Essen. „Wir stehen morgens vor verschlossen Türen“: Die Erkältungswelle legt NRW-Kitas lahm, Eltern verzweifeln. Mit welchen Problemen ein Vater kämpft.
Und schon wieder steht Tobias König mit seiner kleinen Tochter vor verschlossenen Türen. Das kommt in letzter Zeit häufig vor. Immer dann, wenn wieder eine Erzieherin in der Kita seiner Tochter krank geworden ist. Der Mülheimer hofft jeden Morgen aufs Neue, dass er seine einjährige Tochter in der Kita lassen kann, um dann weiter ins Büro zu fahren. Doch immer öfter muss er sie wieder mit nach Hause nehmen. „Oft bekommen wir erst am Morgen in der Kita Bescheid, dass die Gruppe wegen Personalausfall schließen muss“, sagt Tobias König.
Dann beginnt für den 37-Jährigen die „Rumtelefoniererei“ mit seiner Partnerin. Er arbeitet im Öffentlichen Dienst, sie im Bildungssektor. Manchmal müssen auch Verwandt bei der Betreuung mit einspringen. „Wir können jedes Mal nur hoffen, dass jemand unsere kleine Tochter noch so kurzfristig betreuen kann.“
So wie Tobias König und seiner Frau geht es hierzulande gerade vielen Müttern und Vätern von Kita-Kindern. Umverteilungen, verkürzte Öffnungszeiten, Platzbegrenzungen oder komplette Schließungen haben in den letzten Tagen massiv zugenommen, beobachtet Daniela Heimann, Sprecherin vom Landeselternbeirat der Kindertageseinrichtungen (LEB) in NRW. Grund seien die hohen Krankenstände des ohnehin schon dünn besetzten Kita-Personals. Viele Eltern hangelten sich von einer Notbetreuung zur nächsten. „Das hat in diesem Jahr nie aufgehört, aber jetzt gerade in der Erkältungszeit klemmt es an allen Ecken und Enden“, sagt Heimann.
Erkältungswelle in Kitas: „Kindern fehlt die Routine“
In der Kita von Tobias Königs Tochter gilt wegen des hohen Personalmangels seit den Herbstferien ein Notbetreuungskonzept. So betreuen die Königs ihre Tochter dreimal in der Woche zu Hause. „Das ist einfach nur traurig“, sagt König. Denn schließlich brauche seine Tochter ihre Freunde, eine Routine. Die versucht König ihr nun zu Hause zu geben, liest ihr während seiner Arbeit ein Buch vor oder spielt ein Spiel mit ihr. „Das Ziel kann schließlich nicht sein, dass ich das Kind drei Stunden vor dem Fernseher parke.“
Der Meinung ist auch Lisa (34), die ihren Nachnamen nicht öffentlich lesen möchte. „Die fehlende Routine reißt nicht nur den Eltern und Erziehern den Boden unter den Füßen weg, sondern vor allem den Kindern“, sagt die dreifache Mutter. Ihre Kinder (1,3 und 5 Jahre) besuchen ebenfalls eine Kita in NRW – wenn sie ihre Mutter nicht gerade zu Arztterminen begleiten oder zu Hause auf dem Sofa sitzen, während Lisa wichtige Online-Meetings mit ihrem Arbeitgeber hat. Für zwei Wochen ist ihre Kita in der Notbetreuung, Lisa ist von der Situation „nur noch genervt“.
Mit ihrer jüngsten Tochter muss sie immer wieder neu in die Kita-Eingewöhnung starten, weil die Bezugspersonen ständig wechseln. Ihr dreijähriger Sohn kommt nicht mehr richtig in der Kita an, „der Abschied ist jedes Mal eine Vollkatastrophe, weil er sich daran gewöhnt hat, zu Hause zu bleiben.“
Erkältungswelle: Kinder kommen immer öfter mit schnupfen und Fieber in die Kitas
Doch nicht nur viele Erzieherinnen und Erzieher sind krank. Auch die Kinder kommen derzeit immer häufiger mit verschnupfter Nase und heißer Stirn in die Kitas. Nicht selten stecken sie sich gegenseitig und auch die Erzieherinnen und Erzieher an. „Es ist ein Teufelskreis“, beobachtet Marcus Schaaf zweifacher Vater aus dem Kreis Iserlohn. Er kennt Eltern, die ihren Kindern Fiebersaft geben und sie dann in die Kita schicken. >>>Lesen Sie hier: Erkältungswelle bei Kindern: Wie Kita-Eltern handeln sollten
Tobias König war erst kürzlich mit seinem älteren Sohn beim Kinderarzt, weil dieser „mal wieder“ krank aus der Schule gekommen war. Für ihn ist es selbstverständlich, seine Kinder zu Hause zu betreuen, wenn sie krank sind, auch, um die anderen Kinder nicht anzustecken. Auch wenn das für ihn viel Kraft erfordert und seine eigenen Arzttermine dadurch schnell einmal hintenüberfallen.
Kita-Vater aus NRW besorgt: „Es darf nicht sein, dass frühkindliche Bildung leidet“
In Zeiten von Notbetreuung sei es sinnvoll, wenn sich die Eltern untereinander vernetzen und gegenseitig unterstützen, sagt Daniela Heimann vom Landeselternbeirat. So könnten Kinder bei Kita-Ausfällen etwa in einem nachbarschaftlichen Umfeld betreut werden, wenn ein Elternteil mal einen wichtigen Termin hat. „So muss nicht ein Elternteil bei der Arbeit fünf Tage ausfallen, sondern fünf Eltern dann jeweils nur einen Tag“, so Heimann.
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Tobias König spricht sich in Whatsapp-Gruppen ebenfalls regelmäßig mit anderen Kita-Eltern ab. Doch es kostet ihn Überwindung, so oft bei anderen Eltern um Hilfe zu bitten. Deshalb wünscht er sich eine offizielle kommunale Stelle, bei der sich Eltern untereinander vernetzen können.
Am wichtigsten sei es jedoch, die Personalsituation in den Kitas endlich in den Griff zu bekommen, findet er. „Es kann nicht sein, dass die frühkindliche Bildung darunter leidet, weil eine Person in der Kita ausfällt. Und das Eltern jeden Morgen mit einer Ungewissheit aufstehen und sich fragen müssen, ob sie heute arbeiten können.“ Jeden Abend hofft Tobias König deshalb, am nächsten Tag nicht wieder mit seiner Tochter vor verschlossenen Türen zu stehen.