Essen. Sie will ein Baby. Er (noch) nicht: Ein einseitiger Kinderwunsch ist eine Zerreißprobe für jede Beziehung. Doch gibt es einen Ausweg?
- Wollen wir ein Kind haben oder nicht? Diese Frage stellt viele Paare vor Herausforderungen.
- Doch was ist, wenn nur einer der beiden ein Kind haben möchte?
- Paartherapeut Rüdiger Wacker aus Essen erklärt, was Betroffene bei einem einseitigen Kinderwunsch tun können.
Sie wünscht sich sehnlichst ein Kind. Er kann sich (noch) nicht vorstellen, Vater zu werden. Ein einseitiger Kinderwunsch kann für eine Beziehung sehr belastend sein, weiß Rüdiger Wacker. Der Paartherapeut berät in seiner Essener Praxis regelmäßig Paare, die vor allem eine Frage umtreibt: Bleibt uns nur die Trennung? Welche Optionen Betroffene haben und was ihnen in der herausfordernden Situation helfen kann, erklärt der Experte im Interview.
Herr Wacker, wie oft kommt es vor, dass Paare sich wegen eines einseitigen Kinderwunsches streiten?
Rüdiger Wacker: Das ist bei weitem nicht das häufigste Beziehungsproblem, aber es kommt durchaus vor. Meist dann, wenn die Frau um die dreißig ist, ihr Kinderwunsch größer wird und ihre biologische Uhr immer lauter tickt.
Der einseitige Kinderwunsch geht also häufiger von Frauen als von Männern aus?
Ich kann natürlich nur aus meiner Erfahrung sprechen. Aber bei den Paaren, die zu mir in die Praxis kommen, wünscht sich meist die Frau ein Kind, der Mann aber nicht oder zumindest noch nicht.
Was sind häufige Gründe, warum einer der Partner kein Kind möchte?
Meistens ist es am Anfang eher so ein diffuses Grundgefühl. „Es fühlt sich einfach nicht richtig an“, ist ein Satz, den ich oft höre. In der Paartherapie versuchen wir dann, diesem Gefühl genauer nachzugehen. Unangenehme Erfahrungen in der eigenen Kindheit können zum Beispiel eine Ursache sein. Aber auch: „Ich kann die Kosten für ein Kind nicht decken“, „Es wäre mit zu vielen Einschränkungen zu verbunden“ oder „Ich könnte ein Kind nicht mit meinem Job vereinen“. Diese eher praktischen Gründe gegen einen Kinderwunsch lassen sich oft in der Therapie klären.
>>> Partner oder Kind? Vor diese Entscheidung wurde auch Madita gestellt, als ihr Kinderwunsch immer größer wurde – ihr Partner aber (noch) kein Baby wollte. Hier erzählt die heute 33-Jährige von ihren Erfahrungen mit dem einseitigen Kinderwunsch:Madita (33): Wie der Kinderwunsch unsere Beziehung zerstörte
Inwiefern?
Sie gehen oft auf bestimmte Rollenklischees und -vorstellungen zurück, die man aus der Vergangenheit mitbringt. Dadurch entsteht ein Kopfkino, wie das eigene Leben mit einem Kind aussehen würde. Dabei muss das gar nicht den Vorstellungen des Partners oder der Partnerin entsprechen. Es ist hilfreich, sich gemeinsam konkrete Szenarien vorzustellen und zu überlegen, wer zum Beispiel die Windeln wechseln würde oder wie man sich die Elternzeit aufteilen würde.
Meine Aufgabe ist es, als Mediator dafür zu sorgen, dass so ein Gespräch überhaupt zustande kommt. Denn oft ist die Situation schon sehr festgefahren. Solche Gespräche können meist dann helfen, wenn einer der Partner sich zwar prinzipiell vorstellen kann, eines Tages Kinder zu bekommen, aber für ihn noch nicht der richtige Zeitpunkt ist.
Paartherapeut aus Essen: „Einseitiger Kinderwunsch als Bedrohung für die Beziehung“
„Noch nicht jetzt“ ist ein Satz, der als Antwort auf die Kinderfrage wohl häufiger fällt. Was raten Sie in dem Fall dem Partner oder der Partnerin, der oder die eigentlich nicht mehr warten möchte?
Manchmal ist das Zwischenergebnis der Therapie: Der Kinderwunsch ist noch nicht so dringend, die Paare kommen in einem halben oder einem Jahr wieder, um dann nochmal über das Thema zu sprechen. Aber das Aufschieben unter dem Motto „Jetzt noch nicht“ kann auch gefährlich werden. Wenn eine Frau zum Beispiel ein gewisses Alter erreicht, kann sie sich ihren Kinderwunsch dann aus biologischen Gründen gar nicht mehr erfüllen. Ich habe auch schon eine Frau in der Beratung gehabt, die ihrem Partner letztendlich eine Frist gesetzt hat: „Bis Silvester warte ich noch. Wenn wir es dann nicht versuchen, muss ich mich trennen.“
Bleibt einem in der Regel also nur die Trennung?
Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Wenn man in der Therapie offen und ehrlich über die Sorgen, Ängste und Wünsche spricht, kann man als Paar durchaus zu einer Lösung kommen und am Ende feststellen, dass sich doch beide das Leben mit oder ohne Kind vorstellen können.
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Aber der einseitige Kinderwunsch stellt oft eine Bedrohung für die Beziehung dar. Besonders, wenn sich einer der Partner wirklich gar nicht vorstellen kann, ein Kind zu bekommen. Es gibt nun mal keinen Kompromiss. Entweder man bekommt ein Kind oder nicht. Da muss sich dann der Partner mit Kinderwunsch die Frage stellen: Ist mir ein Kind so wichtig, dass ich dafür meinen Partner verlasse? Das Kind muss schließlich nicht unbedingt Glück bedeuten. Der Partner aber auch nicht.
Essener Paartherapeut: Keine Kompromisse beim einseitigen Kinderwunsch
Keine leichte Entscheidung.
Nein, im Gegenteil. Das Gleiche gilt auch für den Partner ohne Kinderwunsch. Er hat Angst, dass er durch ein Kind unglücklich wird. Andererseits könnte er seine Partnerin verlieren. Das ist eine erschütternde Erfahrung für Paare, besonders, wenn sie schon jahrelang zusammen sind und ansonsten eine tolle Beziehung führen. Der einseitige Kinderwunsch ist wirklich ein dramatisches Thema.
In der Therapie ist es daher umso wichtiger zu zeigen, dass Trennung eine Option sein kann – und nicht mit Scheitern gleichzusetzen ist. Ein Mann ist nicht böse, weil er sich nicht bereit für ein Kind fühlt. Und eine Frau ist nicht rücksichtslos, weil sie sich für ein Kind und gegen ihren Partner entscheidet. Die Kinderfrage ist nun mal so ein starkes Lebensziel, so ein starker Wert, der gewürdigt werden muss. Oft trennen sich Paare dann zwar mit vielen Tränen, aber wenigstens nicht mit dem Gefühl: Der andere ist schuld.
Wenn die Kinderfrage so essenziell für eine Beziehung ist, sollte man sie dann schon beim ersten Date klären?
Viele haben Angst, dass sie den anderen damit abschrecken könnten und es gibt natürlich auch keine allgemeine Patentlösung. Aber wenn mir selbst die Kinderfrage so wichtig ist, warum sollte ich sie dann nicht auch früh ansprechen? Ich würde sagen: Lieber etwas früher, als dass man eines Tages in der gemeinsamen Wohnung nebeneinander aufwacht und sagen muss: „Wie, du willst keine Kinder?“
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