Oberhausen. Die Leiden kamen plötzlich, die Diagnose war ein Schock: Joni leidet an Blutkrebs. Doch er hat eine Chance – wenn sich viele typisieren lassen.
Nach dem Urlaub wollte Jonathan eigentlich den gelben Gürtel im Kickboxen machen, die Kampfhose lag zuhause schon bereit. In einem Freizeitpark in Holland wollte Familie Richter aus Oberhausen ausspannen, und normalerweise ist der zehnjährige Joni der Held der Wildwasserrutsche. Aber plötzlich wurde er müde, ganz schlapp, bekam Fieber. Seine Eltern Silvia und Klaus Richter dachten zunächst, Joni habe Corona. Ein Krankenhaus in den Niederlanden diagnostizierte Pfeiffersches Drüsenfieber. Doch dann begann auch das Zahnfleisch zu bluten, im Mund bildeten sich Bläschen. Die Richters eilten nach Hause, und das Evangelische Krankenhaus Oberhausen stellte die schreckliche Diagnose, die das Essener Uniklinikum bestätigen musste: Joni leidet an Blutkrebs.
„Wir saßen daneben, als die Ärzte sein Blut raus- und wieder reingepumpt haben. Wären wir nicht in der Nacht gefahren, wäre mein Sohn gestorben“, sagt Klaus Richter. „Und wie schwer dem Arzt die Antwort gefallen ist, als ich ihn gefragt habe, wie die Chancen stehen. Es war wie bei Dürenmatts „Versprechen“, wo die Eltern dem Kommissar das Versprechen abringen, den Mörder ihres Kindes zu fassen. Ein Versprechen, dass er womöglich nicht einhalten kann. Wie lange der Arzt gebraucht hat und wie schwer er gestockt hat ...“ Zwei Monate und drei Chemotherapien später ist Jonis Zustand zumindest stabil. Und ja, Joni hat noch eine Chance: eine Knochenmarktransplantation.
Jede Typisierung hilft – Joni und allen anderen Kranken
Joni sucht nun dringend einen Spender. Nur mit einer Knochenmarkspende kann er tatsächlich geheilt werden – und das ist ein Wort, dass Ärzte nicht leichtfertig gebrauchen. Doch das ist deutlich komplizierter als bei Blutspenden, wo nur Blutgruppe und Rhesusfaktor die Verträglichkeit bestimmen. Bei den Stammzellen des Knochenmarks sind zwar auch nur eine Handvoll Gene entscheidend, doch sie kommen in rund 20.000 Ausprägungen vor – wie Variablen, die mit unterschiedlichen Werten gefüllt sein können. Es treten jedoch einige Merkmale deutlich häufiger auf als andere. Und es genügt in der Regel eine 90-prozentige Übereinstimmung. Darum heißt es oft, die Wahrscheinlichkeit den passenden Spender zu finden, liege bei eins zu einer Million – aber das ist nur ein Durchschnittswert.
Wer spenden will, muss sich also auf diese Merkmale hin teste lassen – typisieren sagt man --, per Watteabstrich im Mund. Und egal, wo man sich registriert (etwa bei der DKMS oder beim Roten Kreuz), die Daten landen in der weltweiten Spenderkartei. Das heißt auch: Wer sich typisieren lässt, hilft nicht nur Joni, sondern potenziell allen Menschen, die eine Stammzellspende benötigen und nicht in der Familie fündig werden (wo die Wahrscheinlichkeit der genetischen Vereinbarkeit am höchsten ist). Über 3500 Patienten aus Deutschland suchen jedes Jahr über das Zentrale Knochenmarkspender-Register einen passenden Spender. Fast die Hälfte von ihnen leiden wie Joni an AML, akuter myeloischer Leukämie, bei der das Knochenmark zunehmend unnütze Blutzellen produziert.
Er musste wieder lernen zu atmen
Joni lässt sich nicht unterkriegen. Zwei Tage nach der Diagnose ist er Onkel geworden. Als er die kleine Maya das erste Mal sah, hatte er bereits fünf Wochen im Krankenhaus und die erste Chemo hinter sich. „Boah, Du siehst cool aus“, sagte er und nahm das Baby auf den Schoß. „Du hast ja die gleiche Frisur wie ich.“ Das war in der Zeit, als er das Atmen wieder lernen musste. So schlecht ging es ihm im Krankenhaus.
