Bochum. Zuwanderung statt Notstand? Die Hürden für ausländische Pflegekräfte liegen hoch. Annie Koyoue aus Kamerun hat sie gemeistert. Doch nicht allein.

Seit zwei Wochen ist es amtlich: Annie Koyoue, Krankenschwester aus Kamerun, ist nun in Deutschland als Gesundheits- und Krankenpflegerin anerkannt. Im Bochumer Elisabeth-Hospital, auf Station 12/15, in der Inneren Medizin, fand die 28-Jährige ihren Traumjob. Und dort mag man sie schon jetzt nicht mehr missen.

Ihr Herz hänge an ihrem Beruf, sagt Annie. „Und das merkt man“, findet Patientin Heike Herrmann, der die Krankenschwester aus Kamerun hier den Blutdruck misst.
Ihr Herz hänge an ihrem Beruf, sagt Annie. „Und das merkt man“, findet Patientin Heike Herrmann, der die Krankenschwester aus Kamerun hier den Blutdruck misst. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Auf 100 freie Stellen kommen in NRW laut Arbeitsagentur derzeit 33 verfügbare Pflegekräfte. Bundesweit sind 36.000 Stellen unbesetzt, ganze Stationen mussten wegen Personalmangels schon schließen. Ohne Zuwanderung, da sind sich die Experten einig, wird der Notstand nicht bewältigt werden können. Doch die bürokratischen Hürden für Fachkräfte aus dem Ausland – von der Visumserteilung bis zur Anerkennung der beruflichen Qualifikation – liegen hoch. Annie Koyoue hat sie gemeistert. „Weil ich Hilfe hatte“, sagt sie.

„Ist doch alles ein Riesenwust, wenn man neu im Land ist“

Als Annie Ende März 2022 in Bochum eintraf, wartete Silke Schmidt-Biele bereits am Bahnhof auf sie. Die stellvertretende Pflegedirektorin des Katholischen Klinikums Bochum (KKB) zu der das „Elli“ gehört, brachte sie in der „Start-WG“ des Hauses unter, ging mit ihr einkaufen, zum Versicherungsmakler und zur Bank. „Ist doch alles ein Riesenwust, wenn man neu im Land ist und nicht einmal weiß, wie der ÖPNV funktioniert“, sagt Schmidt-Biele. „Als wir wegen der Ukraine-Krise keinen Reis im Laden finden konnte, holte sie mir sogar welchen von zuhause“, erinnert sich Koyoue.

Schon mit sechs wusste die Afrikanerin, dass sie später Krankenschwester (oder Ärztin) werden wollte. An ihrem Beruf hänge ihr Herz, sagt sie. Sie pflege „mit Liebe“. Doch in Kamerun kommen jährlich 13.000 Bewerber auf 2.000 Plätze für die dreijährige Ausbildung. Koyoue ergatterte direkt nach dem Abitur einen, fand im Anschluss sogar Arbeit in einer Notfallambulanz. „Aber das war eher ein Freiwilligendienst...“, erklärt sie. Feste, sichere Arbeitsplätze seien in dem hoch verschuldeten Entwicklungsland rar. Selbst ihr Mann, ein studierter Buchhalter, müsse sich als Fahrer verdingen.

„Defizitbescheid, beschleunigtes Fachkräfteverfahren, Anpassungsmaßnahme“

Freundinnen, die in Deutschland lebten, erzählten Annie, dass hier Krankenschwestern händeringend gesucht würden. Sie belegte einen Deutschkurs und bewarb sich initiativ bei fünf Kliniken. Von allen fünf erhielt sie Zusagen. Auf Bochum fiel ihre Wahl, „weil die sehr, sehr schnell reagiert haben.“ Innerhalb von 24 Stunden beantworte man jede Mail, sagt Schmidt-Biele.

Silke Schmidt-Biele, stellvertretende Pflegedirektorin des Katholischen Klinikums: Nur mit mehr Ausbildungsplätzen können wir der demografischen Entwicklung nicht begegnen..
Silke Schmidt-Biele, stellvertretende Pflegedirektorin des Katholischen Klinikums: Nur mit mehr Ausbildungsplätzen können wir der demografischen Entwicklung nicht begegnen.. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Koyoues neuer Arbeitgeber kümmerte sich zudem um all den „Formalkram“, der erledigt werden musste, beantragte (und bezahlte) etwa „Defizitbescheid“ und „beschleunigtes Fachkräfteverfahren. Ersterer sei entscheidend für die Anerkennung einer ausländischen Qualifikation, erklärte man der angehenden Mitarbeiterin, letzteres mache die Behörden schneller. Es dauert keinen Monat, bis Koyoue ihr Visum in der Botschaft in Jaunde abholen konnte. Selbst ihre „Anpassungsmaßnahme“ war bereits en détail geplant, lange bevor sie im März 2022 ins Flugzeug stieg. „Über 100 Mails gingen sicher schon vor Annies Ankunft hin und her“, erinnert sich Schmidt-Biele.

