Ruhrgebiet/Mülheim. Wasser im Boden, Wind in der Krone: Auf Bäume wirken Tausende Tonnen Last. Was Gartenbesitzer tun können, damit sie nicht umstürzen.
Der Baum an sich hält eine Menge aus. Wasser oder kein Wasser, Wind als „treibenden Reiz“ – die meisten Bäume, sagt Till Schaffers, „wollen stehenbleiben“. Der Mülheimer Baumpfleger betont das „Wollen“, meint aber auch das „Können“. Experten beobachten in diesen Tagen, dass zwar Bäume kippen unter der Last von Sturm und Dauerregen, in der Regel aber könne auch das Extremwetter den meisten wenig anhaben. Ein Trost für Gartenbesitzer, die gerade sorgenvoll aus dem Fenster schauen. Trotzdem kann ein prüfender Blick in den eigenen Garten Umstürzen vorbeugen.
„Man muss sich das mal vorstellen“ – Baumpfleger Schaffers ist hörbar fasziniert: Eine große Buche, eine Platane, die habe vielleicht 30.000 Blätter und noch mehr. Wie schwer das ist! Und eine Eiche trägt zur Herbstzeit auch noch tonnenweise Eicheln... Und dann kommen an stürmischen Tagen „mehrere Tausend Tonnen“ Windlast hinzu, die ihnen in die Krone fahren. „Was so ein Baum aushält!“ Die gute Nachricht also ist: Im Zweifelsfall freut sich der Baum über das viele Wasser und bleibt stehen. Und „Gottseidank“, sagt auch Andreas Trümper von der Stadt Mülheim, „haben wir mal wieder Wasser“! Es bestehe „kein Grund zur Panik“.
Blick in den Garten: Sind Risse im Boden?
Aber natürlich gibt es auch die, die im durchfeuchteten Boden den Halt verlieren. „Je nach Standort und Baumart“, sagte schon in der vergangenen und ebenfalls regenreichen Woche „Ruhr Grün“-Förster Werner Meemken dieser Zeitung, „können sehr nasse und damit weiche Böden ein Problem für die Standfestigkeit sein.“ Das viele Wasser, sagt Andreas Trümper, bei Mülheims Stabsstelle Untere Naturschutzbehörde als Baumkontrolleur tätig, könne im gesättigten Boden „wie ein Schmierfilm“ wirken. Lehm und Sand vergleicht der Experte mit einem groben Schmiergelpapier: Das Wasser mache, dass sie leicht aneinanderreiben, dadurch bestehe die Möglichkeit, „dass eine Wurzel abreißt“. Fachleute unterscheiden dabei zwischen Zugwurzeln und Druckwurzeln – letztere wirkten wie ein Scharnier; wenn die Zugwurzel reißt, fällt der Baum.
Doch eine solche Baumwurzel steckt ja nicht allein in der Erde, sie bildet einen „Wurzelteller“, einen Ballen. „Wenn der Baum kippen möchte“, dann kippe er mit diesem ganzen Ballen – und das passiert nicht einfach so. Oft sei früh sichtbar, dass ein Baum sich neige, plötzlich schräg steht. Deshalb empfiehlt auch Baumpfleger Till Schaffers, sich die großen Bäume im Garten derzeit einmal anzusehen: „Sind Risse im Boden, hat sich eine Wurzel bewegt?“ Dieser Fall sei „akut“, ein Anruf bei einem Experten dringend zu empfehlen. Auch die städtischen Kontrolleure, sagt Trümper, reagierten im Ernstfall schnell.
Bäume sind standfest: „Wenn er bricht, war er krank“
Wie auch Förster Meemken, rät auch Till Schaffers Hobbygärtnern, den Baum auch stammaufwärts zu inspizieren. Denn die Standsicherheit ist das eine, das andere die Bruchsicherheit. Viele abgestorbene Äste oder Pilzbefall wiesen auf eine Erkrankung hin, sagt Meemken, aber es gibt noch mehr Hinweise auf die Gefahr eines Bruchs. „Wenn er bricht“, sagt Andreas Trümper, „war er krank.“
Experten unterscheiden zwischen U- und V-„Zwieseln“ – das sind die Astgabeln. Sind sie rund gewachsen wie die Kurve zwischen Daumen und Zeigefinger, gelten sie laut Schaffers als stabil. Sehen sie eher so aus wie Zeige- und Mittelfinger nebeneinander, sind sie das weniger. Nur gibt es bei so einem Baum dann viel zu gucken und zu prüfen: Hunderte Astgabeln, Stämmlinge, Grobäste, Starkäste, Feinäste, Schwachäste... Und dann gibt es unter Umständen auch noch „Unglücksbalken“, Äste, die sich so stark beugen, dass sie in der Mitte einreißen.
