Duisburg. Wie läuft es mit den neuen Nachbarn aus Bulgarien und Rumänien im Problemstadtteil Hochfeld? Sprachlosigkeit dominiert das Nebeneinander.
Vor der Pauluskirche in Duisburg-Hochfeld versuchen vier Kinder mit einer leeren Bierflasche eine Grube zu schürfen – das ist offenbar ihr Spielzeug. „Vier Jahre hatte der Platz keine Bänke, jetzt gibt es wieder welche“, sagt Heinrich Hendrix, der nebenan ein Architekturbüro führt. Auch das Metallgeländer, das den Rasen vor der Kirche umgrenzt, ist gerade neu gemacht worden – und schon halb aus der Verankerung gerissen. „Das waren keine Kinder.“ Die Probleme des Stadtteils sind bei unserem Rundgang mit der Zukunftsinitiative Hochfeld an jeder Ecke zu beobachten – einiges wendet sich auch langsam zum Besseren. Integration ist hier ein mühsames Ringen.
„Hochfeld wird zu einem bulgarischen Stadtteil“, erklärt Michael Willhardt. Und er meint das nicht anklagend, der Chef einer Duisburger Kommunikationsagentur betrachtet sich als „Feldforscher“. Es führt aber auf die falsche Fährte, sich Hochfeld als Repräsentation Bulgariens vorzustellen. „Klein-Schumen“ trifft es eher, sagt Willhardt. Die meisten Zuwanderer kommen aus diesem Städtchen. Das Phänomen ist bekannt: In Hagen haben sich viele Menschen aus dem rumänischen Dorf Toflea angesiedelt, in Marxloh leben Großfamilien aus Plovdiv im Süden Bulgariens, aber in keinem anderen Viertel verdichten sich diese versetzten Gesellschaften so wie in Hochfeld.
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Jeder neunzehnte Duisburger Bürger stammt mittlerweile aus Bulgarien oder Rumänien. Und natürlich verteilen sich die Menschen nicht gleichmäßig über die Stadt, nicht einmal in Hochfeld. Die bulgarische Gemeinde dominiert nur ein paar Karrees nördlich der Pauluskirche. Hier gab es einst große Leerstände, also billigen Wohnraum, und die Roma aus Schumen sprechen Türkisch.
Umgekehrt hat nur noch jeder Dritte in Hochfeld einen deutschen Pass, vielleicht jeder Fünfte deutsche Wurzeln. Mit einem Dutzend engagierter Bürger hat Willhardt die Zukunftsinitiative gegründet. Sie haben Flyer verteilt, haben versucht, ins Gespräch zu kommen mit den neuen Nachbarn... Nun kennt man immerhin die Deutschen und grüßt im Zweifel. Aber es dominiert weiterhin die Sprachlosigkeit. Auch zwischen Bulgaren und Türken, obwohl die Roma aus Schumen türkisch sprechen. Man unterhalte sich trotzdem nicht, sagt Aka Keskin, der einen Kiosk unter den Arkaden führt. An den neuen Nachbarn kann er nichts schlechtes finden. „Aber die bleiben unter sich.“
Schumen will nichts mehr davon wissen
Willhardt war sogar in Schumen, um sich ein Bild zu machen. Im Rathaus wurde er mit Wimpeln und Ehren empfangen: „Aber gibt es irgendwelche offiziellen Beziehungen mit Duisburg? – Nein. Und das werden die Schumener auch um keinen Preis wollen, hat man mir gesagt.“ Viele Roma haben dort am Rande der Gesellschaft gelebt.
Mit ihren Mitteln suchen sie nun in Duisburg den wirtschaftlichen Aufstieg. Vor fünf Jahren fand man in Hochfeld drei bulgarische Cafés und einen Minimarkt. Mittlerweile gibt es einen bulgarischen Supermarkt, ein Restaurant, eine Bäckerei gegenüber der Pauluskirche, Kleidungsgeschäfte „mit niederschwelligen Produkten“, sagt Willhardt. Autos werden auf der Straße repariert und gehandelt.
