Ruhrgebiet. Die Aggressionen auf der Straße nehmen zu. Aber niemand sieht sich mitverantwortlich, besagt eine Umfrage. Wurden nur die Friedfertigen gehört?

Verkehrsrowdys sind immer nur die anderen. Das sehen wir nicht nur täglich auf den Straßen, die wir selbst freundlich lächelnd mit Tempo 45 befahren, während alle um uns herum rasen und schimpfen; das bestätigt nun auch eine neue Studie der Unfallforschung der Versicherungen (UfV). Regelverstoß? Ich? Nie!

Danach geben 96 Prozent der Autofahrer und Autofahrerinnen an, Fahrräder mit großem Abstand zu überholen; aber 93 Prozent beobachten bei anderen Autofahrer und Autofahrerinnen, dass die es nicht tun. 79 Prozent geben an, praktisch nie zu fahren mit Handy in der Hand - aber 90 Prozent sehen auch das bei anderen.

Fußgänger gehen nie bei Rot über die Straße - sagen sie

Siegfried Brockmann, der Chef der Unfallforschung der Versicherer: „Viele Verkehrsteilnehmer wissen, dass ihr Tun keine Folgen haben wird.“
Siegfried Brockmann, der Chef der Unfallforschung der Versicherer: „Viele Verkehrsteilnehmer wissen, dass ihr Tun keine Folgen haben wird.“ © IKZ | Privat

Die Kluft zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung gilt auch für andere Gruppen. Knapp die Hälfte der Fahrradfahrer räumt ein, gelegentlich auf den Gehweg auszuweichen; 92 Prozent sehen es bei anderen Fahrradfahrern und -fahrerinnen. 75 Prozent halten vor Zebrastreifen, sagen sie, wenn dort Leute über die Straße gehen wollen; 90 Prozent sehen, dass andere nicht halten. Um das abzukürzen - Fußgänger überqueren die Straße praktisch nie bei Rot, geben sie an, sehen aber ständig andere Fußgänger, die bei Rot loslaufen.

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Die Zahlen bestätigen eine Binse der Psychologie: Das Selbstbild ist die Wunschvorstellung, die man von sich hat - sie könnte an der einen oder anderen Stelle gelegentlich ein kleines bisschen gehübscht sein, sonst kämen diese widersprüchlichen Zahlen nicht zustande. Aber auch sonst bestätigt diese Studie „Verkehrsklima in Deutschland 2023“, was viele empfinden: Es wird aggressiver auf der Straße, die entsprechenden Zahlen steigen.

„Das Auto ist kein angemessener Ort, um Aggressionen loszuwerden“

34 Prozent drängeln, um die Spur freizukriegen; 44 Prozent der Bedrängten bremsen kurz, um die Drängler zu ärgern, 31 Prozent geben „gelegentlich“ Gas, wenn jemand sie überholen will. Rund die Hälfte reagiert sich „gelegentlich“ im Straßenverkehr ab, wenn sie sich geärgert hatten. „Bei dieser Frage muss man sich doch eigentlich klar sagen: Nein! Das Auto ist kein angemessener Ort, um Aggressionen loszuwerden“, sagt Siegfried Brockmann, der Chef der Unfallforschung.

Gründe für die Aggression nennt Roland Stimpel, der Vorsitzende der Fußgänger-Lobby „Fuss e.V.“, bei der Präsentation der Studie: „Die Verkehrswelt ist einfach enger geworden, der Raum in den Straßen wird knapper und die unterschiedlichsten Ansprüche werden deutlich geäußert.“ Die Auto-Seite wolle nichts abgeben, die Fahrrad-Seite verlange Radwege, die Fußgänger wollten Gehwege nur für sich.

Viele erlebten eine Verkehrskontrolle vor mehr als fünf Jahren - oder noch nie

Die Unfallforscher verlangen, dass im Verkehr mehr kontrolliert und stärker bestraft wird. Siegfried Brockmann: „Das Problem ist, dass wir natürlich nicht nur spontane Aggressionstäter haben. Sondern ganz viele Verkehrsteilnehmer, die genau wissen, dass das, was sie tun, keine Folgen haben wird, weil man in der Regel nicht kontrolliert wird. Das kann nicht so bleiben.“ 52 Prozent gaben an, zuletzt vor mehr als fünf Jahren oder noch nie in eine Verkehrskontrolle geraten zu sein. Ich fahre natürlich immer von selbst zu einer Verkehrskontrolle rüber, wenn ich eine sehe.