Er ist der Typ, erklärt sein Papa, der das Krankenbett so hoch fährt, wie es nur geht, bis er dort oben sitzen kann „wie Spiderman, wenn er auf New York herunterschaut“. Immer nur ein paar Tage ist er daheim in Oberhausen-Lirich, ganz nah am Rhein-Herne-Kanal, um wieder Kraft zu schöpfen vor der nächsten Chemo. Er lässt mal ein Flugzeug steigen oder spielt mit den Eltern Playstation. „Aber gestern kam Joni plötzlich auf die Idee, Liegestütze zu machen“, sagt Klaus Richter. Vor dem Kickboxen hat er ja schon ein paar Jahre lang Taiwan Do gemacht, da war ihm nur nicht genug Action.
„Es ist kein Trauerzug, wir gehen normal mit ihm um“, sagt Silvia Richter. „Man kommt in einen Funktionsmodus. Man muss ihn bei Laune halten. Der Junge ist fast elf, und er weiß, dass es den Tod gibt.“ Und während die große Schwester Jil hilft, wo sie kann, hat ja auch die zwölfjährige Romina Bedürfnisse. Ein 18 Monate altes Pflegekind hatte die Familie schlagartig abgeben müssen, als sich der Abgrund auftat.
Die Freunde halten zu ihm
Natürlich verbringt Joni auch viel Zeit im Chat mit seinen Freunden. Die dürfen ihn schließlich nicht besuchen. Die Chemos haben sein Immunsystem schon so weit zerstört, dass selbst die Handtücher jeden Tag heiß gewaschen werden müssen, um Keime abzutöten. Alle Klassenkameraden von der Gesamtschule Osterfeld haben ihm Briefe geschrieben und Geschenke geschickt, die Lehrer haben an die DKMS gespendet. „Das war überwältigend schön“, sagt Silvia.
Und einmal hat er seine Freundin Zoe vor der Tür getroffen, dort stand sie mit einem großen Teddybär. Zoe hatte auch den BVB angeschrieben und Jonis Eltern eine Karte mit mehreren Autogrammen gegeben. Als Joni davon erfuhr, musste Papa gleich umkehren und zurück ins Krankenhaus fahren, um das Geschenk zu überbringen. „Es hatte sich schon in der Grundschule abgezeichnet, dass sie sich zueinander hingezogen fühlen“, sagt Klaus Richter. „Küssen wäre mit zehn Jahren sicher zu viel, aber es braucht in dem Alter schon Arsch in der Hose, um vor den Kumpels zu sagen: Das ist das hübscheste Mädchen der Welt.“
Angewiesen auf menschliche Sympathie
„Wir sind dankbar, dass wir noch eine Chance haben, für Joni zu kämpfen und ihn zu retten“, sagt der Vater. „Auf der Krebsstation wird einem schlagartig bewusst, wie sehr man auf die Hilfe von anderen Menschen angewiesen ist, auf ihre Kompetenz und Sympathie. Und auch im Alltag ... Egal, wie kompetent man sonst das Leben meistert, man kriegt es nicht ohne Hilfe hin. Wir hoffen auf viele Leute, die sich registrieren lassen.“
Dass man mit einer Typisierung tatsächlich Leben schenken kann, zeigt auch der Fall von Jonis Zimmernachbarin im Uniklinikum. Im Lokalteil Essen hatten wir über die achtjährige Rosa berichtet, die ebenfalls auf eine Stammzellspende angewiesen war. Mehr als 1000 Menschen hatten sich typisieren lassen und tatsächlich waren zwei Treffer dabei. Rosa hat nun tatsächlich einen Spender gefunden. „Das“, sagen Klaus und Silvia Richter, „ist eine gute Hoffnung.“
>> So funktioniert die Registrierung
Die Registrierung ist einfach. Man kann sich online beim Anbieter seiner Wahl ein Set bestellen. Dabei ist ein Wattestäbchen für den Wangenabstrich. Den schickt man mit einem Formular zurück. Am bekanntesten ist wohl die DKMS (dkms.de/joni), die auch für Joni um Spenden bittet. Aber auch das Deutsche Rote Kreuz und einige weitere Hilfsorganisationen bieten den gleichen Service an, eine Doppelregistrierung ist nicht nötig und verursacht unnötige Kosten. Alle Spendenangebot werden ohnehin anonymisiert an eine zentrale Stelle geschickt. Sie stehen dann weltweit zur Verfügung. Wer Joni hilft, hilft allen.