„Warum muss ein solches Visum alle drei Monate verlängert werden?“

Nach ihrer Ankunft zeigte man der Afrikanerin, die Stadt und begleitete sie bei Behördengängen; die Haustechnik half beim Umzug aus der Start-WG in eine eigene kleine Wohnung, andere dabei, eine solche überhaupt zu finden. Schmidt-Biele weiß um die Nöte der überlasteten Ausländerbehörde vor Ort, mag sie nicht kritisieren, man habe „enge, persönliche und wohlwollende Kontakte“, erläutert sie. „Aber das System ist nicht gut. Warum etwa erhalten Pflegekräfte wie Annie, deren Anpassungslehrgang auf ein Jahr angelegt ist, nur ein Visum für drei Monate, dass dann laufend verlängert werden mus?“

Um ihre berufliche Qualifikation aus Kamerun in Deutschland anerkannt zu bekommen, musste Koyoue in verschiedenen Bereichen nachgeschult werden (Ambulante Pflege und Psychiatrie etwa), auch lernen, dass die Grundpflege der Patienten hier – anders als in Kamerun – nicht von Angehörigen übernommen wird. Das Klinikum beschäftigte sie in dieser Phase bereits als „Pflegehelferin“, zahlte ihr 2600 Euro (ohne Zuschläge). Das Einstiegsgehalt einer vollwertigen Pflegekraft liegt bei 3000.

„Die Not ist groß – und diese Kräfte sind hoch qualifiziert und motiviert“

Annie Koyoue fiel der Start dennoch nicht leicht, „Das Wetter“, sagt sie, „die Einsamkeit. In Kamerun lebt man mit seinen Nachbarn. Hier habe ich manchen einen Monat lang nicht gesehen.“ Auch beruflich tat sie sich zunächst schwer, war an ihrem ersten Tag auf Station „sehr erstaunt, was ich als Krankenschwester in Deutschland alles nicht tun darf, obwohl ich es kann“. Zugänge legen etwa, das ist hier offiziell ärztliche Aufgabe. Doch die Patienten mochten sie von Anfang an – und sie sie. Der Rest: fand sich nach und nach. Sie hat sich „reingebissen“, sagt Schmidt-Biele, und sie bewundere ihre neue Kollegin dafür. Seit zwei Monaten arbeitet Annie Koyoue jetzt als vollwertige Kraft auf der Station, die ihre Lieblingsstation in der Anerkennungszeit war. „Ich durfte wählen“, erzählt sie stolz.

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Die Pflegedirektion kam ihrem Wunsch gerne nach. Denn die Not ist groß. „Wir haben die Zahl der Ausbildungsplätze bereits drastisch erhöht. Aber das allein reicht nicht, um der demografischen Entwicklung zu begegnen“, beteuert Schmidt-Biele. „Und das sind hoch qualifizierte und hoch motivierte Kräfte, die da zu uns kommen wollen.“ 30 Pflegekräfte aus Afrika, dem Balkan, der Türkei oder Serbien habe man bereits durch das Anerkennungsverfahren geschleust, mit weiteren 40, 50 stehe man in Verhandlungen. „Sie machen sich alle gut, sind eine Bereicherung unseres Teams.“ Man setze aber bewusst auf Initiativbewerbungen, wolle nicht anderswo Pflegekräfte abwerben, die dort dann fehlen würden. Größtes Problem sei meist die Sprache, „nicht alle kommen mit Deutschkenntnissen auf B2-Level.“ Weshalb das KKB jetzt auch eigene Sprachkurse anbiete und die Teilnehmer dafür freistelle.

„Alles ist jetzt gut, alles ist super“, erklärt Annie Koyoue. Sie vermisse ihre Familie sehr, der Abschied von Kamerun sei ihr schwer gefallen – „aber die Entscheidung zu gehen war richtig.“ Ihr Arbeitsvertrag ist nun unbefristet und ihr Gehalt genauso hoch wie das anderer examinierter Kräfte. Nun werde auch die Aufenthaltsgenehmigung entfristet, und dann darf sie ihren Mann sowie Nolan, ihren Vierjährigen nach Bochum holen. Die beiden lernten schon fleißig Deutsch. „Es hakt noch an der Heiratsurkunde, die ich vorgelegt habe“, sagt Koyoue. Das Integrationsteam kümmert sich.