Duisburg. 54 Schüsse aus Rache: Am 15. August 2007 starben in Duisburg-Neudorf sechs Männer der ‘Ndrangheta im Kugelhagel eines verfeindeten Clans.
54 Schüsse zerrissen in den frühen Morgenstunden des 15. Augusts 2007 die Stille der Nacht in Duisburg-Neudorf, und sie hallen bis heute nach. Sechs Italiener, alle Mitglieder der kalabrischen Mafia ’Ndrangheta, starben damals neben der Pizzeria „Da Bruno“ im Kugelhagel eines verfeindeten Clans. Es war nicht nur eines der spektakulärsten Verbrechen in der Kriminalgeschichte Duisburgs, sondern auch das bis dato brutalste Agieren der Mafia in Deutschland, wodurch auch die Öffentlichkeit erstmals wahrnahm, wie tief die organisierte Kriminalität aus Italien in die deutsche Gesellschaft eingedrungen ist.
Zudem lernte sie, dass die bis zu diesem Massaker hierzulande unbekannte ‘Ndrangheta zu den mächtigsten kriminellen Organisationen zählt, deren Kernzelle der 4000-Seelen-Ort San Luca in Kalabrien ist. Dort nahmen auch die Mafia-Morde von Duisburg ihren Anfang.
Fünf Männer sind sofort tot
Am Abend des 14. Augusts 2007 wird im „Da Bruno“ gefeiert. Die Brüder Marco (19) und Francesco P. (21) aus Duisburg, Sebastiano S. (38), Francesco G. (16) und Marco M. (25) gehören zur geschlossenen Gesellschaft, die mit Azubi Tommaso V. in seinen 18. Geburtstag hineinfeiern. Um 2.10 Uhr verlassen alle das Lokal und gehen zu ihren beiden Autos, die in einer Durchfahrt neben dem Klöckner-Haus geparkt sind. Kaum haben sie die Motoren gestartet, eröffnen die Täter aus nächster Nähe das Feuer. Fünf Männer sind sofort tot, einer wird reanimiert, erliegt aber kurz darauf seinen schweren Verletzungen.
Noch am Tattag reisen italienische Ermittler an, um die Duisburger Mordkommission „Mülheimer Straße“ unter der Leitung von Heinz Sprenger zu unterstützen. Die Italiener ermitteln bereits seit zwei Jahren gegen die ‘Ndrangheta und ordnen ihr das Verbrechen zu. Die Getöteten hatten sie bereits zuvor im Fokus, denn einer von ihnen war als Auftragsmörder bekannt.
Restaurant war bereits bekannt
Auch das Lokal, dessen Wirt ebenfalls zu den Opfern gehört, war den italienischen Ermittlern schon länger ein Begriff, weil sie in einem unterirdischen Bunker in San Luca eine Visitenkarte des Restaurants gefunden hatten.Dass sie deshalb auch einen der beiden Wagen, mit denen die Opfer hatten wegfahren wollen, mit einem GPS-Sender ausgestattet hatten, verschwiegen die italienischen Ermittler allerdings ihren deutschen Kollegen.
Weil das ein Verstoß gegen geltendes Recht war, wurden die durch die Aufzeichnung zusammengetragenen Beweise von der hiesigen Staatsanwaltschaft nicht anerkannt. „Die Erkenntnisse der verdeckten Maßnahme der Italiener flossen aber zumindest in unsere weiteren Ermittlungen ein“, sagte Sprenger später. So war nicht nur schnell die Identität der Opfer zu klären, sondern das Verbrechen auch eindeutig der ‘Ndrangheta zuzuordnen.
Eigentlich ein Aufnahmeritual
Und rasch stellte sich heraus, dass die Geburtstagsfeier eigentlich ein Aufnahmeritual für den 18-Jährigen Tommaso aus Mülheim war. Bei ihm wurde ein Heiligenbildchen mit angesengtem Kopf von San Michele, dem Schutzpatron der italienischen Polizei, gefunden. Ein klarer Beleg dafür, dass der junge Mann in dieser Todesnacht „getauft“ und so in die Mafia aufgenommen worden war.
Weit weniger deutlich waren die Spuren, die die Täter hinterlassen hatten. Videokameras im Umfeld hatten sie zwar aufgenommen, doch die Bilder waren extrem pixelig und schemenhaft. Mit Zeugenaussagen und vereinten Kräften – teilweise waren bis zu 140 Ermittler mit dem Fall beschäftigt – gelang es dennoch eines der beiden Fluchtfahrzeuge (einen schwarzen Renault Clio) und zwei Wochen später einen der Hauptverdächtigen zu identifizieren: Giovanni Strangio, Inhaber einer Pizzeria in Kaarst.
DNA in einer Düsseldorfer Wohnung
Wochen zuvor war in Italien ein Telefonat abgehört worden, bei dem er angekündigt hatte, nach Deutschland zu reisen, um die Ermordung der Frau seines Clan-Chefs zu rächen. Die Mordkommission findet DNA von Strangio in dessen Düsseldorfer Wohnung und Monte später in dem gefundenen Fluchtauto. Strangio bleibt verschwunden. Die Polizei vermutet ihn in den Niederlanden.
