Dortmund. Wo bis vor kurzem Geschäftsreisende genächtigt haben, ziehen nun Geflüchtete ein. Doch sie werden andere Bedingungen vorfinden.
Flüchtlinge im Drei-Sterne-Hotel – ist das Luxus? Ist das wirklich notwendig? Und wie lebt es sich dort tatsächlich? In Dortmund wird am Donnerstag ein ehemaliges Tagungshotel, in dem bis zum 14. November überwiegend Geschäftsreisende genächtigt haben, zur Flüchtlingsunterkunft. Ein Rundgang vorab zeigt: Die Unterbringung ist doch anders, als man es sich vorstellt.
Das Gebäude ist schon länger nicht mehr gepflegt worden, hinten hausen bereits Moose auf der Betonfassade. Neben den beiden Ladesäulen für E-Autos lagern Bettgestelle stapelweise. Die Farbe über dem Eingangsvordach blättert flächig; wo vor kurzem noch das Ibis-Siegel prangte: Rost. Im Garten: ein Vogelhäuschen ohne Vögel, ein Gerüst ohne Schaukel, Palettenmöbel ohne Polster. Drinnen aber ist es schön warm, der dominante Kamin in der Lobby ist zwar nicht in Betrieb, entfacht aber Atmosphäre. Im Speisesaal: dezente Fußballmotive, man isst in Dortmund. Ein großes Bild des Stadions aber mussten sie abnehmen, um Platz zu schaffen für die Aushänge. Die Hausordnung gibt’s in sieben Sprachen, die Toiletten sind in neun ausgewiesen. Jemand hat sich die Mühe gemacht, die Buchstaben REZEPTION abzuknibbeln.
82 Euro pro Nacht und Vier-Bett-Zimmer
Etwa drei Millionen Euro Miete im Jahr soll das Land über die Bezirksregierung für dieses Haus zahlen. 100 Zimmer hat das ehemalige Hotel, macht rund 82 Euro pro Raum und Nacht. Die Hotelgäste zahlten damals ab 90 Euro für ein Doppelzimmer – wenn man eine übliche Gewinnspanne im Hotelbetrieb berücksichtigt, dürfte die Miete heute höher liegen als damals. Allerdings hat die Bezirksregierung die alten Hotelbetten durch zwei Etagenbetten pro Zimmer ersetzt, aus steckbaren Metallelementen. Es können also bis zu vierhundert Personen im Haus unterkommen. In der Praxis wird das Deutsche Rote Kreuz (DRK), welches das Management der Unterkunft übernimmt, allerdings versuchen, Familien ihre Privatsphäre zu gönnen. Die unterste Etage ist für die vulnerabelste Gruppe vorgesehen: für alleinreisende Frauen, darüber kommen die Familien unter, in den obersten beiden Etagen werden die Männer wohnen. Für queere Personen, die geschützt werden müssen, und körperlich Beeinträchtigte gibt es zwei Räume gleich an der Rezeption.
Die zwei Etagenbetten machen das Zimmer enger, ein Gestell ragt in den Eingang. Ein Schreibtisch und die Kofferablage sind geblieben von der Ibis-Ausstattung. Ein Schrank und Vorhänge sollen noch kommen. Der Blick ins Badezimmer: Ibis-Standard, deutlich angestoßen. In der Badewanne sitzen Silberfische, aber das ist zu erwarten, wenn der Siphon mangels Nutzung trockenfällt. Einige Zimmer haben das Badezimmer auf dem Flur.
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„Kann man nicht Sichtschutz-Folie anbringen an den Fenstern? Im Bett liegt man ja wie auf dem Präsentierteller“, fragt eine Dame. Lokalpolitiker, Bürgervertreter und Vereinsvorstände lassen sich zeigen, wie die Dienstleister der Bezirksregierung das Hotel in drei Monaten umgerüstet haben. In einer anderen Unterkunft habe es dasselbe Problem gegeben, wirft ein Herr ein, da haben die Geflüchteten die Fenster mit Zeitungen abgeklebt. Guter Hinweis, Milchglasfolie soll kommen, verspricht das DRK.
