Duisburg/Ruhrgebiet. Jeder 19. Duisburger hat einen bulgarischen oder rumänischen Pass. Was bedeutet die EU-Zuwanderung für die Region? Die wichtigsten Antworten.

Die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien nimmt jedes Jahr zu. Hagens Kämmerer Christoph Gerbersmann (CDU) kritisierte im Gespräch mit dieser Zeitung, dass die Städte mit den Kosten der Armutszuwanderung aus der EU allein gelassen würden. „Die Freizügigkeit war nicht so gedacht, dass Menschen, die in ihren Ländern 250 Euro im Monat verdienen, Zugang zu den hiesigen Sozialsystemen haben“, sagte Gerbersmann, der zu den Sprechern des bundesweiten Bündnisses „Für die Würde unserer Städte“ gehört. Auch Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) mahnt seit Jahren Korrekturen bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit an. Aber wie groß ist das Problem eigentlich?

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Wie viele Bulgaren und Rumänen leben in den Ruhrgebietsstädten?

In Duisburg leben rund 26.000 Bulgaren und Rumänen – mehr als doppelt so viele wie in Dortmund und fast dreimal so viele wie in Essen oder Gelsenkirchen. In Duisburg kommt also jeder 19. Einwohner aus Bulgarien oder Rumänien. In Gelsenkirchen ist es jeder 28., in Hagen jeder 38., in Dortmund jeder 54., in Essen jeder 63. Bürger.

Kommen noch immer viele hinzu?

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Beispiel Dortmund: Jedes Jahr seit dem EU-Beitritt von Bulgarien und Rumänien 2007 sind mehr Bürger aus diesen Ländern nach Dortmund gezogen als abgewandert. Die Stadt bezeichnet die Anstiege seit 2017 als moderat. Im Jahr 2021 betrug der Zuwachs 4,2 Prozent. Zugleich nimmt die Fluktuation ab.

Wie viele Zuwanderer beziehen Sozialleistungen?

Die Arbeitslosenquote schwankt bei den rund 100.000 bulgarischen Bürgern in NRW seit Beginn der Arbeitnehmer-Freizügigkeit 2014 zwischen 22 und 26 Prozent. Bei den etwa 160.000 Rumänen liegt die Arbeitslosigkeit bei etwa 11 Prozent. Allerdings wurden diese Zahlen zuletzt für das Jahr 2021 erhoben. Für das vergangene Jahr gibt es bisher nur absolute Zahlen. Demnach scheint die Nachfrage am Arbeitsmarkt auch hier durchzuschlagen. Zahl und Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (Bulgaren plus 13,2%, Rumänen plus 8,5%) stieg deutlich stärker als die der Leistungsberechtigten.

Wie viele bulgarische und rumänische Kinder besuchen die Schule?

Gut ein Drittel der Zuwanderer in Duisburg ist minderjährig. In der Stadt leben also rund 9000 Kinder und Jugendliche aus Rumänien und Bulgarien. Wiederum die Hälfte von diesen besucht eine Schule. Das entspricht 188 Schulklassen. Zum Vergleich: In Dortmund sind es knapp 80 Schulklassen. Viele der Kinder können kaum Deutsch.

Wie groß ist das Problem mit dem Kindergeldbetrug?

Es gab bei den aufgeflogenen Fällen von „bandenmäßigem Leistungsbetrug“ einen deutlichen Rückgang, erklärt Christoph Löhr, Sprecher der Bundesagentur für Arbeit NRW und der Familienkasse: 2019 waren es bundesweit 23,9 Millionen Euro, 2020 noch 19,8 Millionen, 2021 dann 7,1 Millionen und 2022 noch 6,1 Millionen Euro. Ob dieser Rückgang durch den Kontrolldruck zu erklären ist oder ob die Täter neue Schlupflöcher gefunden haben, weiß man nicht mit Gewissheit. Darüber hinaus gibt die Familienkasse keine Zahlen bekannt.

Welche Kontrollen gibt es?

Löhr: „Mittlerweile kennen die Kollegen im Jobcenter viele Tricks, und wir haben deutlich stärkere Datenabgleiche zwischen Städten.“ Digitale Schulbescheinigungen sollen Fälschungen vorbeugen. In Krefeld etwa waren bei der Einführung 80 Fälle aufgeflogen. Hochgerechnet bis zum 18. Lebensjahr hätte das einen Schaden von 1,7 Millionen Euro bedeutet. In Gelsenkirchen arbeiten die Behörden auch interdisziplinär zusammen, etwa in der Taskforce gegen Problemimmobilien. Bei den Begehungen werden auch stets die Identitäten der gemeldeten und anwesenden Kinder überprüft. Bis 2018 durfte der Zoll nur in Sachen Schwarzarbeit tätig werden, nicht aber bei „fingierter Arbeit“, also der Vortäuschung eines Arbeitsverhältnisses. Das hat sich vor fünf Jahren geändert.

Ein EU-Bürger arbeitet in Deutschland, die Kinder leben jedoch in Rumänien oder Bulgarien – warum bekommt die Familie Kindergeld?

Nach EU-Recht gilt der Grundsatz, dass jeder für die gleiche Arbeit am gleichen Ort das gleiche Entgelt erhalten soll. Dazu zählen auch die Sozialleistungen. Arbeitnehmer aus dem EU-Ausland haben also unabhängig vom Wohnort ihrer Kinder Anspruch auf das gleiche Kindergeld wie deutsche Arbeitnehmer. Das gilt umgekehrt auch für Deutsche, im Ausland arbeiten. Die EU-Länder haben sich auch auf dieses System geeinigt, um Bürokratie und Kontrollen zu minimieren, die ebenfalls zu hohen Kosten führen würden. Weniger als ein Prozent des in der gesamten EU gezahlten Kindergelds wird für Kinder gezahlt, die in einem anderen Mitgliedstaat leben als ihre Eltern.