache auf diese Weise zurückerkämpft.

Aphasiker stoßen im Alltag oft auf Missverständnis

Denn das fehlende Gedächtnis ist ein weiteres Symptom, mit dem Aphasiker häufig zu kämpfen haben. „Wenn mir jemand am Telefon eine Nummer diktiert, kann ich mir die nicht merken. Ich muss die Sachen selbst lesen“, sagt Klaro.

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Im Alltag ist das noch immer ein Problem. Um auf ihre Beeinträchtigung aufmerksam zu machen, hat Klaro, wie die meisten Aphasiker, ein Kärtchen, auf dem steht, dass sie wegen eines Schlaganfalls mitunter schlechter sprechen kann und Probleme mit dem Gedächtnis hat. Doch nicht immer nehmen sich Leute die Zeit, die Botschaft auf ihrem Kärtchen zu lesen. „An der Supermarktkasse kann ich mir manchmal nicht merken, wie viel ich zahlen muss und zeige dann das Kärtchen“, berichtet sie. „Da denken die Mitarbeiter oft, dass ich ihnen etwas verkaufen will und weisen mich ab. Viele wissen eben nicht, was Aphasie eigentlich ist.“

Fotoprojekt lässt vermeintliche Schwächen von Aphasikern vergessen

Um das zu ändern, hat die Recklinghäuserin sich mit anderen Aphasikern zusammengetan und eine Fotoausstellung kreiert. 15 Betroffene hat sie dafür fotografiert, während sie einem Hobby nachgehen. „Man ist praktisch rund um die Uhr mit dem, was man wegen der Aphasie nicht kann, konfrontiert“, weiß Samira Klaho aus Erfahrung. „Wenn man dann malt, mit dem Hund spazieren geht oder Basketball spielt, kann man seine Beeinträchtigung mal für einige Zeit vergessen.“

Aphasie – was ist das?

Als Aphasie bezeichnet man eine Sprachstörung, die in 80 Prozent der Fälle durch einen Schlaganfall ausgelöst wird. Wie stark die Sprachstörung ist, unterscheidet sich von Patient zu Patient stark, sagt Dr. Stephan Salmen, Leiter der Schlaganfall-Abteilung am Bochumer St. Josef-Hospital. Die Aphasie kann sich ebenso auf das Gedächtnis, wie auch auf die Aussprache und die Schreibfähigkeit der Patienten auswirken.

Wichtig sei es, umgehend mit der Therapie zu beginnen, da die größten Fortschritte in den ersten zwei Jahren nach dem Auftreten der Aphasie zu erwarten seien, so der Neurologe. Die Krankheit zu behandeln sei besonders wichtig, da Aphasiker besonders gefährdet sind, aufgrund ihrer Einschränkung depressiv zu werden, betont Salmen.

Klaho selbst ist nach 19 Jahren mit der Aphasie stolz auf ihre Fortschritte. „Ich merke, dass ich mich selbst nach so langer Zeit noch verbessere.“ Die Einleitung für die Broschüre zur Ausstellung hat sie selbst geschrieben – und einen Großteil der Geschichten ihrer Protagonisten ebenfalls. Formulierungsfehler hat sie bewusst nicht korrigieren lassen. „Diese Fehler sind Teil unserer Krankheit und gehören eben zu uns“, sagt sie selbstbewusst.

Für ihre Zukunft hat Klaho einen großen Wunsch – einen geregelten Job. Mit der Erwerbsunfähigkeit will sie sich nicht abfinden. „Als eine Art Seelsorgerin auf einer Station für Schlaganfall-Patienten zu arbeiten kann ich mir gut vorstellen“, sagt sie. „Wenn man direkt nach der Diagnose jemanden an seiner Seite hätte, der dieselbe Erfahrung machen musste, würde das vielen Patienten sicher helfen.“

Samira Klaho eröffnet ihre Ausstellung mit dem Namen „Schlagseite - Aphasie“ am Mittwoch, 16. August um 16 Uhr im Foyer des St. Josef-Hospitals in Bochum (Gudrunstr. 56). Bis zum 16. Oktober präsentiert die 43-Jährige dort ihre Fotos. Wer zur Eröffnung der Ausstellung kommen möchte, kann das ohne Anmeldung tun. Die Teilnahme ist kostenlos.