Essen/Ruhrgebiet. In Essen werden sich die Fahrraddiebstähle wohl verdreifachen. In vielen Städten der Region wird mehr geklaut. Wo sind Räder noch sicher?

Was guckt der Typ so verdächtig auf das Fahrrad, wird sich der Zeuge gedacht haben. Es ist schon dunkel an diesem Dienstagabend vor zwei Wochen, eine Straße in Essen, nahe dem Rhein-Ruhr-Zentrum. Der Zeuge geht noch mal zurück, da schleppt der Verdächtige das Rad gerade ins Gebüsch – und dort trifft ihn auch die Polizei an, einen 49-jährigen Litauer mit Säge. Soweit so Klischee – allerdings: Das Pedelec, Neupreis über 3000 Euro, ist bereits eine Woche zuvor als gestohlen gemeldet worden, in Mülheim, ganz in der Nähe. Der Dieb wollte offenbar einen Dieb bestehlen.

Wie man Räder vor Diebstahl schützt und wo man sie besser nicht abstellt, lesen Sie hier.

Der Fall erzählt viel über die Welle von Fahrraddiebstählen, die gerade über Essen brandet. Die Polizei hatte kurz zuvor Alarm geschlagen: In diesem Jahr droht eine Verdreifachung der Taten. Schon bis August sind fast 2500 Räder in Essen und Mülheim gestohlen worden, mehr als doppelt so viele wie im gesamten Jahr zuvor. Und der Trend geht zu immer teureren Rädern, vor allem zu Pedelecs und E-Bikes. Der Schaden könnte fünf Millionen Euro erreichen.

Eine beispiellose Verdreifachung

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Ja, vielleicht war der Zeuge nur wegen der Berichterstattung zum Thema so aufmerksam. Die Polizei jedenfalls freute sich in kürzester Zeit über drei Hinweise, die zu Festnahmen führten, denn „die Täter greifen auch in aller Öffentlichkeit zur Akkuflex“, sagt Polizeisprecher René Bäuml: „Egal wo und zu welcher Uhrzeit“. Ein großer Teil sei Beschaffungskriminalität. Die beispiellose Verdreifachung allerdings ist damit nur schwer zu erklären.

Die Zahlen zeigen zwar an vielen Orten in die Höhe, wie eine Abfrage bei den Behörden im Ruhrgebiet ergibt, allerdings nirgends so stark wie in Essen. Mülheim, das zum selben Präsidium gehört, soll weit weniger stark betroffen sein. Ein Kontrast zeigt sich auch in Dortmund: Bis zum August sind die Zahlen hier um 53 Prozent gestiegen gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Im benachbarten Lünen allerdings sind sie um 35 Prozent gesunken. In Bochum stagniert die Entwicklung. Wie in Duisburg gibt es im Kreis Recklinghausen im laufenden Jahr eine Zunahme der Diebstähle um etwa 20 Prozent. Doch die Zahlen in Bottrop sind sogar leicht gesunken, während sie in Gladbeck über dem Schnitt liegen. Mehrere Einzeltäter haben hier Räder an Schulen gestohlen, konnten aber geschnappt werden.

Der Langfrist-Vergleich schafft Perspektive: Im vergangenen Jahr ist zwar für die deutschen Versicherer ein Rekordschaden von 140 Millionen Euro entstanden, doch dies ist wiederum durch den Trend zu teureren und elektrischen Rädern bedingt. Die Fallzahlen haben noch nicht ganz das Vor-Corona-Niveau erreicht und lagen vor zehn Jahren noch ein Fünftel höher.

Woanders wird mehr gestohlen

Münster gilt als deutsche Fahrradhochburg. Es ist ebenfalls eine Radklau-Hochburg – pro Kopf gerechnet.
Münster gilt als deutsche Fahrradhochburg. Es ist ebenfalls eine Radklau-Hochburg – pro Kopf gerechnet. © Rüdiger Wölk | imago stock

Auch im Städtevergleich ist das Ruhrgebiet eher unauffällig. Unter den 20 Städten mit den meisten Raddiebstählen pro Einwohner ist für 2022 keine einzige aus der Region zu finden. Die Diebstahlquoten lagen anderswo (Göttingen, Münster, Magdeburg) um ein Vielfaches höher. Selbst mit einer Verdreifachung wäre Essen nicht in dieser Negativliste gelandet.

Einige sehr aktive Täter oder Banden können schnell zu Ausreißern in der Statistik führen. 28 gestohlene Fahrräder und ein E-Bike stellte die Duisburger Polizei Ende Juni in Hochfeld sicher. Es war wohl nur die Spitze des Eisbergs. Monate hatten die Ermittlungen gedauert, drei Spezialeinheiten nahmen schließlich einen Serben, den Drahtzieher, und seine drei deutschen Kumpane mittleren Alters fest. Auf geklärte 116 Strafanzeigen will die Polizei im Kreis Recklinghausen kommen. Sie hatte ebenfalls in monatelanger Kleinarbeit fünf Verdächtige aus Herten und Dorsten ermittelt. Sie sind erst 16 bis 23 Jahre alt.

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Rund 120 aufgeklärte Fälle würden der Aufklärungsquote gleich einen Schub um zehn Prozentpunkte bringen. In den meisten Städten schwankt diese nur um die fünf, sechs Prozent. Mit etwas mehr als elf Punkten wäre man wiederum in den positiven Top 20, aber auch hier ist keine Stadt des Kernruhrgebiets zu finden. Lediglich Hamm bringt es auf eine Aufklärungsquote von 13,7 Prozent. Die Essener Polizei hat nun eine Ermittlungsgruppe gegründet, die hier für Erfolge sorgen soll. Sie zielt natürlich auch auf die Hehler.

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