Das macht nachvollziehbar, was Till Schaffers sagt: Dass all‘ das für Laien nicht leicht zu erkennen sei. Baumpfleger sähen mit ihrer Erfahrung und Fachkenntnis Schäden schneller, aber auch hier: Ohne sehr viel technischen und wissenschaftlichen Aufwand könne niemand sagen: „Dieser Baum ist zu 100 Prozent sicher.“ Eine Buche, eine Platane oder ein Obstbaum könne so aussehen, aber trotzdem am nächsten Tag umstürzen.
Bäume sind „perfekt dazu ausgebildet, Stürme auszuhalten“
Trotzdem beruhigt der Baumpfleger alle Menschen, die sich gerade sorgen um ihren Freund, den Baum. Jeder nämlich wachse ja genau so, wie es für ihn günstig ist, um Belastungen entgegenzuwirken. „Wenn er immer im Nordwest-Wind steht“, baue er besonders viel widerstandsfähiges Holz an genau dieser Seite auf. Zudem habe jeder Baum eine eingebaute „Schwingungstilgung“: Er lerne „von Jugend her“, gewissermaßen gegen den Wind anzuschwingen. „Er ist also perfekt dafür ausgebildet, Stürme auszuhalten.“ Bäume, bestätigt auch Fachmann Trümper, „sind robust und anpassungsfähig“.
Zudem bilde der Baum mit seinen Nachbarbäumen einen gemeinsamen „statischen Organismus“. Das heißt im Umkehrschluss nur auch: Fällt in diesem Organismus ein Riesenbaum weg, weil um – dann sind auch die anderen anfälliger, „die sich an seinen Windschatten gewöhnt hatten“. Dass die in der zweiten Reihe „auf einmal allein dastehen“, sei eine neue, unerprobte Belastung.
Achtung: Bäume nicht zu stark kappen, das macht sie anfälliger!
Vieles, sagt Schaffers, könne der Baumbesitzer aber auch selbst tun, oder besser: nicht machen. Einen hochgewachsenen Baum aus Vorsicht stark einkürzen (lassen) zum Beispiel. Denn das ist, was dann passiert: Die Wurzeln reagieren auf den plötzlichen Verlust großer Blattmassen für die Photosynthese. Der Baum versucht zu kompensieren, lässt eilig so genannte Wassertriebe in die Höhe schießen, die ihn wieder windanfälliger machen. Oder die Wurzeln bekommen nicht genug Nahrung und sterben ab, was ebenfalls die Standsicherheit beeinträchtigt. Aus Angst also, der Baum könnte fallen, solle man just nicht zu viel kappen, mahnt Schaffers. Zu starker Schnitt bedrohe die Statik.
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Baumkontrolleur Andreas Trümper sieht, wenn überhaupt, derzeit eher Bäume in freier Landschaft umstürzen und dort besonders am Hang: durch die „Erosion“ des Bodens. Gerade in der Stadt hielten sich Wurzeln nicht nur im natürlichen Erdreich fest, sondern an Steinen, Resten alter Mauern und ähnlichem Material. „Sie nutzen die Elemente, um die Statik zu verbessern.“
Aber die, die jetzt stehen, haben schließlich „die letzten Stürme überstanden“, sagt Trümper. Was hilft, ist gerade der Winter: Die Bäume haben kein Laub, die so genannte „Segelfläche“, die sie angreifbar machen für Wind, fehlt. „Der natürliche Zyklus verringert das Risiko von Windbruch und Umstürzen erheblich“, erklärt der Baumsachverständige und möchte die Bürger ausdrücklich beruhigen. (Was aber auch heißt, das wird sich mit Mairegen und Frühjahrsstürmen wieder ändern.)