Paketboten müssen ihre Lieferwagen mitnehmen
Und auffällig viele Transporter parken in den engen Straßen. Einige Zuwanderer haben Arbeit in der Logistik gefunden, erklärt der Anwalt Dirk Heckmann, allerdings „meistens in prekären Verhältnissen bei Subunternehmern. Die sparen auch an Parkplätzen, darum sollen die Fahrer ihre Lieferwagen mit nach Hause nehmen. Dabei gibt es eigentlich keinen Platz für die langen Sprinter. Wenn es hier brennen würde, dann hätte die Feuerwehr Probleme durchzukommen.“
Heckmann und seine Frau haben sich eine Zeit lang um ein bulgarisches Mädchen namens Sarah gekümmert, seit sie sieben war. Aber Sarah musste in ihrer Community nicht deutsch reden, entsprechend verlief die Schullaufbahn. Sarah ist vor kurzem Mutter geworden. Das Paar kennt aber auch bulgarische Kinder, die ein Einser-Abitur hingelegt haben. Überhaupt: „Mit den Kindern klappt die Verständigung gut.“ Sie dolmetschen oft für ihre Eltern – was Heckmann hilft, wenn er Bulgaren vertritt. „Aber wenn jemand mit Strafbefehl kommt, ist das ein doofes Thema für einen Elfjährigen. Dann weigere ich mich, das übers Kind zu besprechen.“
„Die wollten einfach mitspielen“
Einmal hat Heckmann beobachtet, wie eine Gruppe zehnjähriger Jungen sich dem Ferienprogramm im Jugendzentrum genähert hatten. „Die wollten einfach mitspielen, aber das wäre nur mit Einwilligung der Eltern gegangen.“ Die Hürde war zu hoch.
„Um die Ethnie geht es nicht. Das Problem ist die überdurchschnittliche Bildungsferne“, sagt Willhardt. Und das Tempo des Zuzugs. Die Strukturen konnten nicht mitwachsen. Die Schulkinder aus Rumänien und Bulgarien in Duisburg füllen rechnerisch 188 Klassen! Wiederum konzentriert auf Marxloh und Hochfeld, Tendenz steigend. Von Landesprogrammen wie den „Talentschulen“ profitieren zwar umliegende Schulen, in Hochfeld selbst gibt es aber nur eine weiterführende Schule, die Dependance einer (Talent-)Gesamtschule für die Jahrgänge fünf bis sieben.
„Es müsste mal eine Vorzeigeschule her“, sagt Willhardt. Seine Hoffnung ruht auf dem Zehnjahresprojekt „Urbane Zukunft Ruhr“, angestoßen vom Initiativkreis Ruhr, in dem sich mehr als 70 Unternehmen und Institutionen engagieren. Vorbild ist „Innovation City“ in Bottrop, ein Langzeitprogramm zur Energiewende. Auch in Hochfeld will man nun mit langem Atem Modelle für Deutschland entwickeln. Seit Jahresbeginn bauen die zwei Geschäftsführer ein Team auf. Alles weitere, Geld, Projekte, Zeitplan, bleibt vage – aber so hat es bei Innovation City ebenfalls begonnen.
Der Schmuddelpark wird zum IGA-Projekt
Immerhin hat Hochfeld ein modernes Jugendzentrum bekommen, das „Blaue Haus“. „Ein typisches Hochfelder Frühstück ist Eistee und Chips“, hatte Leiter Nikita Grojs-man Anfang des Jahres gesagt. Darum wird mit den Jugendlichen zum Beispiel frisch gekocht. Einen Schub soll auch die Internationale Gartenausstellung 2027 (IGA) bringen. Der Blücherpark, in dem recht offen mit Drogen gehandelt wird, soll als Teil eines Grüngürtels die Innenstadt mit dem Rheinpark (auch in Hochfeld) verbinden. Motto: „Wie sollen wir morgen leben?“
Das Viertel wäre aufgrund seiner Lage, seiner Anbindung und der Preise prädestiniert als Studentenviertel. Allerdings knattert hier auch der Sportauspuff und dröhnt die Musik nachts um halb zwei, gegrillt wird lieber zwischen den parkenden Autos als im Hinterhof. Und im Park kommt es zu „volksfestartigen Versammlungen“. Auf der Straße: Papierchen, Kippen,Dosen... Die Stadt hat schon vor Jahren reagiert mit der Reinigungsklasse „K“. Zweimal Fahrbahn und viermal Gehweg pro Woche.
Das ist der Alltag in Hochfeld. Aber die Bürger der Zukunftsinitiative registrieren auch, dass immer mehr Kinder ein Fahrrad benutzen. Dass nicht mehr ganz so viele Autofahrer aufs Gas treten. Dass es den offenen Arbeiterstrich in dieser Form nicht mehr gibt, auch wenn die Tagelöhnerei weitergeht. Der Alltag hier bietet überraschende Bilder: Ein Junge kommt mit einer Taube in der Hand aus dem Haus. Professioneller Griff, sein Haustier. Er setzt sich zu seiner Großfamilie vor das „Café 24“, früher hieß die Kneipe die „Gemütliche Ecke“. Dort streichelt er die Taube.