Oberhausen. Eine Stammzellspende hat den zwölfjährigen Joni aus Oberhausen gerettet. Und die Hilfsbereitschaft umwerfend vieler Menschen.

Es ist die Zeit der Wunder. Und Familie Richter hat eines erlebt, durchlitten besser, denn keiner sollte glauben, dass Wunder einfach zu haben sind. Aber da kommt Jonathan durch die Tür, setzt sich aufs Sofa zwischen künstlichem Kaminfeuer und Lichterkette, in diesem gemütlichen Zechenhäuschen in Oberhausen-Lirich. Und Joni ist wieder gesund, nachdem ihn der Blutkrebs fast getötet hätte in den Sommerferien des vergangenen Jahres. Durch seine Adern strömt geschenktes Blut. Sein Immunsystem mussten die Ärzte chemisch zertrümmern, ganz und gar, dann haben sie Joni ein neues gegeben. Nun geht der Zwölfjährige wieder in seine alte Schulklasse, er schwimmt und trifft Freunde. Joni lässt sich die Haare lang wachsen wie früher.

Es büschelt schon unter dem Käppi hervor, das Joni immer wieder zurechtrückt. Käppis sind im Unterricht eigentlich nicht erlaubt, aber natürlich haben die Lehrer für ihn eine Ausnahme gemacht. Nach den Ferien will er selbst die Mütze endlich ablegen. „Joni geht erstaunlicherweise unglaublich gern in die Schule“, sagt Mutter Silvia. Das alterstypische Genörgel – gibt’s nicht mehr. Die Klassenlehrer haben immer den Kontakt gehalten, haben Joni ermutigt, und tatsächlich hat er schon in der Reha wieder gelernt, um nicht den Anschluss zu verpassen. Aber das klingt wieder so einfach: Er ist ja Monate draußen gewesen, zuerst dem Tode nah, dann unglaublich schwach.

Ein Netz aus 36 Millionen Menschen

Neben dem medizinischen Wunder ist Jonis Heilung auch ein menschliches. Denn Tausende Menschen haben Joni in sein zweites Leben geholfen, haben Werbung gemacht, damit sich möglichst viele als Stammzellspender registrieren lassen. Seine Mitschüler und Lehrer, die Nachbarn, die Freunde, die Familie natürlich. Plötzlich war Joni per Video in den Straßenbahnen in Norddeutschland präsent, Fußballstar Marco Reus hat ihm eine Geburtstagsnachricht geschickt, und die WAZ hat groß über Joni berichtet. 227 Menschen ließen sich daraufhin bei der DKMS als Spender registrieren. Aber man kann sagen, dass sogar 36 Millionen Menschen Joni geholfen haben.

Denn so viele gehören zum weltweiten Netz derer, die bereit sind, sich auf Anfrage Blut entnehmen zu lassen, um einem fremden Menschen zu helfen. Bei einer normalen Blutspende bestimmen nur Blutgruppe und Rhesusfaktor die Verträglichkeit. Bei den Stammzellen aus dem Knochenmarksblut dagegen spielen so viele genetische Faktoren eine Rolle, dass die Wahrscheinlichkeit, den passenden Spender zu finden, im Schnitt bei eins zu einer Million liegt. In Jonis Fall ratterten die Datenbanken tatsächlich wochenlang parallel zum Typisierungsaufruf – und schließlich fanden sie das „Match“: in Italien.

In der Kirche San Michele Arcangelo im italienischen Apulien bedankte sich Joni für seine Heilung.
In der Kirche San Michele Arcangelo im italienischen Apulien bedankte sich Joni für seine Heilung. © Zentrale | privat

Sein Name ist unbekannt und wird es immer bleiben, weil die italienischen Gesetze es so vorsehen. „Aber er ist ein italienischer Held“, sagt Klaus Richter. Der 27-Jährige habe sofort Ja gesagt, ohne Joni zu kennen. „Und er hat sich für die aufwändigere Entnahme aus dem Beckenknochen unter Vollnarkose entschieden, weil das zuverlässiger hilft.“ Die Dankbarkeit der Richters ist so groß, dass sie, sobald es wieder ging, auf Wallfahrt gegangen sind, um in der Grotte der Kirche San Michele Arcangelo zu beten – in Italien, der Heimat des Spenders. Ein Bild zeigt Joni, hager und in sich gekehrt, vor einem Marienbild mit seinen elektrischen Kerzen.