2008 gelingt es den Ermittlern, Strangios Schwager Giuseppe Nirta festzunehmen. Er bricht das Schweigegelübde der Mafia nicht, doch in dessen Wohnung entdecken die Polizisten Hinweise auf einen weiteren Schwager Strangios: Francesco Romeo. Er führt sie unwissentlich zu Strangios Versteck in Amsterdam, wo niederländische Kollegen gemeinsam mit Sprenger und seinen Leuten ihn am 12. März 2009 festnehmen können.
500.000 Euro fürs Pizzabacken
Strangio leistet keine Gegenwehr und erklärt dem Einsatzkommando, dass er die 500.000 Euro in bar, die in seiner Wohnung neben gefälschten Ausweispapieren und einer Waffe gefunden werden, mit Pizzabacken verdient habe. Strangio wird später wie alle anderen Festgenommenen an Italien ausgeliefert. Fast vier Jahre nach der Tat wird er im Juli 2011 zu lebenslanger Haft verurteilt.
Im Februar 2010 schlägt die Polizei im süditalienischen Reggio Calabria zu und nimmt zehn Männer, die mutmaßlich Angehörige der ‘Nrangheta sind, fest, darunter Sebastiano Nirta, der ebenfalls als Todesschütze von Duisburg gilt. Auch er wird zu lebenslanger Haft verurteilt, später aber freigesprochen. In Haft bleibt er trotzdem wegen seiner Zugehörigkeit zur ‘Nrangheta.
Ermittlungsakte wird 2010 geschlossen
Nach der Festnahme 2010 wird die Ermittlungsakte geschlossen. Die Duisburger Mafia-Morde gelten als aufgeklärt. „Nun sind alle Verantwortlichen des Attentats von Duisburg gefasst“, erklärte damals Italiens Innenminister Maroni.
Ein Irrtum! Denn im März dieses Jahres wird in einer Klinik in Lissabon Francesco Pelle (44) verhaftet. Seit 2019 war er abgetaucht. Zuvor hatte ein italienisches Gericht ihn zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er den Befehl gab, die 33-jährige Maria Strangio zu ermorden. Sie wurde am 25. Dezember 2006 vor ihrer Haustür erschossen. Der Sechsfach-Mord von Duisburg war der Racheakt dafür. Denn der 25-jährige Marco M., der zu den Opfern dieser Hinrichtung gehört, war der Todesschütze von Maria.
Mafia setzt in Deutschland auf Unscheinbarkeit
Vergleichbare Taten hat es in Deutschland nicht mehr gegeben. „Sechs Tote in aller Öffentlichkeit waren für die Mafia unglaublich geschäftsschädigend“, sagte einmal der inzwischen verstorbene Heinz Sprenger. Denn im Gegensatz zu Rockern oder arabischen Clans arbeitet die Mafia lieber im Verborgenen und ist um eine seriöse Fassade bemüht. „Es darf aber keiner glauben, dass die Mafia weniger präsent ist in Deutschland. An der Gesamtlage hat sich nichts geändert“, warnte Sprenger seinerzeit.
So sehen das auch die heutigen Experten. Thomas Jungbluth, Abteilungschef beim nordrhein-westfälischen Landeskriminalamt (LKA), weiß nur zu gut, dass die Mafia auch in Deutschland auf „Unscheinbarkeit“ setzt. Doch die Hinweise zu mutmaßlichen Mafia-Mitgliedern steigen nach seiner Aussage kontinuierlich an.
Und den meisten Zuwachs hat die ‘Ndrangheta. Es gebe auch Hinweise aus Italien, dass die ‘Ndranghetisti in Deutschland ein hochrangiges Führungs- und Schlichtungsgremium eingerichtet haben, so Jungbluth. Dass dies seinen Sitz in Duisburg haben soll, nennt Jungbluth Spekulation. Doch er sagt auch: „Dass in Duisburg 2007 eine Taufzeremonie stattgefunden haben soll, zeigt die Bedeutung dieser Stadt.“
>>> Die Ursprünge der Fehde
Die blutige Fehde zwischen den verfeindeten ‘Ndrangheta-Clans Pelle-Vottari-Romeo und Nirta-Strangio aus dem kalabrischen 4000-Seelen-Ort San Luca soll am 11. Februar 1991 auf einer Karnevalsfeier begonnen haben, auf der Eier geworfen wurden.
Nach einer Schlägerei zwischen Mitgliedern der Familien wurden Tage später zwei junge Männer – Francesco Strangio (20) und Domenico Nirta (19) ermordet aufgefunden.
Weitere brutale Folgen dieser Auseinandersetzung sind nicht bekannt und in dem kalabrischen Dorf soll Ruhe eingekehrt sein.
Am 25. Dezember 2006 flammt die Fehde aber mit Macht wieder auf, als die 33-jährige Maria Strangio, Ehefrau des Mafia-Bosses Giovanni Nirta, vor ihrem Haus niedergeschossen wird.
Den Auftrag dazu gab Francesco Pelle, der in Italien dafür zu lebenslänglich verurteilt wurde. Der Mordauftrag soll die Rache dafür gewesen sein, dass er als Folge einer Schießerei an den Rollstuhl gefesselt ist.
Der Duisburger Sechsfach-Mord gilt als Vergeltungsakt für die Ermordung von Maria Strangio.
Seit 2019 befand sich Francesco Pelle auf der Flucht. Im März dieses Jahres wurde er in einer Klinik in Lissabon verhaftet, in der er wegen einer Coronaerkrankung behandelt wurde.