Rund 40 Euro Taschengeld pro Woche
Die Enge der Zimmer wird ausgeglichen durch drei Gemeinschaftsräume: Vier Spieltische für die Kinder und eine Snoozle-Ecke bestehend aus einer gebrauchten Turnmatte. Zwei Kickertische und eine Minitischtennisplatte für die Jugendlichen. Ein paar Tische und eine Leseecke für die Erwachsenen. Hier wird dienstagmorgens auch das Taschengeld ausgegeben, etwa vierzig Euro für alleinstehende Erwachsene. Drei bis sieben Sozialbetreuer kümmern sich Tag und Nacht um die zum Teil traumatisierten Bewohner. Das Essen wird in Düsseldorf gekocht und in Dortmund aufgetaut.
Das ehemalige Hotel liegt am Rande eines Industriegebiets im Stadtteil Oespel. Das Autobahnkreuz Dortmund-West (A40/A45) und das Einkaufszentrum Indupark sind nicht weit, die ersten Nachbarn leben räumlich getrennt, etliche hundert Meter entfernt. Ein idealer Standort für eine Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE) also? Vorausgegangen war ein Hickhack zwischen Land und Stadt, die zwar in die Suche eingebunden war, sich aber von der Entscheidung für das Hotel überrascht zeigte und der Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) mangelnde Kommunikation vorwarf.

Die Kosten trägt das Land, die Stadt spart
Die Stadt profitiert letztlich von der ZUE, denn die Kosten für die Geflüchteten trägt das Land, sie werden jedoch auf das Kontingent angerechnet, das die Stadt aufnehmen muss. Auch die hier untergebrachten Kinder müssen nicht beschult werden. Denn in der ZUE bleiben Asylbewerber nur, bis sie einer Kommune zugewiesen oder abgelehnt werden. Für die Bezirksregierungen, die im Auftrag des Landes die Flüchtlingsverteilung organisieren, wird es dennoch immer schwieriger, geeignete Immobilien zu finden.
Immer regt sich ein gewisser Widerstand bei den Anwohnern, und manchmal dringt er durch. In Gladbeck schwenkte der Stadtrat um und verhinderte die Einrichtung einer ZUE in einem noch etwas größeren Hotel in ebenfalls abgeschiedener Lage. Auch in Dortmund-Oespel gibt es Sorgen, die sich etwa bei einer Infoveranstaltung in einer Schulaula laut wurden, wo auch AfD-Vertreter auf Linksautonome trafen. Die Befürchtung, dass die Nähe zur Unterkunft für sinkende Immobilienpreise und Mieteinnahmen sorgen könnte, ist jedoch recht universell. „Eine Frau sagte, sie hätte Angst hier vorbeizugehen“, erinnert sich Bezirksbürgermeister Heiko Brankamp (SPD). Er glaubt: „Der überwiegende Teil sieht die Notwendigkeit ein. Ein anderer Teil hat Ängste, die aber auch geschürt werden. Es wird sich einspielen.“
Das dreistufige Asylsystem des Landes
Seit Ende 2017 gibt es in NRW ein dreistufiges System der Unterbringung: Zunächst müssen Asylsuchende sich in der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Bochum registrieren. Hier ist kein längerer Aufenthalt vorgesehen, aber aufgrund des Andrangs sind Übernachtungen doch notwendig, dafür gibt es eine Notunterkunft in Herne (zunächst bis Ende 2023 genehmigt).
Umgehend werden Asylsuchende dann auf „Erstaufnahmeeinrichtungen“ verteilt. Es gibt fünf solche Standorte in NRW, unter anderem in Essen und Unna. Hier werden die Personen überprüft und untersucht, hier stellen sie ihren förmlichen Antrag.
Meist sind sie nur eine Woche bis zehn Tage hier, dann geht es weiter in eine Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE). Derzeit gibt es 28 von diesen in NRW, die für 160 bis 1200 Personen ausgelegt sind. Es stehen 21.810 Unterbringungsplätze zur Verfügung. Hier bleiben die Menschen, bis sie abgelehnt oder einer Kommune zugewiesen werden.