„2023 war kein Trauerzug für uns“, sagt Klaus Richter. „Es sind alle Dinge in Erfüllung gegangen, die wir uns gewünscht haben.“ – „Es gibt Kinder, die haben Abstoßungsreaktionen“, führt Silvia Richter aus. „Joni hat auch kein Rezidiv“, keinen Rückfall gehabt. Solche Fachbegriffe zeigen an, wie viel Zeit die Familie im Krankenhaus verbracht hat. Bevor Joni das neue Immunsystem im September 2022 eingepflanzt werden konnte, musste erst das alte verschwinden: „Vier Chemoblöcke hat er bekommen“, erinnert sich Klaus Richter. „Und jedes Mal hatte er Fieber und wirklich viele Nebenwirkungen.“ Zuletzt konnte er sich wochenlang nicht bewegen, nicht essen, der Mund war angeschwollen, die Haut voller Bläschen, die Füße waren wie verbrannt.

Der letzte Wunsch der Großmutter

Dazu die Isolation, sieben Wochen lang, als Joni ohne Schutz vor Keimen war. Selbst das Fenster ließ sich nicht öffnen. Mama und Papa durften Joni nur abwechselnd unter Vollschutz besuchen. Sie mieteten eine Wohnung neben dem Uniklinikum Essen. Und sie betonen immer wieder, wie sehr Pfleger und Ärzte auch an ihre eigenen Grenzen gegangen sind, um zu helfen. Schließlich die Reha, „auch kein Zuckerschlecken“, als Jonis Oma starb und die Familie sie nicht auf diesem Weg begleiten konnte. Es war der Wunsch der Großmutter, dass Joni seine Therapie fortsetzen sollte. „Er ist in der Reha schon wieder an die Kletterwand gegangen“, sagt Klaus Richter. „Ich glaube, das Wissen, dass es Joni wieder gut geht, hat meiner Mutter geholfen loszulassen.“

Joni bei der Schulweihnachtsfeier. 
Joni bei der Schulweihnachtsfeier.  © Privat | Privat

Aber die Nebenwirkungen: Der Mittelfuß ist gebrochen in der Reha, weil die Knochen durch die Chemo so fragil wurden. Die Augen haben sich so verschlechtert, dass Joni nun eine Brille braucht. Und es hat noch Monate gedauert, bis er wieder richtig unter Menschen durfte: die Keime. Vor kurzem aber hat die Englischlehrerin nachgehört, was da passiert sei? Joni spreche so gut Englisch. – Das ist wohl ein Nebeneffekt der Isolation mit vielen Computerspielen.

Auch bei Silvia und Klaus Richter „war irgendwann der Stecker raus“. Joni hat ja noch zwei ältere Schwestern, Romina und Jil. Da muss man funktionieren, trotz allem. Und dennoch steht auch hier am Ende das Positive: die Freundschaften, die sich intensiviert haben. Die neuen Freunde, die dazu gekommen sind. Unterstützer, Nachbarn, Familien in ähnlichen Lagen. Glücklich sind die Richters auch, weil von den 277 Spendewilligen, die sich über die „Aktion Joni“ registrieren ließen, bereits zwei die Chance auf Leben gespendet haben. „Es ist wirklich genauso, wie wir es damals gesagt haben“, sagt Klaus Richter: „Wer Joni hilft, hilft allen.“

So kann man Stammzellen spenden

Die Registrierung ist einfach. Man kann sich online beim Anbieter seiner Wahl ein Set bestellen. Dabei ist ein Wattestäbchen für den Wangenabstrich. Den schickt man mit einem Formular zurück. Am bekanntesten ist wohl die DKMS. Aber auch das Deutsche Rote Kreuz und einige weitere Hilfsorganisationen bieten den gleichen Service an, eine Doppelregistrierung ist nicht nötig und verursacht unnötige Kosten. Alle Spendenangebote werden ohnehin anonymisiert an eine zentrale Stelle geschickt. Sie stehen dann weltweit zur Verfügung.

Rund zehn Patienten pro Tag suchen in Deutschland jedes Jahr über das Knochenmarkspender-Register einen Spender. Weltweit erhält alle 27 Sekunden ein Mensch die Diagnose Blutkrebs. Nur etwa ein Drittel findet einen passenden Geber in der Familie, die große Mehrheit ist auf die Hilfe fremder Spender angewiesen.