Essen. Corona, Grippe und RSV bedrohen das Fest. Mediziner wissen, wie man das Immunsystem stärkt. Aber ihren Geheimtipp will niemand hören.
Ein paar Tage noch, dann ist Weihnachten. Und allüberall: wird gehustet und geschnieft, gefühlt liegt jeder und jede zweite mit einer Infektion flach. An den Feiertagen wollen die Familien aber gemeinsam feiern. Wie groß ist das Risiko jemanden anzustecken, sich selbst etwas einzufangen? Prof. Oliver Witzke, Chef-Infektiologe der Essener Universitätsmedizin, erklärt Ute Schwarzwald die Lage – und wie das Fest noch zu retten ist.
Corona, Grippe, RSV – egal. Bei allen drei Viruserkrankungen steigen laut RKI-Wochenbericht aktuell die Fallzahlen. Sie liegen aber deutlich unter denen des Vorjahres. Ist die Lage so außergewöhnlich, wie es uns erscheint?
Prof. Oliver Witzke: Sie ist sehr angestrengt, auch in den Kliniken. Ganz viel Luft nach oben ist nicht mehr. Aber nicht etwa, weil uns die Patienten „erschlagen“, deren Zahl lässt sich noch beherrschen. Sondern weil sich so viele Mitarbeiter mit Corona oder Grippe infizieren – und dann zuhause bleiben müssen.Das ist anders als vor der Pandemie, eine viel größere Bedrohung für das Gesundheitswesen.
Vor der Pandemie hat sich niemand getestet, da ging man auch mit leichten Symptomen arbeiten?
Richtig. Unser Verhalten bei leichten Symptomen hat sich verändert. Es wird bei uns und auch in anderen Kliniken fallweise entschieden, dass auch positiv getestete Mitarbeiter arbeiten können, wenn sie sich arbeitsfähig fühlen, nicht krankgeschrieben sind und keine Patienten dadurch gefährdet sind.
Welche Infektion dominiert aktuell das Geschehen?
Corona. Da haben wir einen recht hohen Stand, die wahren Fallzahlen sind aber schwer abzuschätzen.
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Fürchten Sie sich vor den kommenden Wochen – während der Pandemie schnellten nach den Feiertagen die Zahlen stets in die Höhe?
Zwischen den Jahren ist es traditionell ruhig in den Kliniken, da findet ja kaum Aufschiebbares statt, manche Stationen sind gesperrt. Aber ich rechne durchaus damit, dass es nach Silvester rundgehen wird. Noch haben wir es ja in der Hand . . .
Noch können wir die Welle aufhalten? Tatsächlich?
Nun, es gibt genug Impfstoff, gegen Grippe und gegen Corona. Selbst gegen RSV, auch wenn die Impfung von der Stiko noch nicht grundsätzlich empfohlen ist. Aber man kann mit seinem Arzt und der Krankenkasse darüber reden.
Wenige Tage vor dem Fest kann eine Corona- und/oder Grippe-Impfung noch helfen?
Ja, man weiß, dass diese Impfungen auf ein bereits sensibilisiertes Immunsystem treffen. Nach fünf bis sieben Tagen beginnt sich eine Immunität abzuzeichnen, man steckt sich vielleicht noch an, erlebt aber keinen schweren Verlauf. Anfangs schützen beide Impfungen tatsächlich auch vor einer Infektion. Gerade Risikopatienten, also Älteren und Vorerkrankten, rate ich dazu.
Was ist mit der großen Feier? Kinder, Eltern, Oma und Opa – alle gemeinsam unterm Baum? Sollten wir besser darauf verzichten?
Ach Gott, das wird nicht gemacht werden. Genauso wenig, wie wohlfeile Ratschläge noch berücksichtigt werden. Man ist das doch leid, nach all den Pandemie-Jahren.
Wie kann man sich also schützen, wenn man sich trifft?
Maske zu tragen, steht jedem frei. Und von Menschen, die erkennbar erkältet sind, sollte man Abstand halten. Wenn die Oma am 27. Dezember im Krankenhaus landet, wäre das ein bitteres Ende für alle, deshalb sollte man Rücksicht nehmen auf andere. Vor allem aber sollte man im Vorfeld das Thema miteinander diskutieren: Wie machen wir das in diesem Jahr? Gehen wir das Risiko ein, uns anzustecken? Oder winken wir uns nur zu, so schwer es auch fällt? Die ernsthaft Gefährdeten, die, die auch die Impfung nicht wirklich schützt, etwa Organtransplantierte, sind sehr vorsichtig, die werden sicher gründlich abwägen.
Viele testen sich vor den Feiertagen womöglich vorsorglich auf Corona, obwohl sie sich gar nicht krank fühlen – und dann ist der Test plötzlich positiv. Kann ich auch ohne Symptome andere anstecken?
Da muss man von ausgehen. Eine anlasslose Testung bringt einen immer in Erklärungsnöte, das machen ja selbst die Kliniken nicht mehr.
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Bin ich „unangreifbar“ für Viren, wenn ich soeben eine Covid-Infektion überstanden habe?
„Unangreifbar“ gibt es in der Medizin nicht. Aber das ist die beste Konstellation. Ich hätte die geringste Sorge, neben jemandem zu sitzen, der vor 14 Tagen Corona hatte.
Haben Sie einen Geheimtipp zur Stärkung des Immunsystems, der jetzt noch wirkt?
Ja, aber den will niemand hören: die Impfungen. Sich bewegen und gesund zu ernähren, ist immer gut, aber in der Woche vor dem Fest mit dem Joggen zu beginnen, das Leben umzustellen, wird nicht funktionieren.